Gedenken an lesbische NS-Opfer in Ravensbrück
Am 1. Mai sollte endlich eine Gedenkkugel für lesbische NS-Opfer im ehemaligen Frauenkonzentrationslager Ravensbrück niedergelegt werden. Doch nun ist die Kugel während des Produktionsprozesses zerbrochen. Die Gedenkveranstaltung findet trotzdem statt
Lesbische, bisexuelle Frauen und Mädchen sowie trans Männer wurden im Nationalsozialismus verfolgt. Trotzdem gab es bisher keine öffentlichen Gedenkstätten. Das wird sich dieses Jahr ändern. Am 1. Mai sollte in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück eine Gedenkkugel aus Ton für die Ermordeten niedergelegt werden.
Nun meldet die Initiative „Autonome feministische Frauen und Lesben aus Deutschland und Österreich“, die die Kugel mitinitiierten, dass die Niederlegung der Kugel „aus technischen Gründen“ doch nicht möglich wäre, da sie bei „der Herstellung zerbrochen“ sei und bis zum 1. Mai nicht nochmals produziert werden könne. Stattdessen wird nun im Rahmen der Veranstaltungen zum 77. Jahrestag der Befreiung des ehemaligen Lagers ein „Interims-Gedenkzeichen in Form einer Scheibe“ mit folgender Inschrift angebracht: „Hier wird im Herbst 2022 eine Gedenkkugel aus Ton liegen: In Gedenken aller lesbischer Frauen und Mädchen im Frauen-KZ Ravensbrück und Uckermark. Sie wurden verfolgt, inhaftiert, auch ermordet. Ihr seid nicht vergessen.“
„Für viele von uns, die teilweise bereits seit den 1980er-Jahren um dieses Erinnerungszeichen gerungen haben, bedeutet die Niederlegung der Gedenkkugel einen großen Etappenerfolg”
Trotz aller technischer Widrigkeiten – in der Produktion der Kugel waren bereits in der Vergangenheit Probleme aufgetaucht – ein Durchbruch: In Ravensbrück entsteht damit die erste öffentliche Gedenkstätte für lesbische NS-Opfer.
„Für viele von uns, die teilweise bereits seit den 1980er-Jahren um dieses Erinnerungszeichen gerungen haben, bedeutet die Niederlegung der Gedenkkugel einen großen Etappenerfolg”, sagt Ina Rosenthal, Vorständin des LesbenRing e.V.
Der jahrzehntelange Streit um die Anerkennung lesbischer NS-Opfer
Der Niederlegung der Gedenkkugel war ein jahrzehntelanger Streit mit Wissenschaftler*innen und dem schwulen Vertreter des LSVD Berlin-Brandenburg im Gedenkstättenbeirat vorausgegangen. Seit vielen Jahren kämpft ein Bündnis aus sieben queeren und feministischen Organisationen, darunter die Initiative „Autonome feministische Frauen und Lesben aus Deutschland und Österreich“, der LesbenRing, RuT – Rad und Tat, der LSVD und die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld für die Anerkennung lesbischer NS-Opfer. Gemeinsam haben sie den Antrag bei der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten eingereicht. Und stießen auf Widerstand aus Teilen der wissenschaftlichen Gemeinschaft, aber auch seitens des schwulen Vertreters des LSVD Berlin-Brandenburg im Gedenkstättenbeirat. Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten hatte Anträge für ein Gedenkzeichen lange abgelehnt. Die Begründung: Durch das NS-Strafrecht seien allein Männer aufgrund homosexueller Handlungen verfolgt und getötet worden. Eine vergleichbare Verfolgung lesbischer Frauen habe es nach dem Strafrecht in Deutschland nicht gegeben.
Lesbenverfolgung im NS-Staat
Homosexuelle Männer und trans Frauen wurden im Nationalsozialismus auf Basis des Paragrafen 175 strafrechtlich verfolgt. Lesbische oder queere Frauen hingegen kamen in dem Paragrafen nicht vor.
„Es war aber notwendig, sich von der Idee zu lösen, dass nur diejenigen verfolgt waren, die vom Strafgesetzbuch des Nationalsozialismus verfolgt wurden”, sagt Henny Engels, Mitglied im Bundesvorstand des LSVD. Das bestätigt auch LesbenRing-Vorständin Ina Rosenthal: „Es gab nicht nur ein einziges Gesetz, unter dem Homosexuelle, vor allem homosexuelle Frauen verfolgt werden konnten”, sagt sie. „Stattdessen gab es ein ganzes Netz aus Gesetzen, um Lesben zu verfolgen, einzuschüchtern und ein lesbisches Leben zu verunmöglichen.“ Lesbische Frauen sollten laut Rosenthal von Beginn ihres Lebens in die Mutterschaft und unentlohnte Care-Arbeit gezwungen werden. Jede Abweichung konnte von unterschiedlichen Institutionen wie beispielsweise der Psychiatrie und Medizin unter dem Vorwand der Resozialisierung oder Heilung bestraft werden. Kontrollinstanzen seien aber auch Ehemänner und Väter gewesen, die besondere Zugriffsrechte auf die Selbstbestimmung von lesbischen Mädchen und Frauen hatten. „Es ging darum, eine dem Staat nicht nutzbare Lebensform zu zerstören, zu verhindern und bereits in der Entstehung zu zerschlagen”, sagt Ina Rosenthal.
Lesbenverfolgung mit Zuschreibungen wie „Asoziale“ oder „gefallene Mädchen“
„Die Straftatbestände haben sich bei Männern und Frauen unterschieden”, erklärt Andrea Genest von der Gedenkstätte. „Bei Frauen waren sie oft nicht sehr klar umrissen.” Das heißt, dass sie nicht unbedingt als Lesben verhaftet wurden, sondern eher mit gesellschaftlichen Zuschreibungen wie „asozial” oder „gefallenes Mädchen”. Ein Gutachten des Wissenschaftlers Martin Lücke von der Freien Universität Berlin ergab, dass es lesbische Frauen und Mädchen im Lager gab.
„Ein Blick auf alle Opfergruppen schadet keiner einzigen”, sagt Henny Engels. Damit ist gemeint, dass es keine Olympiade zwischen den betroffenen Gruppen geben muss, wenn verschiedene benannt werden. Bisher sei das meiste Wissen über politisch und „rassisch” verfolgte Gruppen vorhanden. „Aber wir wissen noch sehr wenig über diejenigen, die sozialpolitisch verfolgt wurden”, sagt Andrea Genest. Für Ina Rosenthal ist die Anerkennung ein guter Anfang: „Aber der Weg hin zu einer Gedenkkultur, die lesbisches Leben respektvoll sichtbar macht und würdigt, ist noch weit”, sagt sie. „Nun braucht es auch Gelder und Forschung, um die Aufarbeitung der Verfolgung nachhaltig und umfassender sichtbar zu machen.”
Zentrale Gedenkfeier zum 77. Jahrestags der Befreiung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück 01.05., 10:00, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück.
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