Wahlwiederholung in Berlin

Franziska Giffey: „In der Berliner Bevölkerung hat ein Vertrauensverlust stattgefunden“

3. Jan. 2023 Muri Darida
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey

Zu wenig Wahlkabinen, Stimmzettel, Wahlhelfer*innen – das sind einige der Gründe, warum im September 2021 nicht alle Berliner*innen ihre Stimme abgeben konnten. Deswegen müssen die Berliner Wahlen nun am 12. Februar wiederholt werden. SIEGESSÄULE-Autor*in Muri Darida fragte Franziska Giffey, SPD-Politikerin und Regierende Bürgermeisterin Berlins, welchen Schaden die verpatzte Wahl angerichtet hat, ob sich ihre Partei zukünftig auch eine Zusammenarbeit mit der CDU vorstellen könnte und was das für die Queerpolitik der Hauptstadt bedeutet

Frau Giffey, wo sehen Sie die Verantwortlichkeit für die unzureichende Planung der Berliner Wahlen im September 2021? Es gab mehrere Faktoren, die dazu geführt haben, dass die Wahl nicht optimal gelaufen ist. Mit den Wahlen zum Abgeordnetenhaus, zum Bundestag und der Abstimmung zum Volksentscheid fanden mehrere Wahlen gleichzeitig statt. Viele Menschen haben erst in den Wahlkabinen angefangen die Informationen durchzulesen und damit wesentlich länger gebraucht als vorher angenommen. Dazu kamen noch die Corona-Vorkehrungen: Es konnten weniger Wahlkabinen zur Verfügung gestellt werden als sonst. Einige Wahlhelfer*innen sind nicht erschienen, obwohl sie zugesagt hatten. Gleichzeitig fand auch noch der Berlinmarathon statt. Zudem gab es Probleme bei der Stimmzettelversorgung.

„Es ist vollkommen unstrittig, dass ein großer Schaden entstanden ist."

Welcher Schaden ist durch die unzureichende Planung der Berliner Wahlen im September 2021 und die daraus folgende Wahlwiederholung entstanden? Es ist vollkommen unstrittig, dass ein großer Schaden entstanden ist. Bundesweit werden die gängigen Klischees über Berlin bedient. Das schmerzt mich. Ich selbst bin auch davon betroffen. Schließlich war ich Kandidatin bei der letzten Wahl und weiß, dass sich viele Menschen auf einen guten Wahlverlauf verlassen haben. In der Berliner Bevölkerung hat ein Vertrauensverlust stattgefunden. Zu den wichtigen Themen, mit denen wir uns im Senat auseinandersetzen müssen, kommt nun die Wahlvorbereitung hinzu. Das bedeutet einen Bruch in unserer regulären Arbeit, mit dem wir nun zusätzlich umgehen müssen.

Wie stellen Sie sicher, dass es bei der Wahlwiederholung im Februar besser läuft? Eine Expert*innenkommission hat eine Fehleranalyse gemacht und daraus Empfehlungen abgeleitet. Wir berücksichtigen diese Empfehlungen und setzen sie um. Wir haben die Lehren aus der letzten Wahl gezogen. Die Umsetzung läuft in den Bezirken. Jeder Bezirk hat ein eigenes Bezirkswahlamt. Wir haben eine neue Landeswahlleitung eingesetzt, die eine koordinierende Aufgabe hat. Diese geteilten Verantwortlichkeiten müssen nun gut und eng abgestimmt zusammenarbeiten. Konkret heißt das etwa, dass wir das sogenannte Erfrischungsgeld für die Wahlhelfenden auf 240 Euro erhöht haben und jedes Wahllokal mit 140-prozentiger Ausstattung an Stimmzetteln versorgt wird.

Wie will der Senat als Koalitionsregierung zusammenarbeiten, wo gleichzeitig Wahlkampf stattfindet? Das ist natürlich eine Herausforderung. Für mich steht aber an erster Stelle, dass wir Berlin gut durch die Krise bringen, dass wir Privathaushalte sowie auch Unternehmen und Betriebe unterstützen.

„Ohne Zweifel ist spürbar, dass die politischen Parteien gerade in Konkurrenz zueinander stehen."

Trotzdem findet ja gerade Wahlkampf statt. Ohne Zweifel ist spürbar, dass die politischen Parteien gerade in Konkurrenz zueinander stehen. Natürlich gibt es in so einer Situation einen Wettbewerb zwischen den Parteien und Personen, das kann man nicht negieren. Aber trotzdem ist meine Aufgabe als Regierende Bürgermeisterin, die die Gesamtverantwortung trägt, dafür zu sorgen, dass der von mir geführte Senat handlungsfähig bleibt. Schließlich habe ich einen Eid geschworen, um das Beste für unsere Stadt zu ermöglichen und Schaden abzuwenden.

Sind die queerpolitischen Versprechen aus dem Koalitionsvertrag in Gefahr, falls sich etwas an der Koalitionskonstellation ändert? Wenn die SPD weiter führende Kraft ist, dann werden queere Themen im Koalitionsvertrag weiter Priorität haben. Das ist für uns nicht verhandelbar.

„Ich trete nicht für eine Koalition an."

Können Sie sich eine Zusammenarbeit mit der CDU vorstellen, die Queerpolitik deutlich weniger priorisiert? Ich trete nicht für eine Koalition an, sondern dafür, dass die SPD in Berlin stark bleibt und für queere Themen kämpft. Ich möchte weiterhin unsere soziale Politik für Berlin fortsetzen.

Aber ginge das, wenn die CDU Koalitionspartner würde? Das müssen Sie die CDU fragen. Mit der SPD bleiben soziale und auch queere Themen wichtig. Dafür mache ich mich auch ganz persönlich stark. Ich möchte Angebote für Regenbogenfamilien ausbauen, dass wir uns als Stadt positionieren gegen Gewalt an queeren Menschen und queere Orte in der Stadt unterstützen. Dafür braucht es die SPD. Wir wollen in der Landesregierung dafür weiterarbeiten. Aber jedes politische Vorhaben hängt davon ab, ob man Mehrheiten dafür bekommt.

Was wurde von den queerpolitischen Themen aus dem Koalitionsvertrag bereits umgesetzt? Der Maßnahmenplan der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ (IGSV), den der Berliner Senat initiiert hat, ist für uns verbindlich. Wir sehen, dass es eine Zunahme von Gewalt gegen queere Menschen gibt. Das können wir nicht akzeptieren. Deshalb ist das Vorgehen gegen Hasskriminalität ein entscheidender Punkt. Wir möchten beispielsweise die Ressourcen für Anlaufstellen erhöhen, Angebote für queere Jugendliche ausbauen und mehr Mittel dafür einsetzen.

Und was konnte bereits konkret umgesetzt werden? Wirtschaftliche Unterstützung gehört für uns genauso dazu wie die Themen Sichtbarkeit, Schutz vor Gewalt oder Beratungsstellen. Der Maßnahmenplan IGSV wird weiter umgesetzt, das Landesprogramm Demokratie wird ausgebaut und Antidiskriminierungsstrukturen gestärkt. Eine Studie zur Aufarbeitung des Sorgerechtsentzugs lesbischer Mütter ist bereits geplant. 

Was wurde etwa aus dem Plan, Unterbringungen für queere Menschen zu schaffen? Das bleibt ein Schwerpunkt bei der Unterbringung von Geflüchteten. Da sind wir in Berlin gut aufgestellt. Viele besonders schutzbedürftige Geflüchtete bleiben in Berlin, weil hier die Strukturen dafür gegeben sind. Wir müssen aber auch sehen, dass wir in diesem Jahr durch den russischen Angriffskrieg sehr viel mehr Geflüchtete aufgenommen haben, als erwartet. Ich bin jetzt seit einem Jahr im Amt. Wenn man sich einen Plan für fünf Jahre gemacht hat mit allem, was man erreichen will, dann ist klar, dass nach einem Jahr nicht alles geschafft ist. Auch deshalb möchte ich weitermachen.

Wiederholung der Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den zwölf Berliner Bezirksverordnetenversammlungen am 12.02.2023

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