Wahlen in Berlin: Spitzenkandidatin der SPD

Franziska Giffey: „Auch eine alternative Lebensform muss Miete zahlen”

14. Sept. 2021 Nina Süßmilch
Bild: Jonas Holthaus

Noch vor wenigen Monaten sah es für Franziska Giffey nicht besonders gut aus: Wegen der Plagiatsaffäre um ihre Dissertation musste sie im Mai als Familienministerin zurücktreten. Nun fokussiert sie sich auf Hauptstadtpolitik: Für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 26. September ist sie die Spitzenkandidatin der SPD und nach aktuellen Umfragen liegt sie bzw. ihre Partei vorn. Im SIEGESSÄULE-Interview sprach Nina Süßmilch mit ihr über queere Freiräume, steigende Mieten und darüber, was sie für LGBTIQ*-Rechte zu tun verspricht

Frau Giffey, Sie sagen, Berlin sei für Sie „Herzenssache“. Warum? Weil Berlin mein Zuhause ist. Weil ich Berlinerin bin, auch wenn ich nicht hier geboren bin. Ich möchte, dass sich die Stadt auch in Zukunft gut entwickelt und dass das, wofür Berlin steht, „Freiheit, Toleranz, Weltoffenheit, lebenswerte Stadt“, bestehen bleibt. Das zu erhalten, dieses Lebenkönnen, wie man will, und Liebenkönnen, wen man will, das ist für mich Herzenssache.

Ihr Wahlslogan „Ganz sicher Berlin“ macht es deutlich: Sicherheit ist Ihnen wichtig. Was würden Sie sagen, wer fühlt sich in Berlin nicht sicher? Berlins Markenkern ist die Freiheit. Die kann aber nur erhalten bleiben, wenn Menschen sich sicher fühlen. Ich meine damit einen Begriff von Sicherheit, der sehr breit ist. Dazu gehört die soziale Sicherheit. Das ist ja ein Kernanliegen der Sozialdemokratie, dass Menschen zum Beispiel keine Angst haben müssen, ob sie sich ihre Wohnung leisten können. Aber es gehört auch die innere Sicherheit dazu. Also dass Menschen geschützt sind vor Kriminalität, vor Hass, vor Hetze, vor Angriffen gegen ihre Person. Gerade für die LGBTIQ*-Community ist das natürlich ein Punkt. Es gibt Orte, wo man sich sehr wohl und sicher und auch zu Hause fühlt, und Orte, wo es schwieriger ist.

„Die dezentrale Arbeit der queeren Szene finde ich wichtig”

Sie sagen es selbst, die queere Community braucht sichere Orte, sogenannte Safe Spaces. Was planen Sie? Wie möchten Sie die queere Infrastruktur unterstützen, vielleicht auch ausbauen? Ich hatte vor Kurzem mit Margot Schlönzke und Jurassica Parka ein sehr schönes Insta-live-Gespräch. Sie sagten zum Beispiel, der Schöneberger Kiez um den Nollendorfplatz müsste doch eigentlich Weltkulturerbe werden. Und ich fand das einen interessanten Punkt. Sie haben damit ausgedrückt, dass wir hier in Berlin einen ganz besonderen Schatz haben, nämlich die größte queere Community in Europa. Aber die vorhandenen queeren Orte bleiben nicht von allein. Wir müssen darauf achten, dass diese Orte erhalten bleiben können. Gerade jetzt, wo sie besonders durch die Pandemie betroffen sind. Es ist wichtig, wenn wir den Neustart für Berlin denken, für die Berliner Wirtschaft und die Branchen, die besonders von den Folgen der Kontaktbeschränkungen betroffen sind, dass wir das queere Leben mitdenken. Ich finde es gut, dass es Orte gibt wie das Schwule Museum. Das sind Anziehungspunkte über Berlin hinaus. Auch da sage ich ganz klar, erhalten und entwickeln. Die dezentrale Arbeit der queeren Szene finde ich sehr wichtig.

Es existieren ja alternative Begegnungs- und Lebensorte, die aber gefährdet sind, wie der Platz des Wagenkollektivs Mollies oder das queerfeministische Hausprojekt Liebig 34, das mitten in der Pandemie geräumt wurde. War es wirklich notwendig, das in einer Pandemie so hart durchzuziehen? Die Bewohner*innen sagten teilweise im Nachgang, dass sie nicht mehr nur kein Zuhause hatten, sondern deshalb auch nicht in die vorgeschriebene Quarantäne gehen konnten, weil sie bei Freund*innen unterkommen mussten. Passt das denn so zu Berlin als weltoffener, liberaler Stadt? Also, dass die Liebig 34 jetzt das queere Vorzeigeprojekt der Stadt ist, ist ja eine interessante Sichtweise.

„Jeder, der in dieser Stadt lebt, muss sich an bestimmte Regeln halten”

Ja, das ist ein Projekt, das genannt werden kann. In der Liebig 34 wurde massive, linksradikale Gewalt ausgeübt, gegen Polizistinnen und Polizisten und Sicherheits- und Rettungskräfte. Ich bin immer dafür, dass wir queere Orte und Projekte unterstützen, aber nur dann, wenn sie nicht die Rechte der anderen verletzen. Die Leute haben Anspruch auf ein Haus erhoben, das ihnen nicht gehört. Auch queere Projekte können sich nicht dadurch rechtfertigen, dass sie einfach in ein Haus gehen und keine Miete bezahlen. Jeder, der in dieser Stadt lebt, muss sich an bestimmte Regeln halten.

Menschen, die sich in einem queeren oder alternativen Wohnprojekt zusammenfinden, machen das ja meistens, weil sie eine alternative Lebensform leben wollen und das so nicht immer und überall möglich ist. Es geht um genau diesen Raum, um diese schützenswerte Infrastruktur. Auch eine alternative Lebensform muss Miete zahlen. Ganz einfach. Alle anderen, die in dieser Gesellschaft ordentlich Miete bezahlen, haben dafür kein Verständnis.

Wir brauchen Wohnraum, der bezahlbar ist. Es gibt das Problem der Gentrifizierung in der Stadt. Wie wollen Sie dem begegnen? Wie wollen Sie bezahlbare Wohnungen in die Stadt bringen? Nicht, indem wir tolerieren, dass Steine vom Dach auf die Polizei geworfen werden! Das ist für mich keine Diskussion mehr über Gentrifizierung, sondern das ist radikale Gewalt, nichts weiter. Richtig ist, dass die Stadt in den letzten zehn Jahren um über 200.000 Menschen gewachsen ist. Sie alle brauchen Wohnraum. Wir werden diese Situation nur entspannen, wenn wir zwei Dinge tun: den Schutz der Mieterinnen und Mieter achten und voranbringen und wenn wir zum anderen Wohnungen neu bauen, das Angebot vergrößern. Wir müssen klare Regeln für den sozialen Wohnungsbau haben. Es gibt ja in Berlin das Modell der „Kooperativen Baulandentwicklung“. Das finde ich sehr wichtig. Jeder, der neu baut, ist verpflichtet, einen Anteil an bezahlbarem Wohnraum zu schaffen. Er muss auch einen Beitrag zur sozialen Infrastruktur leisten, zum Beispiel zu den Kitaplätzen. Unsere Aufgabe als Staat, als diejenigen, die dafür sorgen müssen, dass Wohnraum auch bezahlbar bleibt, ist, regulierend einzugreifen. Wenn Menschen Mietwucher betreiben, wenn sie weit über die Mietpreisbremse und den Mietenspiegel hinausgehen. Dann ist es ganz wichtig, klare Kante zu zeigen und auch unfairen Vermietern klipp und klar zu sagen: So geht es nicht. Um das Angebot von Wohnungen zu vergrößern, ist aber der Neubau das Wichtigste. Das will ich zur Chefinnensache machen.

„Wir sind immer wieder an diesen unterschiedlichen Auffassungen mit der Union gescheitert“

Mit wem würden Sie gern diese Ideen durchsetzen? Mit wem würden Sie gern koalieren? Wir müssen jetzt erst mal diese Wahl und das Ergebnis abwarten. Wir haben als SPD ganz klar gesagt, was wir wollen, wofür wir stehen. Wir haben uns auf Schwerpunktthemen fokussiert. Für mich ist entscheidend, mit welchem Partner wir möglichst viele unserer Ziele und unser Programm auch umsetzen können.

Ein wichtiger Punkt in Ihrer Zeit als Familienministerin waren die Verhandlungen zum „Transsexuellengesetz“ (TSG). Die SPD hat sie abgebrochen, weil es keine Einigung mit der CDU gab. Von der Opposition wurde Ihnen zum Teil vorgeworfen, dass Sie den Gesetzesentwurf nicht leidenschaftlich genug eingebracht hätten. Was sagen Sie dazu? Wir haben ja eine ganz klare Position dazu, auch hier in der Berliner SPD. Wir setzen uns dafür ein, dass das TSG abgeschafft und durch ein modernes Recht ersetzt wird. So, dass jeder auch seiner Identität entsprechend leben kann, ohne sich immer wieder rechtfertigen zu müssen und gegängelt zu werden durch Regularien. Als ich als Bundesfamilienministerin begonnen habe, gab es eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen mir und Katharina Barley, die auch sehr für den Entwurf gekämpft hat. Wir haben dann aber irgendwann gesagt, wir können jetzt keinen Entwurf durchdrücken, der von der Community nicht als Verbesserung gesehen wird. Deswegen ist es damals nicht zustande gekommen. Wir sind immer wieder an diesen unterschiedlichen Auffassungen mit der Union gescheitert. Auch bei der Reform des Adoptionshilferechts und des Abstammungsrechts und dem Thema der „Mitmutterschaft“ konnte keine Einigung gefunden werden. Es wäre beinahe das neue Adoptionshilfegesetz daran gescheitert. Letztendlich haben wir die Beratungspflicht für lesbische Mütter und Paare abschaffen können. Ich habe als Familienministerin immer einen sehr breit gefassten Familienbegriff vertreten. Familie ist überall dort, wo sich Menschen umeinander kümmern. Und wir müssen ermöglichen, dass die Regenbogenfamilien die gleichen Rechte und Rahmenbedingungen haben wie alle anderen Familien auch.

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