Doku über Libuše Jarcovjáková

Fotografie als Selbsterkundung – „Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte“

3. März 2025 Axel Schock
Bild: Salzgeber
Die Regisseurin Klára Tasovská hat sich durch Libuše Jarcovjákovás umfangreiches Bildarchiv gearbeitet

Über 60 Jahre lang fotografiert Libuše Jarcovjáková sich und ihr Lebensumfeld. In der Doku „Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte“ werden die Aufnahmen der bisexuellen tschechischen Fotografin zu einer außergewöhnlichen, wenn auch lückenhaften Selbsterkundung

Bis 2019, als ihr in Arles eine erste große Retrospektive gewidmet wurde, war ihr Name kaum bekannt. Dabei hatte die heute 72-jährige Libuše Jarcovjáková ihr gesamtes Erwachsenenleben mit der Kamera festgehalten. In den 60er-Jahren fotografiert die Autodidaktin ihre Kolleg*innen in einer Prager Druckerei. Es sind äußerst atmosphärische, geradezu intim wirkende Schwarz-Weiß-Porträts von erschöpften, schlafenden, betrunkenen Menschen zwischen Maschinen, Papierbergen und in tristen Fabrikhallen.

Es sind äußerst atmosphärische, geradezu intim wirkende Schwarz-Weiß-Porträts von erschöpften, schlafenden, betrunkenen Menschen zwischen Maschinen, Papierbergen und in tristen Fabrikhallen.

Für die Qualitäten dieses unverstellten sozialistischen Realismus hat die Parteiführung freilich kein Auge. Jarcovjáková wird gefeuert. Doch sie fotografiert weiter: vietnamesische Vertragsarbeiter*innen und Szenen in verrauchten Kneipen, aber auch die russischen Panzer, die nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 durch ihre Stadt rollen. Vor allem aber fixiert sie mit der Kamera ihren Alltag, alkoholgeschwängerte Partynächte mit ihren Freund*innen, Liebhabern und Ehemännern.

(Zu) strenges filmisches Konzept

Den ersten heiratet sie aus Liebe, den zweiten, um das Land in Richtung West-Berlin verlassen zu können. Jarcovjáková reist in den 70er- und 80er-Jahren nach Tokio, arbeitet dort als Modefotografin, erlebt und dokumentiert den Fall der Mauer – und kehrt doch immer wieder nach Prag zurück. Im Laufe dieser Zeit wechselt sie zu Farbaufnahmen, später kommen Handy-Selfies hinzu. Als Fotografin interessiert sie sich dabei weniger für die perfekte Komposition, sondern vielmehr für die spontan festgehaltene Situation. Sie tut es nicht aus Routine oder zum Zwecke der Verwertung, sondern um sich selbst zu verorten und die eigenen Gefühle zu ordnen. Das schafft eine Unmittelbarkeit und Nähe, wie man sie auch vom Werk der Fotografin Nan Goldin kennt.

Als Fotografin interessiert sich Libuše Jarcovjáková weniger für die perfekte Komposition, sondern vielmehr für die spontan festgehaltene Situation.

Die Regisseurin Klára Tasovská hat sich durch Libuše Jarcovjákovás umfangreiches Bildarchiv gearbeitet und zeichnet in ihrer Dokumentation „Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte“ das Leben der Fotografin chronologisch nach. Sie hat dafür eine strenge, sehr eigene Form gewählt. Sie vertraut allein auf die Kraft der Fotografien und Jarcovjákovás eigenen Worten – durch Auszüge aus ihren Tagebüchern.

Darin erzählt sie von ihrer Einsamkeit und von ihrer Selbstfindung als Künstlerin und als Frau, von ihren Abtreibungen und den wachsenden Repressionen in ihrem Heimatland. Klára Tasovská hat die vielen Hundert Momentaufnahmen und (Selbst-)Porträts –Jarcovjáková fotografiert immer wieder sich selbst und gern auch nackt – ungemein dynamisch montiert. Manche Sequenzen erwecken den Eindruck, es mit bewegten Bildern zu tun zu haben.

Das strenge filmische Konzept führt aber zu Lücken. So bleibt unklar, wie die Fotografin in den 80er-Jahren in die lesbisch-schwule Szene Prags gerät und dort in dem kleinen T-Club allabendlich die eingeschworene Gemeinschaft der Stammgäste fotografiert. Einmal sieht man sie selbst auch in inniger Umarmung mit einer Frau. Dass sie seit inzwischen über 30 Jahren mit ihrer Lebenspartnerin Magda zusammenlebt, erfährt man aus diesem Film hingegen nicht. Bei solchen Aspekten führt das strenge filmische Konzept leider zu bedauerlichen Leerstellen. Gern hätte man erfahren, inwieweit die ewig suchende Libuše Jarcovjáková inzwischen ihr Glück und zu sich selbst gefunden hat.

„Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte“,
Tschechien/Slowakei/Österreich 2024,
Regie: Klára Tasovská,
Seit 27.02. im Kino

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