Flucht nach vorn: Vom Südsudan nach Deutschland

Diana floh aus dem Südsudan nach Deutschland, weil ihre lesbische Beziehung aufgeflogen war. Hier erfährt sie Rassismus – aber auch, wie Queersein gefeiert wird. Homophobie im Südsudan wird seit der Kolonialzeit vor allem von der christlichen Kirche stark vorangetrieben
Diana wollte nie ihre Heimat verlassen. Die 32-Jährige kommt aus Juba, der Hauptstadt des Südsudan. Sie arbeitete als Polizistin, in ihrer Freizeit war sie Fußballtrainerin und ging in die Kirche. Viele Menschen kannten und respektierten sie. Bis ihre Beziehung zu einer anderen Frau ans Licht kam. Mehrmals gab es Gerüchte, Diana könne lesbisch sein. Homosexuelle Handlungen sind im Südsudan verboten und können mit zehn Jahren Haft bestraft werden. Sicherheitshalber möchte Diana ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen.
Meistens konnten die Gerüchte zerstreut werden, stets verleugnete Diana ihre Queerness und ihre Partnerin. „Ich sagte ‚Nani, Nani? Ich kenne keine Nani.‘ Dabei war das der Name meiner Freundin.“ So erzählt sie der SIEGESSÄULE vom Gespräch mit einer Kollegin und ein Stück weit schützte der Status als Polizeibeamtin sie vor strafrechtlicher Verfolgung. Ein Beweisfoto änderte die Lage: Der Staatssicherheitsdienst wolle Diana ins „Blaue Haus“ bringen. So lautete zumindest die Warnung einer Freundin, die bei einer Frauenrechtsorganisation aktiv ist.
„Wer dort reinkommt, kommt lebendig nicht mehr raus.“
Laut einem Bericht von Amnesty International ist das „Blaue Haus“ eine Hafteinrichtung des Nationalen Sicherheitsdienstes. „Wer dort reinkommt, kommt lebendig nicht mehr raus“, erklärt Diana. „Dann ist man eine politische Gefangene.“ Bevor es so weit kommen konnte, organisierte die Freundin ihre vorübergehende Ausreise ins Nachbarland Uganda. Und im vergangenen Juli dann nach Deutschland. „Zuerst habe ich abgelehnt. Ich wollte nirgendwohin. Ich wusste nicht einmal, wo Deutschland liegt.“ Außerdem bezahlte Diana die Schulgebühren einiger Neffen und Nichten, kümmerte sich um die Familie. Schließlich ließ sie sich doch von der Flucht überzeugen – tot könne sie ihrer Familie nun mal auch nicht helfen.
Konflikt mit gesellschaftlichen Normen und Glauben
Ihre Familie weiß bis heute nicht, dass Diana queer und deswegen geflohen ist, wobei sie es wahrscheinlich vermutet. Wenn sie mit ihren Geschwistern telefoniert, wird sie immer wieder danach gefragt. Und obwohl die Antwort keine Gefahr mehr darstellt, „streite ich es immer ab, sonst werden sie mich für den Rest ihres Lebens hassen“, ist Diana überzeugt. Stattdessen erzählte sie im Laufe des zurückliegenden Jahres immer neue Ausreden: dass sie in Deutschland einen Fußballkurs mache, dass sie vor dem Fußball- noch einen Sprachkurs machen musste und zuletzt, dass sie ihn nicht bestanden habe und wiederholen müsse. Dass sie ihnen irgendwann die Wahrheit sagen muss, belaste sie jeden Tag.
„Sie bringen uns dazu, uns selbst zu hassen.“
Sie ist die Jüngste von acht Geschwistern und bei ihrer älteren Schwester aufgewachsen. Mit nur sieben Jahren machte diese sie zum Kindermädchen ihrer eigenen Kinder. Das sei Tradition und habe sie schnell erwachsen werden lassen. Offen über ihre Gefühle reden, konnte sie im Haus ihrer Schwester nie. „Was immer passiert, egal was ich fühle, ich behalte es für mich“ – das habe Diana sich angewöhnt und auch so gehalten, als sie ihre Sexualität entdeckte. Zumal sie das Gefühl hatte „Da stimmt etwas nicht.“ Mit 18 Jahren ging sie auf ein College im Gebiet des heutigen Sudan und bekam ihr erstes Smartphone, mit dem sie anfing zu recherchieren, was es bedeutet, etwas für Frauen zu empfinden. Über die sozialen Medien lernte sie ihre erste Freundin kennen, eine Kenianerin. „Das war das erste Mal, dass ich mich wie ich selbst fühlte“, erzählt Diana. Gleichzeitig empfand sie einen Konflikt mit ihrem christlichen Glauben. Ihr Vater sei Pastor gewesen, sie selbst in der Kirche groß geworden, habe im Chor gesungen. Doch die Bischöfe hätten das Tabu der Homosexuaität im Südsudan überhaupt erst stark gemacht. „Sie bringen uns dazu, uns selbst zu hassen“, reflektiert sie heute.
Als der Südsudan 2011 unabhängig vom Sudan wurde, musste Diana ihr College-Studium abbrechen, kehrte nach Juba zurück und besuchte dort die Polizeischule. Als Polizistin beschäftigte sie sich später mit Sexualstraftaten, häuslicher Gewalt und Zwangsehen. Als 2013 ihre Mutter starb, verfiel sie in eine Depression und beendete ihre erste Beziehung. „Es war für mich, als würde ich das Leben verlieren.“ Fünf Jahre später starb auch ihr Vater. 2021 lernte sie Nani kennen, eine junge Frau aus ihrem Fußballteam, mit der sie „eine perfekte Beziehung“ und eine „wirklich schöne Zeit“ hatte – im Verborgenen natürlich. Bis eine Freundin von Nani herumerzählte, dass die beiden ein Paar sind. Das sei das Schlimme an der gesamtgesellschaftlichen Queerfeindlichkeit: dass man sich niemandem anvertrauen könne, selbst enge Freund*innen würden dir in den Rücken fallen und dich anzeigen. Sicherheitshalber trennten sie und Nani sich. Dianas Familie reichte das nicht: Sie müsse heiraten, um zu beweisen, dass sie wirklich nicht lesbisch sei. Diana willigte in die arrangierte Ehe ein, trennte sich nach einem halben Jahr jedoch von ihrem Mann.
Verraten von der eigenen Familie
Im Juni 2022 kam sie wieder mit Nani zusammen. Diesmal wollten sie vorsichtiger sein, erzählten niemandem davon und trafen sich nur in einer Mietwohnung. „Wir waren so verliebt“, schwärmt Diana noch heute. Doch sie waren nicht vorsichtig genug: Sie machten Fotos miteinander, auf denen sie sich küssen. Die Schwester von Nani fand diese Fotos auf ihrem Handy, erzählte der Mutter davon und die ging zur Polizei. Nani war acht Jahre jünger als Diana, zu diesem Zeitpunkt erst 22 Jahre alt – natürlich erwachsen, doch die Verantwortung wurde Diana zugeschoben. „Ich bin innerlich fast gestorben.“
„Wir waren so verliebt.“

Drei Tage verbrachte sie in Untersuchungshaft, wurde mangels Beweisen jedoch wieder entlassen. Nani hatte sämtliche Fotos natürlich längst gelöscht. Ihr Bruder verprügelte Diana – so stark, dass sie ins Krankenhaus musste. Dann fand Nanis Familie die Kuss-Fotos im Papierkorb des Handys und ging damit zu einem Verwandten, der beim Nationalen Sicherheitsdienst arbeitete. Gegen diesen Feind half schließlich nur noch die Flucht. Im Gegensatz zu vielen anderen Geflüchteten bekam Diana ein Visum für Deutschland und von der Frauenrechtsorganisation auch ein Flugticket.
Die ersten zehn Tage in Deutschland verbrachte Diana in der Erstaufnahmeeinrichtung im brandenburgischen Eisenhüttenstadt, danach drei Monate in einer Flüchtlingsunterkunft in Frankfurt (Oder). „Dort war es am schlimmsten.“ Diana gehörte zu den wenigen Schwarzen und nicht-muslimischen Geflüchteten und auch unter ihnen herrschte Rassismus und Queerfeindlichkeit. Sie konnte sich dort nicht sicher fühlen, sei kaum vor die Tür gegangen. Im November 2023 zog sie um in ihr jetziges Wohnheim in Schöneiche, westlich von Berlin. Wirklich wohl fühlt sie sich auch dort nicht. Außer einer anderen Südsudanesin, mit der sie sich ein Zimmer teilt, hat sie keine Freund*innen. Bis Oktober arbeitete sie in einer Eisdiele, aber generell sei es nicht so einfach, sich in Schöneiche zu integrieren.
Rassistische Erfahrungen an der Tagesordnung
Auf Bahnfahrten stellt Diana fest, dass niemand neben ihr sitzen will. Im Zug von Frankfurt (Oder) nach Berlin wurde Diana von der Polizei mitgenommen, obwohl sie sich mit ihrem gültigen Geflüchtetenausweis in ganz Deutschland frei bewegen darf. Auf der Polizeiwache wurde sie eine ganze Weile schikaniert. „Verdachtsunabhängige Kontrollen“ nennt die Bundespolizei solche Maßnahmen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes spricht von Racial Profiling, also Kontrollen aufgrund von rassistischen Kriterien.
In diesem August – knapp ein Jahr nach Antragstellung – wurde ihr Asylantrag positiv beschieden. Nun soll sie deutsch lernen und einen Beruf ergreifen. Mit einen Deutschkurs hat sie bereits begonnen und legt bald ihre erste Sprachprüfung ab. Dass sie in Deutschland wieder als Polizistin arbeitet, kann sie sich nicht vorstellen, eher eine Ausbildung in einem handwerklichen Beruf oder im Sicherheitsdienst.
Obwohl sie ihr Zuhause wahnsinnig vermisst, möchte Diana nun in Deutschland bleiben, weil sie sich hier als queerer Mensch nicht verstecken muss, heiraten und eine Familien gründen kann – wenn auch nicht mit Nani. Sie hat zwar noch Kontakt zu ihr, sich inzwischen aber getrennt. Noch immer ist es schwer für Diana, offen mit der eigenen Homosexualität umzugehen und das Gefühl loszuwerden, dass andere Menschen sie hassen oder angreifen könnten. Eine Therapeutin hilft ihr dabei, damit sie irgendwann vielleicht mit ihrer Familie darüber reden kann. „Unglaublich“ seien Erfahrungen wie ihr erster CSD in Berlin gewesen, wo Queerness gefeiert wird, oder ein Besuch der Oya Bar, in der sie andere Schwarze Queers traf. Deshalb sucht sie aktuell eine eigene Wohnung in Berlin, einen Ort, an dem sie sich als queerer Mensch „sicher und frei fühlen“ kann.
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