Feinfühliges Porträt einer trans Frau in Polen: „Frau aus Freiheit“
„Frau aus Freiheit“ erzählt in poetischen Bildern von einer trans Frau, die sich vor den politischen Umbrüchen in Polen ihrer Geschlechtsidentität bewusst wird. Ein bewegendes Drama über eine jahrzehntelange Selbstsuche
Andrzej (Mateusz Wieclawek) ragt aus der Menge heraus, ohne es zu wollen. Das führt bereits die erste Einstellung dieses aus poetischen Bildern komponierten Dramas vor Augen: Eine Schar Kinder hat sich formiert, um die Erstkommunion zu empfangen. Aus einem Meer aus weißen Kleidern sticht ein einzelner schwarzer Anzug hervor – und mit ihm das Kind, das ihn trägt und sich sichtbar unwohl darin fühlt. Später verweigert sich Andrzej etwa, mittlerweile hochgewachsen und hager, während der Musterung für das Militär die Socken auszuziehen. Nach einem Schnitt ragen lackierte Zehennägel bedrohlich über den Rand einer Eisenbahnbrücke hinaus.
Stiller Erzählstil mit nachhallender Wirkung
„Frau aus Freiheit“ bedient sich gerade zu Beginn solcher kleiner, aber vielsagender Vignetten, um das aufkeimende Abweichen seiner angenehm komplexen Hauptfigur von eingefahrenen Geschlechterrollen zu illustrieren. Für seinen stillen Erzählstil dürfte sich das Regie- und Autorenduo Małgorzata Szumowska und Michał Englert aber nicht nur wegen seiner nachhallenden Wirkung entschieden haben. Ihr bewegendes Porträt einer Selbstsuche setzt in den späten 1970er-Jahren und damit zu einer Zeit ein, als zumindest abseits der westlichen Metropolen schlicht die Begriffe fehlten, um über Transidentität zu sprechen.
Deshalb ist sich auch die in der polnischen Provinz beheimatete Hauptfigur selbst über viele Jahre hinweg gar nicht darüber im Klaren, was das Unwohlsein mit dem eigenen Körper eigentlich bedingt und bedeutet. Die anfangs noch diffuse Anziehung zum Weiblichen aber bedarf keiner Worte, um Bestand zu haben: Wohl ohne die exakte Absicht zu kennen, nimmt Andrzej später etwa heimlich die Hormontabletten seiner Mutter ein.
Sorgsam erzählt der Film die allmähliche innere Transition der Hauptfigur vor dem Hintergrund der großen politischen Umbrüche Polens.
Wohltuenderweise versteigen sich die Regisseur*innen aber nicht dazu, dieses Dasein als ein Leben im gänzlich Falschen zu verurteilen. Andrzej verliebt sich in jungen Jahren ganz aufrichtig in Iza (Bogumila Bajor/Joanna Kulig). Ihr frühes Glück wird in leuchtenden Farben gezeichnet, die im aufregenden Kontrast zum bleiernen Grau des kommunistischen Polens stehen. Auf die Hochzeit folgt jedoch nicht nur rasch das erste Kind, auch die Zweifel über die eigene Identität nehmen zu. Sorgsam erzählt der Film die allmähliche innere Transition der Hauptfigur vor dem Hintergrund der großen politischen Umbrüche Polens. Mit der letztlichen Öffnung des Landes eröffnen sich auch neue Möglichkeiten: Im Internet ist plötzlich von Phänomenen wie „Cross Dressing“ die Rede und in Warschau trifft sich regelmäßig eine Selbsthilfegruppe für trans* Menschen.
Der Weg aber, bis sich Andrzej (später gespielt von Małgorzata Hajewska-Krzysztofik) endgültig zu sich bekennt und offen als Aniela lebt, ist weit und von finanziellen sowie rechtlichen Hürden geprägt, die es auch dann noch zu überwinden gilt, als die inneren Kämpfe bereits gewonnen scheinen. Małgorzata Szumowska und Michał Englert breiten beides minutiös über den monumentalen Zeitraum von 45 Jahren aus. Die Geschichte, die „Frau aus Freiheit“ ersinnt, ist letztlich aber nicht nur die einer zermürbenden Odyssee, sondern auch die eines leisen, deswegen aber nicht weniger strahlenden Triumphes.
„Frau aus Freiheit“
Polen/Schweden 2023
Regie: Małgorzata Szumowska und Michał Englert
Mit Mateusz Wiecławek und Małgorzata Hajewska (Foto) u. a.
Ab 07.11. im Kino
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