Fetisch und Queer: Bitte sexpositiv bleiben!
Welche Rolle spielen Fetisch und BDSM für die LGBTIQ*-Community und werden in Fetisch und Kink patriarchiale Machtverhältnisse reproduziert? Zu Folsom sprachen wir mit Dr. Peter Rehberg, Queertheoretiker, Autor („Hipster Porn") und Archiv- und Sammlungsleiter des Schwulen Museums
An diesem Wochenende findet endlich wieder Folsom, Europas größtes Fetischevent, in Berlin statt. Kaum jemand würde bestreiten, dass es sich hier um eines der zentralen Communityevents handelt. Dennoch werden immer wieder Fragen gestellt wie: Inwieweit gehören Fetisch- und BDSM-Kultur zur queeren Community? Sind sie überhaupt selbstverständlicher Teil queerer Sichtbarkeit? Die Debatten darum scheinen kein Ende zu finden. In diesem Jahr waren sie besonders wahrnehmbar. Vor allem nach dem das Orga-Team des CSD-Bremen im Juli zeitweise forderte, Darstellungen von Fetischen auf dem Pride zu unterlassen. Ein medialer Aufschrei war die Folge. Dabei wurde immer wieder die Rolle der Fetisch- und Lederszene für die queere Emanzipationsbewegung betont. Ohne Fetisch und Kink wäre es kein Pride, lautete desöfteren die Antwort. Dennoch sind dies keine rein queeren Phänomene. Wir fragten Dr. Peter Rehberg vom Schwulen Museum, welche Bedeutung die Fetisch- und BDSM-Kultur für die Szene hat und wo ihr queeres Potential liegt.
Peter, welche historische Bedeutung hat die Fetisch- und Lederszene für die queere Emanzipation? In den späten 70ern und 80ern entstand ein Bündnis zwischen nicht-normativen Formen der Sexualität, zwischen sexpositiven „Perversen“. Auslöser war die Aidskrise. Da haben bürgerrechtliche Forderungen erst mal keine so große Rolle gespielt. Zu dieser Kultur gehörte queere und fetischistische Sexualität, zum Beispiel gab es auch Bündnisse mit heterosexuellen SM-Leuten. Auch um 1990 herum lag der Fokus von Queer eher auf der Sexualität. Dreißig Jahre später ist das nicht mehr so. Queer hat eine Wandlung durchgemacht.
Inwiefern hat bei diesen Bündnissen die Aidskrise eine Rolle gespielt? Sexualität wurde durch Aids politisiert. Einfach, weil Aids das alte Stereotyp von männlicher Homosexualität als Krankheit reaktiviert hat und man politisch die Notwendigkeit sah dem etwas entgegenzusetzen. Es gab auf die Krise in der westlichen Welt zwei Reaktionen: Die eine sah in der schwulen, sexpositiven Kultur selbst schon das Problem. Die andere war genau das Gegenteil und sah diese Kultur als Errungenschaft an. Zum Beispiel, weil sie auch Netzwerke beinhaltete, wo Safer-Sex-Informationen weitergegeben wurden.
„Der Leitgedanke bei Queer war früher weniger die Trennung in hetero und homo, sondern die Differenz war normativ und nicht normativ."
Würdest du sagen, Fetisch und BDSM haben queeres Potenzial? Der Leitgedanke bei Queer war früher weniger die Trennung in hetero und homo, sondern die Differenz war normativ und nicht normativ. Während der sexuellen Revolution wurde der experimentellen Sexualität eine gesellschaftsverändernde Kraft zugesprochen. Einer der entscheidenden Aspekte von BDSM und Fetisch ist ja die nicht-genitale Lust. Das ist ja quasi schon ein nicht normativer Gebrauch des Körpers. Diese neue Ordnung des erotischen Körpers ist etwas, das die unterschiedlichen Gruppen zusammenbringen kann. Es gibt aus den 70er-Jahren Geschichten über SM-Partys in San Francisco, die als Orte der sexuellen Utopie zelebriert wurden. Dort waren die sexuellen Kulturen nicht mehr eindeutig voneinander zu unterscheiden.
In queer-feministischen Kreisen wird immer wieder diskutiert, ob bestimmte Fetische patriarchale Machtverhältnisse reproduzieren. Wie siehst du das? Ich würde mich weder hinstellen und sagen: Das ist eine Glorifizierung von Männlichkeit, noch würde ich sagen: Nein, so wie Männerkörper da transformiert werden, ist das genau das Gegenteil. Es gibt beides. Wir können ja mal ein klassisches Beispiel nehmen: Bei Tom of Finland finden sich Attribute wie Leder, Uniform, Motorräder und so weiter. Das ist ein Kokettieren mit Macht. Sie spielt definitiv in der Erotik eine Rolle. Und gleichzeitig wird der ganze Männerkörper in Uniform in eine Lustzone verwandelt. Das ist etwas ganz anderes als der uniformierte Macho beim Militär.
„Ich empfinde das exzessive und demonstrative Ausleben einer sexpositiven Kultur als interessantes Phänomen, das ich nicht pauschal einordnen will."
Versteht sich die queere Fetisch- und BDSM-Szene heutzutage noch als politisch? Ich glaube, dass es bei den Schwulen und auch bei anderen Queers immer noch eine Kultur gibt, die in der politischen Tradition der 70er- und 80er-Jahre steht. Vor allem in FLINT-Zusammenhängen gibt es noch eine Experimentier-Kultur mit BDSM, wo es um Fragen der Selbstbestimmung, Patriarchatskritik oder Traumabewältigung geht. Aber ich finde, man kann nicht wirklich behaupten, dass die Folsom als Großevent noch dieses Anliegen hätte. Man kann zu Recht Folsom als ein hedonistisches, kommerzialisiertes Spektakel verstehen. Trotzdem ist da die Frage: Was heißt Hedonismus? Ist der Wunsch nach Lustgewinn automatisch apolitisch? Ist das automatisch nur konsumistisch? Ich würde das nicht sagen. Ich empfinde das exzessive und demonstrative Ausleben einer sexpositiven Kultur als interessantes Phänomen, das ich nicht pauschal einordnen will.
Nachdem der CSD Bremen dieses Jahr Fetischdarstellungen bei der Pride verbieten wollte, entbrannte die Diskussion darum, ob Fetisch und Kink überhaupt zum CSD gehören sollte. Wie stehst du dazu? Worüber man da reden muss, ist meiner Meinung nach die Ursprungsgeschichte von Queer, die ich vorhin erwähnt habe. Das eine ist die, aus meiner Sicht, notwendige Verschiebung von Queer in Richtung Intersektionalität. Das andere ist die Gegenwart einer Kultur, in der es um die Respektabilität von Queerness geht, die ich kritisiere. Fetisch wird sehr leicht skandalisiert. Sicher gibt es Leute, die sich bei CSDs daneben benehmen. Aber das ist natürlich ein gefundenes Fressen für diejenigen, die die Szene insgesamt diffamieren wollen. Da sollten wir zwar kritisch auf unser Verhalten schauen, aber meiner Ansicht nach sollte das nicht dazu führen, dass Kink kein Teil von CSDs mehr ist. Ich empfinde die sexpositive Kultur als einen wesentlichen Bestandteil von Queer. Ich wäre nicht bereit diese zu opfern
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