Diversität in der Klassikbranche

Festival Young Euro Classic

6. Aug. 2024 Philipp Amelungsen
Bild: Mutesouvenir / Kai Bienert
Lebendige Jugendkultur, die auch im klassischen Konzertsaal stattfindet.

Das Festival Young Euro Classic bietet im August jungen Musiker*innen aus Europa und der ganzen Welt eine einmalige Bühne für Vielfalt – die in der Klassikbranche ansonsten eher selten zu finden ist

Ein Blick in den Orchestergraben genügt meistens, um zu verstehen, was der Begriff „Elite“ bedeutet: Da sitzen an ihren Instrumenten meist mittelalte, weiße Menschen (40 Prozent Frauen immerhin und 60 Prozent Männer) mit – zumindest in Bezug auf die 130 deutschen Berufsorchester – extrem guten, oft unbefristeten Verträgen, die sich am Monatsende über ein für den restlichen Kulturbetrieb sehr auskömmliches Gehalt freuen dürfen. Auch programmatisch ist die Klassik ziemlich elitär. Hochkultur halt. Bach, Beethoven, Brahms, Bruckner. Kurz: Die deutschsprachige Klassikwelt bildet kaum die Diversität ab, die für die meisten Menschen, die hier leben, bereits Realität ist.

Die deutschsprachige Klassikwelt bildet kaum die Diversität ab, die für die meisten Menschen bereits Realität ist.

Zugutehalten könnte man, dass laut Statistik der Deutschen Orchestervereinigung 27 Prozent der Musiker*innen in Berufsorchestern nicht in Deutschland geboren sind. Andererseits zählen zu Diversität, neben ethnischer Herkunft, auch Merkmale wie Geschlecht, Alter, Behinderung, gesellschaftliche Herkunft, Religion bzw. Weltanschauung sowie sexuelle Identität. Zoomen wir näher heran, müssen wir lange suchen, bis wir People of Color, Frauen oder offen queere Menschen in Spitzenpositionen der Klassikwelt finden. Wobei hier erfreulicherweise Bewegung im Spiel ist. Seit 2023 ist Joana Mallwitz Chefdirigentin und Künstlerische Leiterin des Berliner Konzerthausorchesters, und mit Beginn der Spielzeit 2024/2025 leitet der Schwarze und queere US-Amerikaner Michael Ellis Ingram als Chefdirigent das Orchester der Staatsoperette Dresden. Das aber sind wirklich Ausnahmen. Unsere Orchester werden mehrheitlich von straighten Dudes geleitet.

Das aber sind wirklich Ausnahmen. Unsere Orchester werden mehrheitlich von straighten Dudes geleitet.

Queer sein am Dirigent*innenpult ist bis heute nicht so richtig angesagt. Spekulationen, ob Beethoven homosexuelles Begehren oder gar Schwarze Vorfahren hatte, lösten erst kürzlich wieder empörte Reaktionen in der Musikszene aus, denn als Genie und Hausheiliger ist man, bitte schön, weiterhin hetero und weiß.

Diversität in der Klassikwelt

Wie gut Diversität tut, sieht man hingegen am Young-Euro-Classic-Festival, das seit 25 Jahren im Konzerthaus am Gendarmenmarkt das kulturelle Sommerloch schöner macht. Hier kommen internationale Jugendorchester zusammen und zeigen, dass lebendige Jugendkultur nicht nur im Club, sondern auch im Konzertsaal stattfindet. Dabei geht’s zwar auch – ganz ohne elitäre Kraftausdrücke funktioniert’s eben doch nicht – um Exzellenz, aber ebenso um Begegnung, Austausch und Miteinander. Ein neugieriges Publikum findet vom 9. bis 25. August vor allem ein facettenreiches Programm mit spannenden Entdeckungen. In Bezug auf Diversität sticht vor allem „re:play – Freiheit der Töne“ hervor, ein Festival-im-Festival für Klassik außerhalb der europäischen Orchesterkultur. Junge Musiker*innen aus Südamerika, Südafrika sowie aus Ländern Zentralasiens wie Kasachstan und Turkmenistan ebenso wie aus Indien, China und der Mongolei lassen uns an der musikalischen Kultur ihrer Herkunftsstaaten teilhaben. Da gibt es starke weibliche Stimmen wie das iranischstämmige Frauenensemble Aban oder die chinesische Percussionistin Shengnan Hu*.

Bild: NYOS Camerata
Das Team der britischen NYOS Camerata.

Im schottischen Programm des „re:play“-Festivals liegt bei NYOS Camerata die Betonung auf weiblichen und nicht binären Stimmen mit Komponist*innen der Vergangenheit und Gegenwart. So präsentiert das Ensemble beispielsweise die Komposition „Trans“ des*der nicht binären Komponist*in Malin Lewis sowie ein Lied der Musikerin Kim Carnie, die ebenfalls der LGBTIQ*-Community angehört. Das Konzert findet am 24. August nachmittags um 15:30 Uhr im Musikclub des Konzerthauses statt. Und wer weiß, vielleicht gibt’s Musik queerer Menschen nächstes Jahr ja auch prominent im Abendprogramm von Young Euro Classic. Denn es darf dort definitiv ein bisschen mehr sein.

*In einer älteren Fassung des Textes stand, dass Shengnan Hu queer sei. Wir haben diesen Fehler korrigiert. Sie ist zusammen mit dem Ensemble Aban eine wichtige Frauenstimme beim diesjährigen Festival.

SIEGESSÄULE präsentiert: Young Euro Classic
09.08., 20:00 (Eröffnung) bis 25.08.
Konzerthaus
young-euroclassic.de

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