Feminismus kann nur queer sein
Die Regisseurin Katharina Mückstein machte im Sommer 2022 Schlagzeilen, als sie die erste große #MeToo-Debatte in der österreichischen Filmbranche auslöste. Ihre Doku „Feminism WTF“ macht deutlich, dass der Feminismus des 21. Jahrhunderts breiter gedacht werden muss. Die Gesellschaft ist längst über das Thema „Geschlechtergleichheit“ hinausgewachsen
„Feminismus bringt die ganze gesellschaftliche Ordnung in die Krise. Und das stimmt auch so. Und das wollen wir auch.“ Szenenwechsel: Eine Gruppe junger Menschen läuft waffenschwingend (mit Hammern, Schlagstöcken, Boxhandschuhen) und brüllend auf das „Patriarchat“ zu – einen ernst dreinblickenden, männlich-stilisierten Schlagdummy mit roter Schleife. Die Stimmung: Jetzt wird abgerechnet! Bereits in den ersten Minuten von „Feminism WTF“ stellt die österreichische Regisseurin Katharina Mückenstein klar: Feminismus ist eine kämpferische Bewegung. Und: dieser Kampf ist noch lange nicht vorbei.
Der 96-minütige Film ist Mückensteins Antwort auf den aktuellen medialen Diskurs über Feminismus, in dem es ihrem Gefühl nach oft ausreichen würde, eine „Meinung“ zum Thema zu haben. Expert*innenwissen sei kaum gefragt. Dem will sie etwas entgegensetzen. Vor der Kulisse leerer Büroräume zeichnen elf Protagonist*innen aus Politik- und Sozialwissenschaft, Männlichkeitsforschung, Gender, Queer und Trans Studies ein Bild von modernem Feminismus: mit Vielfalt, Intersektionalität, Vielschichtigkeit. Es geht zudem um den Mythos der Zweigeschlechtlichkeit, um europäischen Kolonialismus, um Rassismus, um Kapitalismus. Außerdem geht es um Räume – Raum nehmen, Raum geben, welche Körper dürfen in welchen Räumen existieren, welche nicht? Wie werden sie wahrgenommen?
Wem die leeren Büroräume in diesem Filmessay und der akademische Diskurs mit den vielen „Talking Heads“ ein wenig zu sehr nach ARD-Mediathek schmecken, liegt mit dieser Einschätzung nicht unbedingt falsch. Doch wird das Weiß-Grau der drögen Kulisse durch ein farblich auf die Outfits der Protagonist*innen abgestimmtes Setdressing durchbrochen. Das sieht sehr stylish aus und definitiv nicht nach ARD-Mediathek.
Es wird getanzt, gerungen, geknutscht
Auch die inhärente Körperlichkeit des Themas ist präsent. Gesellschaftliche Ungleichheit beruht auf der Wahrnehmung und Einordnung von Körpern. Daran wird zwischen den Interviewausschnitten durch Performances erinnert. Es wird getanzt, gerungen, geknutscht. Es wird in den Spiegel nach Identitäten geschaut – eine weiße cis Frau vs. eine Schwarze cis Frau vs. einen weißen cis Mann, der die Freiheit hat, sich einfach als „Mensch“ wahrzunehmen.
„Feminism WTF“ zeigt auch, dass Feminismus nur queer sein kann. Zweigeschlechtlichkeit und „Biologie als Schicksal“ sind das Erste, was aus dem Weg geräumt werden müsse, heißt es. Zur Veranschaulichung, was für ein Quatsch es ist, von biologischem Geschlecht und passenden sozialen Veranlagungen zu sprechen, zeigt Mückenstein ein Sozialexperiment mit Babys, das man gern bestimmten Gesellschaftskommentator*innen in deutschsprachigen Tageszeitungen um die Ohren hauen würde.
Feminismus ist nicht binär. Der größte Schritt für weniger Ungleichheit ist der Schritt aus der Geschlechterbinarität. Das ist es, worum es im Film geht. Nicht um „Frauenquoten“ oder „Männerhass“. Die Doku stellt klar: toxische Männlichkeit, das Patriarchat und seine scharfen Grenzen schaden letztlich uns allen.
Was ist Feminismus heute?
Natürlich ist vieles davon nicht neu. Das Rad erfindet dieser Film nicht. Er ist eher ein Lehrstück, ein kleines „Feminism 1.01“. Er lädt ein, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen. Er gibt Stimmen und Perspektiven Platz, die der weiße deutsche Feminismus gern überhört. In Zeiten von zunehmendem Antifeminismus, in Zeiten, wo Menschen „Barbie“ als Anti-Männer-Propaganda kritisieren, bietet „Feminism WTF“ Argumente und Klarstellungen, was Feminismus in unserer heutigen Zeit ist – und warum wir ihn noch immer brauchen.
Es stellt sich natürlich die Frage, ob man für solch einen Film wirklich ins Kino gehen muss, Dokumentationskino ist ja generell eher eine Nischenangelegenheit. Aber, wie der Film zeigt: Feminismus heißt auch Raum beanspruchen, Raum einnehmen. Den Raum, den Barbies #girlboss-Feminismus einnimmt, verdient dieser Film allemal.
Feminism WTF,
Österreich 2023,
Regie: Katharina Mückstein.
Mit Maisha Auma, Persson Perry Baumgartinger, Astrid Biele Mefebue, Nikita Dhawan u. a.
Ab 07.09. im Kino
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#queer#Feminismus#Kinostart