Sebastian Czaja: „Ohne Rücksicht auf Wahlchancen“
Mit 38 ist Sebastian Czaja der jüngste Spitzenkandidat für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 26. September. Im SIEGESSÄULE-Interview grenzt sich der FDP-Fraktionschef gegen die Grünen ab, verspricht Wohnungen und fordert eine neue Drogenpolitik
Herr Czaja, auf dem Parteitag der Berliner FDP haben Sie angekündigt, die Berliner*innen zu versöhnen. Wo streiten wir denn zu heftig? Zum Beispiel in der Verkehrspolitik, wo der Senat nur Verbote aufstellt, statt Angebote zu machen. Oder in der Wohnungspolitik, wo der Senat Konflikte zwischen Mietern und Vermietern schürt, anstatt für das eigentliche Problem – den Wohnraummangel – nach Lösungen zu suchen. Das führt zu extremen Spannungen in der Stadt.
Wie würden Sie für Ausgleich sorgen? Es geht darum, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, wie die Stadt in Zukunft aussehen soll. Für mich gehört dazu: Jeder soll ein Dach über dem Kopf haben. Jeder soll sicher und klimafreundlich von A nach B kommen – egal mit welchem Verkehrsmittel. Und in der Wohnungspolitik müssen alle an einen Tisch! Das Beispiel Hamburg hat gezeigt: Wenn ein Land wirklich ALLE Akteure auf dem Wohnungsmarkt zusammenbringt und mit ihnen eine gemeinsame Verabredung trifft, dann kann das Konflikte abbauen und zu einer langfristigen Lösung führen.
Selbst wenn alle Beteiligten plötzlich ein Herz und eine Seele wären: So schnell entstehen keine neuen Wohnungen. Ja, Berlin braucht 200.000 neue Wohnungen, aber das Bauen dauert nun mal eine gewisse Zeit. Für die akuten Nöte am Wohnungsmarkt brauchen wir kurzfristige Lösungen. Deshalb möchte ich zu einem funktionierenden Mietspiegel für Berlin zurückkommen. Den gab es, aber der Streit um den Mietendeckel hat diesen Konsens zwischen Mietern und Vermietern pulverisiert.
Was wären die wichtigsten Maßnahmen, um neue Wohnungen zu schaffen? Wir fangen mit dem an, was der Staat am besten kann: Wir vereinfachen Gesetze so, dass wir bei den Baugenehmigungen schneller werden. Zudem müssen wir unsere Brachen schneller füllen. Berlin braucht endlich ein Baulückenkataster, wie es das in Stuttgart, Mühlheim oder Frankfurt (Oder) längst gibt. Helfen wird auch die Typenbaugenehmigung – diesen Vorschlag von uns hat der Senat zum Glück schon aufgegriffen. Das heißt: Ein bereits genehmigter Baukörper kann mehrfach gebaut werden und braucht nicht jedes Mal wieder eine neue Baugenehmigung für Mitte, Charlottenburg und Köpenick.
„Eins ist klar: Wir werden Berlin nicht zu 100 Prozent konservieren können“
Der Neubauboom bedroht auch viele alternative Freiräume, zum Beispiel Wagenplätze. Gehören die noch in Ihr Zukunftsbild von Berlin? Erstens gilt: Es braucht immer solche Rückzugsorte! Zweitens müssen wir aber festhalten: Berlin steht gerade vor einer sehr chancenreichen Entwicklung. Deshalb kommen wir nicht drum rum, alternative Standorte für solche Initiativen zu suchen. Vielleicht gelingt es uns mit innovativer Baukultur sogar, die verschiedenen Ansprüche an einem Standort ineinander zu verweben. Aber eins ist klar: Wir werden Berlin nicht zu 100 Prozent konservieren können. Jeder, der das verspricht, ist nicht ehrlich!
Bei der letzten Auseinandersetzung in der Rigaer Straße haben Sie die Besetzer*innen als „Terroristen“ bezeichnet. Die Grünen verteidigen deren Ansprüche. Würden Sie trotzdem mit den Grünen regieren? Jetzt ist erst einmal Wahlkampf, da geht es nicht um Koalitionen, sondern um Inhalte. Und wenn es um die Krawalle in der Rigaer geht: Es ist dermaßen ärgerlich, wie die Nachbarschaft dort in Angst und Schrecken versetzt wird – und wie dort mit unserer Polizei umgegangen wird! Ich erwarte auch von einer grünen Bezirksbürgermeisterin, dass sie sich hinter unsere Sicherheitskräfte stellt. Sie sind die erste Verteidigungslinie unseres Rechtsstaats. Und der muss hier mit aller Konsequenz durchgreifen. Bei den besetzten Häusern gibt es keine Schnittmengen mit den Grünen!
„Bei der CDU hatten wir hinter verschlossenen Türen oft einen sehr klaren Blick auf die Probleme in Berlin. Aber dann haben wir uns nicht getraut, die Lösungen öffentlich zu vertreten“
Mit wem würden Sie derzeit lieber regieren: mit den Grünen oder der SPD? Wir haben klar gesagt: Kein Bündnis mit der AfD, keins mit der Linken! Aber wir stehen bereit, um konstruktiv über eine Koalition der Mitte zu verhandeln.
Ihre politische Laufbahn hat nicht in der FDP begonnen, sondern in der CDU. Was hat sich seitdem stärker verändert: die Politik der CDU oder Ihre politischen Überzeugungen? Kurz gesagt: Ich habe mich weiterentwickelt. (lacht) Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung, mich ab 2005 in der FDP zu engagieren.
Was hat Sie aus der CDU getrieben? Allgemein gesagt: Wir hatten hinter verschlossenen Türen oft einen sehr klaren Blick auf die Probleme in Berlin. Aber dann haben wir uns nicht getraut, die Lösungen öffentlich zu vertreten, aus Angst, so Wählerinnen und Wähler zu verlieren. Mir war wichtiger, im Zweifel eine klare Meinung zu vertreten – ohne Rücksicht auf Wahlchancen. Das habe ich zu DDR-Zeiten in meinem katholischen Elternhaus gelernt. Ich habe oft den Eindruck, dass uns das fehlt: die Bereitschaft, die eigene Position zu äußern und konsequent zu vertreten.
Bitte ein aktuelles Beispiel ... In der Pandemie haben wir Freien Demokraten gesagt: Im Zweifel für die Freiheit und für die Grundrechte! Wir müssen immer wieder zwischen Freiheit und Gesundheitsschutz abwägen.
„Die FDP beschäftigt sich nun intensiv mit einem Präventionsansatz in der Drogenpolitik“
Der Lockdown hat Bars, Clubs und Saunen schwer getroffen. Wie würde ein Senat mit FDP-Beteiligung sie unterstützen? Hier muss der Staat noch großzügiger sein, damit insbesondere kleine Unternehmen wieder wirtschaftlich Schwung holen können. So sollten extra Stühle vor den Türen kein Problem sein. Auch Test- und Maskenpflicht schränken die Gastronomie stark ein. Hier müssen wir natürlich mit Augenmaß vorgehen, sollten aber jedem Einzelnen möglichst viel Freiheit gewähren. Wir haben inzwischen ja auch bessere Instrumente als nur den starren Blick auf die Inzidenzzahl, zum Beispiel Apps zur Kontaktnachverfolgung.
Ein Push für die Clubs wäre es auch, wenn der Drogenkonsum erlaubt würde. Mit dieser Forderung hat die Berliner FDP auf dem letzten Bundesparteitag für Wirbel gesorgt: Eine Mehrheit war dafür, aber die Parteispitze hat den Beschluss wieder aufheben lassen. Sind die Menschen noch nicht bereit für so viel Liberalismus? Der wichtigste Grund für den Rückzieher war, dass es in der Partei noch keine tiefgreifende Diskussion zu dem Thema gab. Die läuft inzwischen. Wir setzen uns mit dem portugiesischen Modell intensiv auseinander ...
... in Portugal wurde vor 20 Jahren der Gebrauch kleiner Drogenmengen freigegeben. Gleichzeitig kommen Suchtkranke leichter an Therapien ... Ich will keine Prognose abgeben, wie der nächste Parteitag darüber entscheidet. Aber immerhin hat die Abstimmung dazu geführt, dass sich die FDP nun intensiv mit diesem Präventionsansatz beschäftigt. Aber wir sollten das nicht „Freigabe von Drogen“ nennen. Es geht um die kontrollierte Abgabe unter strengsten Vorgaben zum Gesundheitsschutz – so wie das bei Zigaretten und hochprozentigem Alkohol der Fall ist.
Haben Sie selbst gute Erfahrungen mit Drogen gemacht? Mit chemischen noch nie. Da war meine Angst immer größer als die Neugier. Ich gebe mich mit Wein zufrieden – auch auf die Gefahr hin, dass ich nun von manchen als langweilig etikettiert werde. (lacht)
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