FDP-Chef Christian Lindner über Frauen und Queers: „Wir sind offen für Neues“
Die in ihren Führungspositionen männlich dominierte FDP gilt einigen nach wie vor als Hort des Chauvinismus. In den letzten Jahren haben sich die Liberalen aber auch verstärkt für LGBTIQ*-Rechte eingesetzt. Im Rahmen unserer Berichterstattung zur Bundestagswahl am 26. September konnte SIEGESSÄULE-Autorin Paula Balov dem Bundes- und Fraktionsvorsitzenden Christian Lindner im Juni einige Fragen per E-Mail stellen
Herr Lindner, aus queerpolitischer Sicht hat sich die Haltung der FDP in den letzten Jahren verändert. Ihre Partei setzt sich verstärkt für queere Rechte ein. In ihrem Wahlprogramm finden sich Forderungen wie z. B. die Aufnahme des Merkmals „sexuelle Identität“ in Artikel 3 des Grundgesetzes, die sie vor wenigen Jahren noch ablehnten. Wie kam es zu diesem Wandel? Die freie Entfaltung eines jeden Einzelnen ist das zentrale Ziel liberaler Politik. Die FDP setzt sich daher schon lange für die Rechte von Schwulen und Lesben ein. Bereits in den 2000ern haben sich unsere Abgeordneten außerdem intensiv mit dem Transsexuellengesetz befasst. Hier hat es aber auch bei uns in den letzten Jahren eine Bewusstseinsstärkung gegeben. Noch immer werden viel zu viele Menschen in ihrer Selbstverwirklichung eingeschränkt, ausgegrenzt und diskriminiert, weil sie in ihrer Identität oder sexuellen Orientierung von der gesellschaftlichen Norm abweichen. Das muss eine liberale Kraft bewegen. Die Rechte von queeren Menschen sind für uns ein zentrales Freiheitsthema.
„Wir brauchen ein LGBTI-Inklusionskonzept in der Außenpolitik“
Eine der Forderungen ist ein europaweiter Schutz gegen Hasskriminalität und ein konsequentes Vorgehen gegen Menschenrechtsverletzungen wie z. B. in Polen, wo sich mehrere Städte und Gemeinden zu „LGBTI-ideologiefreien Zonen“ erklärten. Wie wollen Sie das erreichen? „LGBTI-freie Zonen“ wie in Polen sind Eingriffe in die Menschenrechte. Die Antwort darauf muss deshalb ein starker Rechtsstaatsmechanismus innerhalb der EU sein. Die Bundesregierung hat die deutsche Ratspräsidentschaft leider nicht genutzt, um eine wirkungsvolle Regelung voranzutreiben. Hier ist eine klare Haltung notwendig: Wenn rechtsstaatliche Prinzipien, und das betrifft gerade auch den Umgang mit sexuellen Minderheiten, verletzt werden, müssen Sanktionen innerhalb der EU folgen. Das kann zum Beispiel Fördergelder betreffen, deren Verlust gerade für Länder wie Polen sehr schmerzhaft wäre. Wir sollten hier aber nicht nur den Blick auf Europa richten. In vielen Staaten der Welt werden queere Menschen nicht nur diskriminiert, sondern verfolgt, inhaftiert oder sogar getötet. Wir brauchen ein LGBTI-Inklusionskonzept in der Außenpolitik. Wo Gesetze gegenüber Homo- oder Transsexuellen verschärft werden, muss Entwicklungshilfe notfalls auf Eis gelegt werden.
„Der Einsatz für die Rechte sexueller Minderheiten ist immer eine Grundbedingung für eine Regierungszusammenarbeit mit den Freien Demokraten.“
2017 empfahlen Sie ihrer Partei, die „Ehe für alle“ als Koalitionsbedingung für die Bundestagswahl festzuschreiben. In ihrem Programm finden sich diesmal queerpolitische Forderungen wie die Abschaffung des Blutspendeverbots für schwule und bisexuelle Männer oder die Abschaffung des „Transsexuellengesetzes“, das durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden soll. Gibt es bei dieser Bundestagswahl queerpolitische Forderungen, die die FDP als Bedingung für eine Koalition anführen würde? Der Einsatz für die Rechte sexueller Minderheiten und die Möglichkeit zu einer gesellschaftspolitischen Modernisierung ist immer eine Grundbedingung für eine Regierungszusammenarbeit mit den Freien Demokraten. Dass wir solche Prinzipien nicht einfach für ein paar Dienstwagen und Ministersessel aufgeben, haben wir 2017 bewiesen.
Die FDP spricht sich auch für die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in Unternehmen aus, legt aber viel Wert darauf, Unternehmen in ihrer Eigenverantwortung nicht zu sehr zu beschneiden. Wie soll die Achtung der Menschenrechte entlang der Wertschöpfungskette erreicht werden? Gerade im Bereich von LGBTI-Rechten können unsere Unternehmen Toleranzbotschafter sein. Globale Lieferketten sollten wir daher gerade in dieser Frage als Chance begreifen. Das Lieferkettengesetz der Bundesregierung, auf das Sie anspielen, führt leider ins Gegenteil: Global agierenden Unternehmen wird pauschal misstraut, die Verantwortung auf den Mittelstand abgeladen und internationale Konzerne am Ende noch von jeder Regel ausgespart. Auch Unternehmen muss man ethische Verantwortung abverlangen. Internationale Konventionen müssen aber auf Regierungsebene ausgehandelt und kontrolliert werden. Es ist fragwürdig, Unternehmen für Menschenrechtsverstöße außerhalb ihrer direkten Kontrolle haftbar zu machen, während der deutsche Staat in die betroffenen Länder Milliarden an Hilfszahlungen gibt, ohne auf Minderheitenrechte zu pochen.
Obwohl sich die FDP für Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit (in der Arbeitswelt) einsetzt, lehnt sie Quotenregelungen/Frauenquoten ab. Wie passt das zusammen und wie stehen sie zu einer Quotenregelung? Eine Quote bekämpft nur das Symptom, sie verdeckt aber die grundlegenden Probleme. Wir wollen Frauen die Möglichkeit geben, beruflichen Erfolg aus eigener Kraft zu verwirklichen und Hürden auf ihrem Weg abbauen. Das bedeutet, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, Mädchen und junge Frauen schon in der Schule für vermeintliche „Männerberufe“ zu begeistern, sie in ihrer Berufswahl zu bestärken und Sexismus an der Wurzel zu bekämpfen.
„Frauen und queere Menschen lade ich ausdrücklich ein, sich bei und für uns zu engagieren. Wir sind offen für Neues.“
Die FDP ist eine gerade in den Führungspositionen männlich dominierte Partei, die zudem vielen als chauvinistisch gilt. Dazu beigetragen haben u. a. auch ihre als sexistisch kritisierten Scherze auf Kosten von Grünen-Politikerin Claudia Roth und der ehemaligen FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg. Was denken sie: Warum wird die FDP so häufig mit Themen wie Sexismus und Chauvinismus in Verbindung gebracht? Was wollen sie dagegen tun? Im politischen Machtkampf wird gerne der Versuch unternommen, Etiketten aufzukleben. Ich empfehle einen Blick auf die Sache und die Programme. Der Einsatz für Vielfalt und Emanzipation gehört seit Jahrzehnten zu unserer DNA. Meine eigene parlamentarische Arbeit vor über zwanzig Jahren fing übrigens in diesem Politikfeld an. Frauen und queere Menschen lade ich ausdrücklich ein, sich bei und für uns zu engagieren. Wir sind offen für Neues. Die Verbindung aus liberaler Gesellschaftspolitik und Toleranz einerseits mit Marktwirtschaft, Gründergeist sowie Respekt vor Leistung und Eigentum andererseits gibt es nur bei uns.
Beim Thema Einwanderung will die FDP einerseits Menschen, die z. B. aufgrund homophober Verfolgung fliehen mussten, Asyl gewähren. Sie haben aber andererseits auch oft dafür plädiert, Geflüchtete abzuschieben, wenn diese nicht (mehr) schutzbedürftig sind und keine besondere Qualifikation haben. Widerspricht das nicht liberalen Werten? Im Gegenteil. Wer schutzbedürftig ist, sollte Chancen auf Bildung, Arbeit und Integration erhalten. Auch ein Spurwechsel von Asylrecht oder humanitärem Schutz als Geflüchteter hin zu qualifizierter Einwanderung sollte möglich sein. Weltoffenheit, Humanität und Toleranz leben aber auch von der Ordnung des Zugangs in unser Land. Ohne Kontrolle der Einwanderung würde jedes System sozialer Sicherheit zusammenbrechen.
„Nur mit einem soliden wirtschaftlichen Fundament lassen sich die sozialen und ökologischen Ziele, die sich eine Gesellschaft vornimmt, überhaupt finanzieren.“
Die FDP gilt auch oft als die Partei der Besserverdiener*innen und Unternehmer*innen. Wie sehen Sie das? Was tun Sie für einkommensschwache oder marginalisierte Personen? Ja, auch ein Klischee, das unsere Wettbewerber im Umlauf halten, um von unseren Positionen in der Sache abzulenken. Richtig ist, wir haben großen Respekt vor Menschen, die sich in ihrem Leben etwas aufgebaut und durch Leistung und Risikobereitschaft zu Erfolg gelangt sind. Aber unser Herz und unsere politische Leidenschaft gehören denen, die durch Anstrengung und Fleiß erst noch etwas erreichen wollen. Denen müssen wir den sozialen Aufstieg ermöglichen. Auch hier beginnen unsere Anstrengungen mit der Bildungspolitik: In Nordrhein-Westfalen haben wir Talentschulen eingeführt, die gezielt in einkommensschwachen Stadtteilen eingerichtet werden, um gerade dort jungen Menschen eine Perspektive zu bieten. Und wir wollen einen aufstiegsorientierten Sozialstaat schaffen, der Menschen den Weg in die Erwerbstätigkeit ebnet, statt neue Hürden aufzustellen. Es ist zum Beispiel eine große Ungerechtigkeit, dass Hartz-IV-Empfänger 80 Prozent ihres Einkommens abgeben müssen, wenn sie mehr als 100 Euro verdienen. Insgesamt gilt für uns: Nur mit einem soliden wirtschaftlichen Fundament lassen sich die sozialen und ökologischen Ziele, die sich eine Gesellschaft vornimmt, überhaupt finanzieren.
Sie wollen die Wirtschaft nach der Krise wieder aufblühen lassen. Vor allem queere Infrastruktur ist durch Corona stark gefährdet: Dazu zählen Vereine, Clubs, Bars oder die Kulturbranche. Einige Läden haben bereits aufgegeben. Welche Konzepte haben sie, um der queeren Community wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen? In den letzten 14 Monaten haben die negativen Folgen der Lockdown-Politik im Abwägungsprozess eine viel zu geringe Rolle gespielt. Jetzt stehen etliche Branchen am Rande ihrer Existenz, obwohl häufig mildere Mittel als pauschale Schließungen zur Verfügung gestanden hätten. Es wäre daher fatal, in dieser Situation Menschen und Betrieben noch zusätzliche bürokratische und finanzielle Lasten aufzubürden. Außerdem müssen Wirtschaftshilfen schneller fließen, solange sie nötig sind. Dass die Novemberhilfen im Frühling noch nicht ausgezahlt waren, ist ein Armutszeugnis. Hier hätte man von Anfang an unseren Vorschlag ernst nehmen müssen, Hilfen direkt und unbürokratisch über die Finanzämter auszuzahlen. Der beste Weg, betroffenen Branchen zu helfen, ist aber Wirtschaft und Kultur überhaupt wieder stattfinden zu lassen. Durch Impffortschritt, Testkapazitäten und durchdachte Konzepte wäre gerade im Kulturbetrieb längst mehr möglich.
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