Tragische Männerliebe: „Enfant terrible“
Keiner hat das deutsche Nachkriegskino so geprägt wie er. Über 40 Filme hat Rainer Werner Fassbinder in seinen 37 Lebensjahren gedreht. Er war umstritten, genial und kompromisslos. Regisseur Oskar Roehler („Die Unberührbare") zeichnet mit „Enfant Terrible“ nun seine Geschichte nach – und setzt Fassbinders tragische Männerlieben ins Zentrum seines Spielfilms.
In die Rolle des Filmgenies schlüpft Oliver Masucci, neben ihm spielen u. a. Katja Riemann, Désirée Nick und Jochen Schropp, der als sein Lebensgefährte Armin Meier auftritt. SIEGESSÄULE traf Regisseur Oskar Roehler zum Gespräch
Wer in den 70er- und 80er-Jahren aufgewachsen ist und an Kino interessiert war, kam an Fassbinder nicht vorbei. Er hat den Neuen Deutschen Film auch durch seine enorme Produktivität beherrscht. Wann sind Sie auf Fassbinder gestoßen? Während meiner Internatszeit in Franken zeigte ein linker Filmclub „Händler der vier Jahreszeiten“. Ich war so beeindruckt, dass ich danach drei Stunden spazieren gegangen bin, um den Film für mich zu verarbeiten. Danach habe ich versucht, all die neuen Filme von ihm zu sehen, und bin sogar bis nach Frankfurt gereist und habe dort in einem Schlafsack im Park übernachtet, nur um abends ins Kino gehen zu können.
Haben Sie Fassbinder selbst noch getroffen? Als ich Anfang der 80er-Jahre nach Berlin kam, war Fassbinder in der Stadt, um „Berlin Alexanderplatz“ und dann „Querelle“ zu drehen. Er war da schon ein Idol. In der Szene hatte sich herumgesprochen, dass er und seine Clique regelmäßig in der Paris Bar saßen. Und so haben wir uns dort die Nasen plattgedrückt, und alle, die wir aus den Filmen kannten – Fassbinder, Kurt Raab, Irm Hermann – waren da. Ich stand da wie ein Kind an Weihnachten. Ich bin dann teilweise mit denen mitgezogen, erst in den Dschungel, wo man für Fassbinder und seine Leute die obere Etage reserviert hatte, und dann in Tom’s Bar. Die Kultur und die schwule Szene waren damals ja eng miteinander verknüpft. Man ging auch mal mit einem schwulen Freund auf ein Bier ins Tom’s oder in den Hafen.
Was hat Sie an Fassbinders Kino so fasziniert? Als ich jetzt zur Vorbereitung noch einmal alle seine Filme angeschaut habe, hat sich für mich bestätigt, wie toll sie sind. Am Verblüffendsten war für mich „Querelle“. Damals fand ich den Film unsäglich. Diese kokaingeschwängerte leise Poesie und Traurigkeit haben mir jetzt sehr gefallen. Dass ein deutscher Regisseur mit einem solchen Aufwand so etwas produzieren und sich in Szene setzen konnte: „Schaut her, wie meine Welt ist, wie mein Lustprinzip funktioniert. Ich muss mich nicht verstecken.“ Das sind schon klare Statements. Deshalb bin ich auch von ihm so beeindruckt.
Waren die Studioästhetik und Künstlichkeit dieser Verfilmung von Jean Genets Roman auch Inspiration für Ihre eigene Inszenierung? Gedreht wurde „Enfant Terrible“ ja ebenfalls komplett im Studio mit lediglich angedeuteten, zum Teil sogar gemalten Interieurs. Wir wollten zwar eine künstliche Welt erschaffen, aber die Bezüge zu „Querelle“ waren eher unbewusst und sind mir erst später aufgefallen. Ich war am Ende sogar froh, dass das Produktionsbudget so klein war, weil wir dadurch umso mehr in diesen künstlichen Kosmos einsteigen konnten.
Sie haben Ihrem Film die Verszeile „Each man kills the thing he loves“ vorangestellt. Es stammt aus einem Gedicht von Oscar Wilde, das in „Querelle“ von Jeanne Moreau als Chanson gesungen wird. Diese Zeile ist auch das Leitthema von „Enfant Terrible“. Denn die beiden wichtigsten Männer in Fassbinders Leben – der Tunesier El Hedi ben Salem, den er in einer Pariser Schwulensauna kennengelernt hat, und Armin Meier, Schankkellner in der Münchner Schwulenkneipe Deutsche Eiche – gingen an seiner Liebe zugrunde. Mir ist bei den Recherchen zum Film klar geworden, wie sehr diese männliche Welt und die Tragik dieser beiden Liebesgeschichten elementar sind für Fassbinders Schicksal. Ich glaube, dass er selbst von seinen wichtigsten Schauspielerinnen emotional nicht so berührt war, wie von seinen großen Männerliebesgeschichten. Diese haben ihn auf fatale Weise geprägt – und auch kaputt gemacht. Denn wenn du die Menschen zerstörst, die deinem Herzen am allernächsten sind, zerstörst du dich auch selbst. Dass seine beiden großen Lieben Selbstmord begangen haben, muss für ihn eine schwere, unerträgliche Last gewesen sein; eine Schuld, die man nicht tilgen kann. Ich vermute, dass er sich auch deshalb so sehr in der Arbeit verausgabt und so viele Drogen genommen hat.
Fassbinder hat alles Kleinbürgerliche verachtet, aber sich insgeheim also nach dem kleinen Glück eines Paarlebens gesehnt. Fassbinder war meines Erachtens auch deshalb sehr unglücklich, weil er den Lebenspartner, den er sich so sehr wünschte, nicht an seiner Seite hatte. Dieses permanente Gruppenleben mit seinen Schauspieler*innen und Mitarbeiter*innen, keinerlei Rückzug zu haben, Tag und Nacht für alle da zu sein — das war irre anstrengend und hat ihn auch verschlissen. Bemerkenswert finde ich, dass sowohl Armin Meier als auch El Hedi ben Salem kaum lesen und schreiben konnten, dass jemand wie Fassbinder, der durchaus gebildet war und aus einer bürgerlichen Welt kam, sich so angezogen fühlte von etwas so „Archaischem“. Das Scheitern dieser Beziehungen war damit, zumindest auf längere Sicht, eigentlich vorprogrammiert. Er hat darüber nicht verantwortungsvoll genug nachgedacht. Oder es einfach nicht besser gewusst.
Fassbinder wirkt auch in Ihrem Film fast immer ungepflegt, unfreundlich, herrisch, letztlich also ziemlich unsexy. Oliver Masucci gibt da wirklich alles. Ich habe mich immer gefragt, was ihn für andere — Männer wie Frauen — sexuell so attraktiv machte und warum sich Menschen ihm so ausgeliefert haben. Vielleicht ist es das, was man Charisma nennt. Ich denke, das hat etwas mit seiner Körpersprache zu tun. Er hatte auch diese ungemein egomanische Ruhe. Er ist nie auf Menschen zugegangen, sondern hat sie kommen lassen — mit Ausnahme seiner Männer. Wenn es ums Essenzielle, um eine Partnerschaft und um Verliebtsein ging, war er verletzbar.
Ihre Filmfiguren tragen zum Teil reale Namen, etwa Brigitte Mira, Günther Kaufman oder Kurt Raab, den Hary Prinz beängstigend authentisch verkörpert. Anders die Figur Britta, in der man Irm Hermann erkennt und die von einem Mann gespielt wird. Was steckt hinter dieser Idee? Ich hatte eigentlich Sophie Rois für eine Doppelrolle besetzt — als Ingrid Caven und Irm Hermann. Dieses Vexierspiel und exzentrische Moment wollte ich mir als Regisseur einfach gönnen. Doch sie musste absagen, und so habe ich ganz spontan Anton Rattinger gebeten, Irm Hermann zu spielen. Er hat zunächst gezögert, dann aber großen Gefallen daran gefunden, sich mit Ohrringen und langen Fingernägeln diesem merkwürdigen S/M-Ding, das Hermann und Fassbinder miteinander hatten, schauspielerisch zu nähern.
Hat sich durch die neuerliche intensive Beschäftigung mit Fassbilder Ihr Bild von ihm verändert? Mein Blick auf sein Werk hat sich verändert. Seine Filme mit eher essayistischen Ansätzen, in denen er über Gesellschaft und Politik referiert, gefallen mir heute besser als seine melodramatischen Werke wie „Angst essen Seele auf“. „Niklashauser Fart“, „Die dritte Generation“, aber auch „Querelle“: das sind großartige Kopffilme mit einer klaren anarchischen Botschaft, nämlich immer querzudenken, sich nicht auf den allgemeinen Sprachgebrauch einzulassen und den eigenen Standpunkt herauszuarbeiten — sei es über den Terrorismus, das Schwulsein oder die Bourgeoisie.
Enfant terrible, D 2020, Regie: Oskar Roehler (Foto),
mit Oliver Masucci, Hary Prinz, Eva Mattes, Katja Riemann, Désirée Nick u. a.,
ab 01.10. im Kino
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