Queerpolitischer SPD-Sprecher Falko Droßmann: „Das Selbstbestimmungsgesetz bleibt!"
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Die AG Queer der SPD-Bundestagsfraktion hat sich erst im Laufe der Legislaturperiode gegründet. Falko Droßmann wurde dabei zum queerpolitischen Sprecher der Fraktion gewählt. Wie schätzt er die Queerpolitik der vergangenen Jahre ein, in denen seine Partei SPD als Teil der Ampelkoalition der Regierung angehörte? Und was sind seine persönlichen queerpolitischen Ziele im Bundestagswahlkampf 2025?
Falko Droßmann ist 51 Jahre alt, Oberstleutnant der Luftwaffe, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und direkt gewählter SPD-Bundestagsabgeordneter für Hamburg-Mitte. Seit 2022 ist er außerdem der erste queerpolitische Sprecher der AG Queer der SPD-Bundestagsfraktion. Gemeinsam mit der Querschnittsarbeitsgruppe widmen er sich allen queerrelevanten Fachausschüssen im Bundestag. Wir haben ihn interviewt
In der letzten Legislaturperiode wurde das Grundgesetz nicht um den Schutz der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität erweitert. Das sehen viele als ein Politikversagen. Wie bewertest du die gescheiterten Versprechen und kann die queere Community in Zukunft darauf vertrauen, dass die Erweiterung des Grundgesetztes durchgesetzt wird? Die Ergänzung von Artikel 3 Grundgesetz ist aus meiner Sicht nicht nur aus historischer Sicht geboten. Queere Menschen sind die einzige Opfergruppe des Nationalsozialismus, die bis heute nicht explizit von Artikel 3 geschützt sind. Ganz im Gegenteil: Noch bis in die 90er Jahre wurden wir mit erschreckender Kontinuität weiter verfolgt. Und noch in den 50er Jahren sah das Bundesverfassungsgericht diese Verfolgung nicht als verfassungswidrig an, weil Homosexualität ja gegen das „Sittengesetz“ verstoße. Es ist also schlicht eine Lüge, wenn Thorsten Frei von der Union sagt, queere Menschen seien doch bereits durch die Verfassung geschützt, eine Ergänzung von Artikel 3 wäre also „überflüssig“. Bedauerlicherweise brauchen wir für eine Änderung des Grundgesetzes nur eben jene Union: Für eine Änderung unserer Verfassung ist aus gutem Grund eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich. Insofern konnten wir als Koalition diese Ergänzung in der letzten Wahlperiode nicht allein vornehmen. Hoffen wir also, dass die Union in der nächsten Wahlperiode, möglicherweise selbst in Regierungsverantwortung gesprächsbereiter wird. Ich persönlich werde jedenfalls auch in der nächsten Wahlperiode alles daran setzen, sie zur Einsicht zu bringen.
Die LGBTIQ*-Community ist besonders enttäuscht darüber, dass die Reform des Abstammungsrechts nicht umgesetzt wurde, obwohl sie im Koalitionsvertrag der Ampel angekündigt wurde. Wie ist deine Einschätzung dazu? Ich persönlich und wir als SPD standen und stehen zu einer umfassenden Reform des Abstammungsrechts. Dass die Reform in der auslaufenden Wahlperiode nicht mehr zustande gekommen ist, bedauere ich sehr. In den Beratungen hat sich aber gezeigt, dass es im Detail sehr unterschiedliche Ansichten unter den Koalitionsparteien zu einer solchen Reform gibt. Von unserer Seite gab und gibt es jedenfalls große inhaltliche Vorbehalte gegenüber dem Entwurf von ex-Justizminister Buschmann (der Umgang mit trans*, inter, nicht binären Eltern ist da nur ein Beispiel).
Die CDU/CSU schreibt in ihrem Wahlprogramm, dass das Selbstbestimmungsgesetzt wieder abgeschafft werden soll, um in der Pubertät bei „Persönlichkeitszweifeln“ und auch im Erwachsenenalter einen „leichtfertigen Geschlechtswechsel” zu verhindern. Was hältst du davon? Um ehrlich zu sein: Ich persönlich bin vom jetzigen Selbstbestimmungsgesetz nicht ausschließlich begeistert; manche Regelung darin hätten wir uns sparen können. Aber das Gesetz in seiner jetzigen Form war ein Kompromiss, um es überhaupt durch den Bundestag zu bekommen.
„Was die Union jetzt damit vorhat, sagt mehr über die Union aus als über das Gesetz: Friedrich Merz und die Seinen verwischen die Grenze zum Populismus.“
Was die Union jetzt damit vorhat, sagt nach meiner Auffassung mehr über die Union aus als über das Gesetz: Friedrich Merz und die Seinen verwischen die Grenze zum Populismus. Neben dem Schaden, den sie damit konkret anrichten, bedrückt mich ernsthaft, dass die Union damit auch sich selbst in Gefahr bringt. Zu glauben, man könne Populisten schrumpfen, indem man selbst populistisch wird, funktioniert nicht. Für mich und meine Partei kann ich jedenfalls klar sagen: Das Selbstbestimmungsgesetz bleibt!
Auf welche Errungenschaften kann die AG Queer in der letzten Legislaturperiode zurückblicken? Zunächst einmal ist für mich ein wichtiger Schritt, dass wir überhaupt eine solche AG Queer gegründet haben. In der Vergangenheit gab es lediglich einen schwulen- und lesbenpolitischen Sprecher. In dieser AG sind tolle Kolleginnen und Kollegen aus allen möglichen Ausschüssen, die sich mit queerpolitischen Fragen beschäftigen. So ist es uns aus meiner Sicht gut gelungen, eine stimmige Queerpolitik für die SPD-Fraktion zu koordinieren – und nebenbei viele Fragen zu beantworten. Wir haben also intern auch einen Bildungsauftrag erfüllt.
„So ist es uns aus meiner Sicht gut gelungen, eine stimmige Queerpolitik für die SPD-Fraktion zu koordinieren. (...) Wir haben intern auch einen Bildungsauftrag erfüllt.“
Aber natürlich blicke ich vor allem auf die gesetzlichen Errungenschaften in dieser Wahlperiode mit großer Freude: Wir haben das Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben abgeschafft. Wir haben das sogenannte „Transsexuellengesetz“ durch ein verfassungskonformes Selbstbestimmungsgesetz ersetzt. Und wir haben die Regeln für die Erfassung und die gerichtliche Bestrafung von queerfeindlichen Hassverbrechen geschärft.
Welche weiteren Vorhaben und Forderungen stellst du als queerpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion nun in den Fokus? Ich fürchte, dass wir viel Kraft in Abwehrkämpfe stecken müssen: Die Union möchte das Selbstbestimmungsgesetz abschaffen und das „Nordische Modell“ einführen. (Nach dem „Nordischen Modell“ soll der Kauf sexueller Dienstleistungen verboten und bestraft werden, Anm. d. Red.) Solchen Plänen werde ich mich entschieden entgegenstellen.
„Die Narrative gegen Selbstbestimmung sind weltweit dieselben. Das einende Ziel: Die Destabilisierung und die Schwächung freiheitlicher Gesellschaften.“
Aber natürlich werden wir auch in der nächsten Wahlperiode noch gesetzlich Diskriminierungen beseitigen müssen. Die Reform des Abstammungsrechts und die Ergänzung von Artikel 3 sind da nur zwei Beispiele. Ich gehe aber davon aus, dass wir auch außenpolitisch viel zu tun haben werden. Wir erleben gerade einen massiven globalen Rollback. Dabei sind Kampagnen gegen Selbstbestimmung im Zweifel immer der erste, billige Keil. Interessant finde ich aber, was dahintersteckt. Die Narrative gegen Selbstbestimmung sind weltweit dieselben. Das einende Ziel all der Akteure ist so simpel wie erschreckend: Die Destabilisierung und die Schwächung freiheitlicher Gesellschaften.
Kurz und knapp nachgefragt: Regenbogenfahnen an Regierungsgebäuden – ja oder nein? Selbstverständlich ... Es ist wichtig und richtig, dass zu bestimmten Anlässen auch die Regenbogenfahne vor Regierungsgebäuden weht. Immerhin sind Vielfalt und die Würde des Einzelnen zentrale Werte unserer Verfassung. Aber bitte nicht nur an Regierungsgebäuden, sondern auch auf dem Parlamentsgebäude.
Geschlechtergerechte Sprache mit Gendersternchen * – ja oder nein? Ich persönlich verwende je nach Kontext geschlechtergerechte Sprache. Das sollten alle anderen Menschen auch für sich allein entscheiden. Verbote sind da wenig hilfreich, und das sage ich auch an die Adresse der Union.
Lieber eine vegane Currywurst mit Olaf Scholz oder einen Döner mit Alice Weidel? Mit Verlaub, ich esse lieber mein Leben lang vegan, als auch nur ein einziges Mal mit Rechtsextremen zusammen zu arbeiten. Aber als Hamburger esse ich natürlich am liebsten ein Fischbrötchen mit Olaf.
Ein Küchengespräch mit Robert Habeck oder ein Politik-Talk mit Friedrich Merz? Ich bin leider erkältet und muss absagen.
Eher ein kühles Bier mit Markus Söder in den bayrischen Alpen oder einen (alkoholfreien) Cocktail mit Sven Lehmann nach einem CSD? Die Wahrscheinlichkeit ist jedenfalls größer, dass ich Sven Lehmann bei einem CSD begegne.
Last but not least: Wie lautet dein Wunsch an die (queeren) Wähler*innen? Wählt demokratisch, wählt sozialdemokratisch und steht als Community zusammen: Die Zeiten werden für uns alle rauer. Da ist es wenig hilfreich, wenn einzelne Teile der Community sich von anderen absetzen möchten.
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