Eurofurence: Tierisch queer
Ende August fand im Berliner Estrel die „Eurofurence“ statt, Europas größte Zusammenkunft der Furry-Community. Unsere Kolumnistin Doris Belmont war für SIEGESSÄULE vor Ort und tauchte einen Tag lang in die Welt der menschlichen Kuscheltiere ein
Ein großes, blaues zotteliges Wesen baut sich vor mir auf. Der ganze Körper und die beiden Pranken sind mit Fell bedeckt. Der Kopf des Wesens hat spitze Ohren, zwei verschiedenfarbige Augen sind starr auf mich gerichtet. Aus seiner langen Schnauze hängt eine rosa Zunge. Vor mir steht ein sogenannter Furry und dieser aufwendige anthropomorphe Tieranzug, den er trägt, wird Fursuit genannt. Laut Wikipedia handelt es sich bei Furrys um eine „internationale Subkultur, die an anthropomorphen Tieren in Schrift, Bild und Ton interessiert ist.“ Das heißt konkret: Menschen erschaffen sich einer Persona mit Charakteristiken aus dem Tierreich.
In der Höhle der Löw*innen
Ende August fand die größte europaweite Zusammenkunft dieser Subkultur statt, die „Eurofurence“ Convention. Im Vergleich zu Events wie Folsom wird diese kaum von der queeren Öffentlichkeit wahrgenommen, obwohl sie bereits seit 2014 regelmäßig in den Hallen des Berliner Estrel-Hotels zelebriert wird und mittlerweile jährlich über 6.000 Besucher*innen anzieht. Die Convention ist ein mehrtägiges Spektakel mit Workshops, Theater, DJs, Karaoke und vielen weiteren Darbietungen, bei dem auch eine extrem gut geschminkte Tunte wie ich natürlich nicht fehlen darf. Um dieser Szene auf den Zahn zu fühlen, begab ich mich also mit leichtem Tages-Make-up am 26.08. in die Höhle der Löw*innen (und allerlei anderen Getiers). Bereits im Eingangsbereich des Estrel Hotels war klar: hier bin ich richtig. Diverse anthropomorphe Figuren begrüßten neue Besucher*innen oder schnappten am Eingang nach frischer Luft. Luft? Nun, die Köpfe der Fursuits sehen zwar künstlerisch betrachtet toll aus, einen Marathon sollte man mit ihnen jedoch lieber nicht laufen. Dazu aber später mehr.
Treffen mit Wolf Sazi
In der großen Halle des Hotels tummelten sich zwischen ein paar „gewöhnlichen“ Menschen jede Menge fantastische Figuren: Füchse, Wölfe, Greife in den buntesten Farben und auch ein paar reptilienartige Wesen konnte man entdecken. Ich begab mich nach einer kurzen Runde zur „Eurofurence“-Pressestelle, wo Wolf Sazi bereits auf mich wartete. Freundlicherweise hatte er mir eine Tour durch die Messe angeboten. Er selbst trug an diesem Tag keinen Fuirsuit, dafür aber einen bunten Schweif. Diesen etwas spartanischen Stil bemerkte ich auch bei anderen Teilnehmer*innen und Sazi klärte mich auf, dass die Suits beim sprechen oft eher unpraktisch sind, das Sichtfeld je nach Bauart eingeschränkt sein kann und die Temperaturen in so einem Plüschkopf nach spätestens einer halben Stunde unerträglich werden. Vermutlich dürfte das auch einer der Gründe sein, warum man Furries im Fursuit eher selten bis gar nicht in Clubs oder auf Partys antrifft. In voller Pracht sind sie meist nur auf speziellen Conventions wie dieser anzutreffen, oder aber sie zeigen Präsenz auf organisierten Spaziergängen, sogenannten „Suitwalks“. Diese werden gerne parallel zu öffentlichen Events organisiert, wie beispielsweise dem Festival of Lights in Berlin, zu dem Furries mit Lichtinstallationen an ihren Suits in der Stadt zu sehen waren.
Fursuits und was das Furry-Herz sonst noch so begehrt
Wolf Sazi und ich machten uns auf den Weg ins Zentrum der „Eurofurence“, dem sogenannten Dealer’s Den. Währenddessen sprachen wir weiter über die Fursuits. Sazi erklärte, dass keiner davon von der Stange zu kaufen sei, die Anzüge werden vielmehr individuell entweder selbst, oder von sogenannten Fursuit Makern angefertigt. Diese Unikate können, je nach Perfektionswunsch, weit über 1.000 Euro kosten. Am Dealers Den herrschte eine großer Andrang. Kein Wunder, denn hier zeigten und verkauften die Kreativen der Szene alles, was das Furryherz begehrt. Es gab beispielsweise Animes, Comics, Schmuck, Plüschtiere zuhauf, außerdem boten Zeichner*innen ihre Künste an. Diese, so wurde mir erklärt, sind für die Charakterbildung des Alter Egos nicht unwesentlich. Gemeinsam mit dem/der Zeichner*in können (zukünftige) Furrys das Aussehen der Figur, die sie sein möchten, entwickeln. Eine solche Zeichnung dient dann oft auch als Vorlage für eine mögliche spätere Umsetzung in einen Fursuit. Die Gründe, sich ein Furry-Alter Ego, eine sogenannte Fursona zuzulegen, sind mannigfaltig, berichtete Sazi. Manche fühlten sich spirituell schon immer mit einem bestimmten Tier verbunden und drückten auf diese Weise ihre Nähe dazu aus. Andere kreierten sich mit ihrer Fursona einen neuen Charakter mit Eigenschaften, die sie sich selbst im Alltag oft nicht zuschreiben oder zugestehen – mutig, aufgeschlossen, extrovertiert. Natürlich gehe es bei der Furry-Community auch um Gemeinschaft und nicht zuletzt um einen Safe Space. Aspekte, die mich durchaus an die Drag-Community erinnern.
Gemeinsamkeiten und Überschneidungen mit der queeren Community
Eine weitere Verwandtschaft zu Drag ist sicherlich, dass durch die Transformation von Mensch zu Tier auch Geschlechter gewechselt oder angepasst werden können. Viele suchen sich eine Fursona aus, die ein anderes Geschlecht als sie selbst verkörpert. Hierfür gibt es sicherlich diverse individuelle Gründe. Als queerfriendly kann die Community aber allemal gelten: so seien trans und nicht binäre Personen in der Szene in zunehmendem Maße vertreten, wie mir Sazi erklärte. Dies spiegelte sich auch in Programmpunkten wie „Trans and Non binary furs meetup“ auf der Convention, das geradezu überlaufen wurde.
Unser Rundgang führte auch an einem Stand mit Harnessenen vorbei. Ich blieb stehen und stellte eine weitere Frage, die gestellt werden musste: „Wie ausgeprägt ist die sexuelle Komponente innerhalb der Furryszene?“ Wolf Sazi hatte darauf wohl schon gewartet und antwortete, dass eine sexuelle Komponente des Furry-Seins natürlich für einige auch existiert. Sexualität mache allerdings nur einen sehr geringen Teil des Spirits aus und sei weder auf Conventions, noch bei anderen Furry-Events ein zentraler Gedanke. Eine öffentliche Plattform dafür existiere nicht. Leider triggern „Erwachsene in Stofftierkostümen“ Öffentlichkeit und Boulevardpresse und schnell wird hier ein Stigma aufgedrückt, das mit der Szene eigentlich gar nichts zu tun hat.
Wie leben Furries eigentlich ihr Alter Ego aus, wenn gerade keine Spaziergänge oder Events stattfinden? Natürlich über die sozialen Kanäle im Internet. Ich würde so weit gehen und sagen, dass diese Kanäle sogar einen integralen Bestandteil der Szene ausmachen, denn viele Aspekte dieser Community spielen sich in Foren, Chats, Spielen und dergleichen ab. Kein Wunder, an diesen Orten kann man seiner Figur Leben einhauchen und sie agieren lassen, im Zweifel eben auch ohne einen teuren Fursuit. Sazi fügte hinzu, dass entgegen der häufigen Annahme, man bräuchte als Furry unbedingt einen Suit, es auch völlig legitim sei, sein Alter Ego ausschließlich virtuell auszuleben. In der Szene wird also niemand ausgegrenzt, der keinen Suit besitzt.
Wir verließen den Dealers Den um ein paar Fotos zu schießen. Nun gibt es Furries, die sich sehr gerne fotografieren und in den Arm nehmen lassen, was bei einem großen Plüschwesen naheliegend ist. Doch gilt auch hier die eiserne Regel: Erst fragen, dann handeln! Ich entdeckte einen Stand, an dem ein großer Papagei um Spenden bat. Auf Furry-Conventions ist es üblich, mit diversen Tierschutzvereinen und -organisationen zusammenzuarbeiten, da Furries sich mit Tieren identifizieren, erklärte Sazi. In diesem Jahr wird die Cheetah Preservation Foundation unterstützt.
Der Furry-Dance-Battle
Den Abschluss meines Besuches bildete ein äußerst beliebtes Event: der Furry-Dance-Battle „Paws on Fire“. Der Battle stieg in einer Arena, in deren Mitte je zwei Furries zu Musik tanzten und anschließend von einer Jury bewertet wurden. Besonders beeindruckt hat mich, wie sehr die Tänzer*innen ihren Fursuit beherrschten und nach ein paar Rädern, die geschlagen wurden, und nach an Breakdance erinnernde Moves wurde klar, dass sich unter den pelzigen Suits Personen befanden, die auch außerhalb der Szene dem Tanzen zugeneigt sind.
Nach der Veranstaltung bedankte ich mich und verabschiedete mich von Sazi und begab mich in das Café im Estrel, um meine Eindrücke zu verarbeiten. Als mein Blick gerade noch einer übergroßen Ratte folgte, die vor dem Café-Fenster vorüberging, blieb er schließlich an einem mir gegenübersitzenden Mann hängen, der am ganzen Körper mit Tigerstreifen tätowiert war. Ein Anblick, der mich zutiefst erfreute, denn einen deutlicheren Beweis, dass Furries weit mehr sind als Menschen in Tierkostümen, sondern dass sie viel mehr einer äußerst offenen Lebenseinstellung folgen, würde ich heute wohl nicht mehr finden.
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