ESC-Gewinner*in Nemo im Interview: „It‘s giving queer rock star vibes“
ESC-Gewinner*in Nemo hat eine neue elektrisierende Hymne veröffentlicht: „Eurostar“. Der Song verhandelt unter anderem Nemos Umzug von Berlin nach London. Im Interview erzählt die Schweizer Musikikone von den Beweggründen und einem besonderen queeren Ort in Berlin
Nemo, deine neue Single „Eurostar“ erzählt die Geschichte, wie du London zu deiner neuen Wahlheimat gemacht hast. Wie hast du dich in London verliebt? Ich war immer wieder mal in London, aber hab‘ nie daran gedacht, hier eines Tages zu leben. Ich war eigentlich immer sehr Berlin-orientiert. Ich liebe Berlin als Stadt, aber ich habe hier musikalisch nie so richtig meinen Platz gefunden. Wenn die Musikszene experimenteller wurde, dann war sie schnell sehr alternativ. Was ich wollte, ist eine englischsprachige Popmusikszene, die nicht radio-orientiert, sondern experimentierfreudiger ist. In London habe ich viele Menschen gefunden, die solche Musik machen. Ich habe mich direkt mega angezogen gefühlt. Da war recht schnell klar, dass ich gerne mal hier leben würde.
Und dann dachstest du dir, du machst gleich einen Song darüber? Das ist ziemlich spontan entstanden. Ich habe viele Songs vor dem ESC geschrieben, aber sie haben sich nicht mehr aktuell angefühlt. Die neuen Erfahrungen und der Siegersong „The Code“ haben mir gezeigt, wo ich künstlerisch hin will. Nach dem ESC habe ich dann den Eurostar-Schnellzug von Paris nach London genommen und dachte: „Eurostar“ ist eine mega gute Metapher für die crazy letzten fünf Monate und dafür, wie schnell alles ging.
„Dank der Gespräche dort habe ich mich entschieden, keine Pronomen für mich zu verwenden. Ich weiß nicht wieso, aber ich glaube, genau solche Orte zeichnen Berlin aus.“
Du meintest, dass du eigentlich sehr Berlin-orientiert bist. Wie hast du die Stadt und die queere Community hier erlebt? Ich habe etwa drei Jahre in Berlin gelebt. Die Queer Community dort habe ich zum ersten Mal so richtig für mich entdecken können. Einer der wichtigsten Orte war für mich ein Nagelstudio. Ein Paar, beide trans*, betreibt es in seiner Wohnung. Ich habe mich dort einfach so aufgefangen gefühlt und bin dann alle zwei Wochen hin, zum Nägelmachen und Quatschen. Dank der Gespräche dort habe ich mich entschieden, keine Pronomen für mich zu verwenden. Ich weiß nicht wieso, aber ich glaube, genau solche Orte zeichnen Berlin aus.
Als erste nicht-binäre Person, die den ESC gewonnen hat, bist du jetzt ein queeres Vorbild geworden. In der Schweiz hat dein Sieg eine Debatte über die Rechte von trans* und nicht-binären Menschen ausgelöst. Wie geht es dir mit dieser Rolle und Verantwortung? Mir ist das erst nach dem ESC so richtig bewusst geworden. Ich habe ganz viele Nachrichten bekommen, von Menschen, die realisiert haben, dass sie queer sind oder zum ersten Mal darüber mit ihren Familienmitgliedern reden konnten. Da ist mir aufgefallen: Wow, das ist viel größer als ich dachte! Damit einher geht auch viel Verantwortung, wie du sagst. Ich versuche, meinen Job so gut zu machen, wie es geht und mich einzusetzen – dort, wo ich etwas beisteuern kann. Die Projektion auf mich geht aber ins Positive wie ins Negative: Hass ist genauso präsent. Ich musste lernen, Abstand zu wahren von dem Bild, das andere von mir haben.
„Die Strophen klingen wie ein Mix aus Eurodance und Gabba, der Chorus ist hingegen nostalgisch. It‘s giving queer rock star vibes.“
Dir wird nachgesagt, nicht nur Gender-, sondern auch Genre-Grenzen zu sprengen. Mit welchen Einflüssen hast du auf „Eurostar“ gespielt? Im kreativen Prozess mache ich mir darüber nicht so viele Gedanken, es passiert einfach. Aber wenn ich den Song jetzt so analysiere, würde ich sagen: Die Strophen klingen wie ein Mix aus Eurodance und Gabba, der Chorus ist hingegen nostalgisch. It‘s giving queer rock star vibes.
Ja, man muss unweigerlich an Freddie Mercury denken. Der Song hat auch was Hymnenhaftes und man spürt ein Gefühl von Aufbruch und Lebenslust. War deine Idee, eine Hymne über Queer Joy zu schreiben? Ich gehe selten so geplant an einen Song ran. Es geht mehr um ein Gefühl und schlussendlich Intuition. Was sich schnell herauskristallisiert hat ist, dass die Strophen sich nicht zu ernst nehmen. Eine Zeile ist: „I‘ll call Dodo, clear my wardrobe, want it all princess,“ das ist mega funny. Da habe ich versucht, etwas Cuteness reinzubringen. Im Kontrast dazu hat der Chorus eine intense Energy.
Was ist das nächste Kapitel für Nemo? Im Moment schreibe ich an meinem ersten Album. Ich will damit eine ähnliche Richtung einschlagen wie mit „Eurostar“. Der größte Unterschied zwischen „The Code“ und dem neuen Song ist, dass „The Code“ sehr retrospektiv war. „Eurostar“ konzentriert sich darauf, was im Moment um mich herum passiert. Ich will mit dem Album im Jetzt bleiben und es so schnell wie möglich nach Entstehung herausbringen.
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