Nachruf

Erinnerung an Tim Kruger: Leben in Superlativen

28. März 2025 Barbie Breakout
Bild: privat
Marcel Bonn alias Tim Kruger starb im Alter von 44 Jahren am 1. März in Berlin

An den verstorbenen Pornostar Tim Kruger erinnert Barbie Breakout

„Life changes fast. Life changes in the instant. You sit down to dinner and life as you know it ends. The question of self-pity.“ – Joan Didion (The Year of Magical Thinking)

Du musst kurz nach mir nach Berlin gekommen sein, irgendwann Anfang der 2000er. Unsere erste Begegnung war bei Chantal (House of Shame), als die noch in der Panoramabar des Ostgut residierte. Du warst neu im Berliner Nachtleben gelandet und hattest prompt einer Handvoll von Leuten den Kopf verdreht. Die Szene redete da schon über dich; ich wusste von dir also, bevor ich dich zum ersten Mal sah.

Zum ersten Mal trafen wir uns hinter Pollas Garderobe. Polla Desaster, die später für ein paar Jahre eine deiner besten Freundinnen und sogar deine Mitbewohnerin werden sollte, hatte dich unter ihre Fittiche genommen. Sie und Chantal wachten mit Argusaugen über dich. Wir kamen ins Gespräch und mochten uns auf Anhieb. Irgendwie hatten wir kurz eine Art Fling, was wir aber schnell wieder bleiben ließen. Wir waren Schwestern, keine Partner, das war schnell klar. „Schwesternschlitze“ haben wir uns getauft, unser Spitzname bis zum Schluss.

Du arbeitetest bei Bruno Gmünder, wohntest in einer Einzimmerwohnung im Schöneberger Kiez, dann in einer WG mit unserer Freundin Karina in der Danziger, dann zogst du mit Polla und Harry in eine Wohnung in Prenzl‘berg. An den Wochenenden feierten wir, als gäbe es kein Morgen. Manchmal frage ich mich, wie wir diese Zeit überlebt haben.

Der Ruhm war nicht immer einfach zu ertragen

Deine Zeit bei Gmünder war vorbei, und du dachtest darüber nach, ob du nicht mit Pornos dein Geld verdienen könntest. Nach ersten Gehversuchen war Tim Kruger (nicht Krüger) geboren – eine Rolle, in die du zunächst noch reinwachsen musstest, körperlich, persönlich und als Performer. Zu dieser Zeit lerntest du Jürgen kennen und lieben und die Idee zum Label TimTales war geboren, damals eine Revolution auf dem Pornomarkt. Keine blondierten US-Elsen, kein peinlicher Dialog, sondern handfestes Ficken ohne Firlefanz. Ihr lebtet zwischen Berlin und Barcelona. Dein Stern stieg unaufhaltsam, du wurdest weltberühmt. Und das war nicht immer einfach für dich.

Wo immer wir auf der Welt waren, wussten die Menschen, wer du bist. Der Rezeptionist im Hotel, die Performer im Theater, der Sommelier im Restaurant. Und auch wenn du manches davon genossen hast, war dir das nie angenehm. So gern du den Job gemacht hast, dir hat oft zugesetzt, wie dich Menschen deswegen behandelt haben. Die Leute, die sich mit dir brüsten wollten, die Hasskommentare, die Stalker und die, die dir vorschreiben wollten, was für ein Pornostar Tim Kruger zu sein hatte. Nämlich ein hypermaskuliner Hengst, der ausschließlich Sex mit möglichst weißen cis Männern hat. Für Letztere hattest du eine klare Antwort parat, hast Fotos von dir mit Perücke gepostet, den PoC-Anteil bei TimTales erhöht und mit trans Männern gedreht. Da war dir der Backlash egal.

Die Stalker und die, die dich benutzen wollten, waren dir unheimlich, und du fühltest dich oft nicht sicher, auch der Spagat zwischen der Persona Tim und dem Menschen Marcel war anstrengend für dich. Halt gegeben haben dir dein engster Freundeskreis und Jürgen. Am glücklichsten warst du immer dann, wenn du deine Liebsten mit vollen Händen beschenken und verwöhnen konntest.

So werde ich dich in Erinnerung behalten: strahlend lächelnd unter einer Discokugel, ein Glas Champagner in der Hand, umgeben von fast all deinen Liebsten.

Das letzte Mal gedrückt habe ich dich an einem Mittwochabend. Du hattest uns alle ins Luna D’Oro eingeladen, um deinen 44. Geburtstag nachzufeiern. Dort warst du wie immer der perfekte Host und hast darauf geachtet, dass wirklich jeder satt und happy war. So werde ich dich in Erinnerung behalten: strahlend lächelnd unter einer Discokugel, ein Glas Champagner in der Hand, umgeben von fast all deinen Liebsten.

Gestorben bist du zwei Tage danach. Wie das deine Art war, gegen die bestehenden Klischees der Pornobranche. Kein Sexunfall, keine Drogen im Spiel, kein Suizid. Einfach ein dummer Zufall. Wir alle werden dich für den Rest unseres Lebens vermissen, du warst eine einzigartige, wunderbare Seele.

Bild: timtales.com

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