Hilfe in Corona-Zeiten

Engagieren sich große Unternehmen für die queere Community?

20. Aug. 2020 Paula Balov
Bild: eis.de/CSD e.V.
Auch ohne CSD-Parade ein guter Partner: Der Online-Sexshop EIS spendete zusätzlich zum Sponsoring 5.000 Euro an den CSD e. V.

Diverse Politiker*innen appellierten in den vergangenen Monaten an Unternehmen, die LGBTI*-Community in der Corona-Krise zu unterstützen. Vor allem Firmen, die sich gern an CSDs beteiligen und dort ihre Solidarität zeigen wollen, sind gefragt. Doch hatte dieser Appell auch Folgen und inwiefern engagieren sich Unternehmen jetzt für den Erhalt der queeren Infrastruktur? SIEGESSÄULE-Autorin Paula Balov hat sich umgehört

Die Gruppe Linke.Queer rief im April Unternehmen dazu auf, die LGBTI*-Community in der Corona-Krise zu unterstützen. Der Appell richtete sich vor allem an Unternehmen, die jährlich ein großes Budget für CSD-Trucks und Öffentlichkeitsarbeit einplanen. Diese finanziellen Mittel fehlen den CSD-Vereinen nun, da in den meisten Städten die CSDs abgesagt wurden. Anstatt die Budgets einzusparen, sollten Unternehmen sie „zielgerichtet zur Rettung der queeren Infrastruktur“ einsetzen, hieß es im Aufruf, denn „glaubwürdiges Engagement erkennt man gerade in Krisenzeiten“.

„Wir sollten uns merken, welche Parteien, Unternehmen und Institutionen nicht mitziehen“

Auch Sven Lehmann und Ulle Schauws von den Grünen sprachen sich im Tagesspiegel dafür aus, Unternehmen und Konzerne in die Pflicht zu nehmen. Bodo Niendel und Daniel Bache von der Linkspartei gingen noch einen Schritt weiter und betonten im SIEGESSÄULE-Gastkommentar: „Wir sollten uns merken, welche Parteien, Unternehmen und Institutionen nicht mitziehen.“

Support für LGBTI*: Alles nur leere Worte?

Einige Monate sind nun seit Veröffentlichung des ersten Aufrufs vergangen. Ist der Appell in der Unternehmenswelt angekommen? Welche Unterstützung hat die CSD-Vereine erreicht und wie engagieren sich Unternehmen für die Community?

„Es hat sich keine Firma bei uns wegen des Aufrufs gemeldet“, sagte Ralph Ehrlich, Vorstand vom Berliner CSD-Verein im Gespräch mit SIEGESSÄULE im Juli. Ähnliches berichtet auch Ronald Zinke vom Dachverband CSD Deutschland: „Bisher waren vor allem wir diejenigen, die aktiv auf die Unternehmen zugegangen sind.“

Einigen Unternehmen ist jedoch bewusst, dass die queere Community Hilfe braucht. Deswegen haben sie Aktionen gestartet, um ein Zeichen für LGBTI*-Rechte zu setzen: Railbow, das queere Netzwerk der Deutschen Bahn, nutzt das eingesparte CSD-Budget für die Kampagne „Pride Ride“: An 63 Bahnhöfen und Gebäuden der Deutschen Bahn wurden Regenbogenfahnen gehisst und ein regenbogenfarbener IC fährt durch Deutschland.

die Pride Ride Lok der Deutschen Bahn

Begleitet wurde die Kampagne von einem Video, in dem ein lesbisches Paar von einem Schaffner im Kleid kontrolliert wird. Auch CSD Deutschland hat sich an der Kampagne beteiligt. „Das Video ist überspitzt und spielt mit Klischees, aber die Message ist auf jeden Fall positiv“, findet Ronald Zinke. „Es geht darum, dass queere Sichtbarkeit nicht vernachlässigt werden darf, nur weil keine CSDs stattfinden.“

„Man kann sich natürlich streiten, ob das nicht Pinkwashing ist, meint Ronald Zinke. Aber immerhin geht ein Euro pro verkauftes Exemplar an queere Vereine“

Einen anderen Ansatz wählte Pro7 in Kooperation mit Instagram und Textilwerk. Bei der Hashtag-Aktion #StayPride sollten Instagram-Nutzer*innen Selfies oder Fotos von Pärchen im Bett posten, um online queere Sichtbarkeit zu schaffen. Textilwerk hat dazu die passende Pride-Bettwäschekollektion herausgebracht. „Man kann sich natürlich streiten, ob das nicht Pinkwashing ist“, meint Ronald Zinke. „Aber immerhin geht ein Euro pro verkauftes Exemplar an queere Vereine.“

Sponsoren für den digitalen CSD

Bunte, medial wirksame Aktionen sind eine Sache, doch wie sieht es mit direkter, finanzieller Hilfe aus? Viele CSD-Vereine, auch der Berliner CSD e. V., sind durch den Ausfall der Straßendemos in finanzielle Schieflagen geraten. Nachdem klar war, dass der Berliner CSD dieses Jahr online stattfinden würde, waren alle Sponsoren abgesprungen.

Kurzfristig haben sich neue Sponsoren gefunden, darunter Microsoft, Tinder, DHL und EIS. Vodafone war der Hauptsponsor in diesem Jahr und wollte einerseits „in der Corona-Krise noch mehr unterstützen“. Andererseits passe „der digitale CSD gut zu Vodafone als Digitalisierungskonzern“, erklärte Unternehmenssprecher Johannes Fuxjäger.

„Reine Spenden ohne Gegenleistung von großen Firmen erreichen uns aber so gut wie gar nicht“

Mit den neuen Sponsoren konnte der CSD e. V. einen Teil der Kosten begleichen. „Reine Spenden ohne Gegenleistung von großen Firmen erreichen uns aber so gut wie gar nicht“, sagt Ralph Ehrlich. Die Ausnahme von der Regel bildet der Online-Sexshop EIS, der zusätzlich zum Sponsoring 5.000 Euro an den Verein gespendet hat. Dieser Schritt erfolgte unabhängig vom Aufruf, um auch „in Zeiten der Ausgehbeschränkungen und Abstände zu unterstützen“.

Direkte Hilfe bleibt die Ausnahme

Obwohl es etliche Unternehmen gibt, die sich durch Kampagnen und Sponsoring einbringen, sieht Ronald Zinke noch keinen Trend dahingehend. Die eingenommenen Gelder dienen allenfalls der Schadensbegrenzung und erreichen einen Großteil der Community nicht – neben den CSD-Vereinen kämpfen viele andere queere Strukturen um jeden Cent. „Die meiste Unterstützung kommt aus der Community, also von denen, die selbst nichts haben“, beklagt er. Die „Big Player“ wie Amazon, eBay, Bayer AG oder Lufthansa hätten bisweilen kaum Initiative gezeigt.

„Die meiste Unterstützung kommt aus der Community, also von denen, die selbst nichts haben, beklagt Ronald Zinke. Die Big Player wie Amazon, eBay, Bayer AG oder Lufthansa hätten bisweilen kaum Initiative gezeigt“

Im Fall der Bayer AG habe das organisatorische Gründe, erklärt Michael Lengwenat vom internen LGBTI*-Netzwerk BLEND. Vor der Pandemie hatte Bayer Verträge mit dem Kölner CSD abgeschlossen. Nun sei unklar, ob das Unternehmen das Budget anderweitig einsetzen könne. „Unabhängig davon wollen wir eine größere Aktion zum Coming-out-Day planen, zusammen mit dem Queer Staff Network Berlin“, verkündet Lengwenat.

Bei der Lufthansa Group hängt die fehlende Initiative mit der finanziellen Notlage des Unternehmens zusammen. „Unsere Priorität in der aktuellen Corona-Krise ist es, die Liquidität des Unternehmens und damit die Zukunft der Mitarbeiter zu sichern“, so Lufthansa-Sprecher Steffen Milchsack. „Wir haben alle unsere Sponsorings zurückgefahren, nutzen jedoch interne Kanäle, um weiterhin über LGBTI*-Themen zu informieren.“

Queere Strukturen bei Unternehmensspenden berücksichtigen

„Vor allem diejenigen, die mit der Krise den Reibach ihres Lebens machen, stehen jetzt in der Pflicht“, heißt es im Aufruf von Linke.Queer. Der Online-Handel gilt gemeinhin als Krisengewinner, doch gerade hier fällt das Engagement vergleichsweise dünn aus und nützt in erster Linie den Mitarbeiter*innen: eBay hat sich entschieden nicht beim Berliner CSD mitzumachen, um sich auf interne Aktivitäten und die „Teilnahme an der ersten digitalen Sticks & Stones-Messe“ zu konzentrieren, wie eBay-Sprecher Carl Weuster mitteilt. Im Gegensatz dazu bietet Amazons queere Gruppe Glamazon zumindest Soli-Bändchen an, als Dankeschön für alle, die über Startnext an den Münchner CSD spenden.

Die Frage ist: Wie können mehr Unternehmen davon überzeugt werden, die LGBTI*-Community zu unterstützen? Albert Kehrer, Vorstand der Stiftung Prout AT Work, empfiehlt den queeren Mitarbeiter*innen-Netzwerken, sich nicht nur für interne Strukturen und symbolische Aktionen starkzumachen, sondern auch dafür Sorge zu tragen, dass LGBTI*-Organisationen allgemein bei Unternehmensspenden berücksichtigt werden – nicht nur in der Pride-Saison: „Es müssen nicht immer Kindergärten gefördert werden.“

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