„Ella hatte der Welt etwas zu sagen“
Am Sonntag fand eine Trauermahnwache in Gedenken an die aus dem Iran geflohene trans Frau Ella statt. In der vorangegangenen Woche hatte die 40-Jährige sich auf dem Alexanderplatz angezündet und war kurz darauf in einer Klinik an den Folgen verstorben. Die Polizei Berlin ermittelt noch zu den Hintergründen. Marion-Nur von der Gruppe TransRefugees hat die Mahnwache organisiert, im Oktober plant sie eine weitere Gedenkveranstaltung. Wir sprachen mit ihr über die Rezeption von Ellas Tod in den Medien und die Situation von geflüchteten trans Frauen
Marion-Nur, du hast am vergangenen Sonntag eine Mahnwache für Ella organisiert. Warum war dir das wichtig? Ich will nicht, dass trans Frauen sterben, ich will, dass dieses Sterben endlich aufhört. Ich wollte nicht, dass Ella wie so vielen trans Frauen und trans Frauen of Color selbst tot noch ihr Existenzrecht abgesprochen wird und dass sie nicht vergessen wird. Insbesondere geflüchtete trans Frauen werden unsichtbar gemacht und niemand nimmt Notiz davon, wie sie langsam über Jahre qualvoll in den Tod getrieben werden.
Ich empfinde es als einen politischen Auftrag, den Ella uns durch ihre öffentliche Selbstverbrennung auf dem Alexanderplatz hinterlassen hat, das Sterben von trans Frauen und geflüchteten trans Frauen bekannt zu machen, die Ursachen dafür zu benennen und Forderungen zu stellen und durchzusetzen, die das Sterben beenden. Ich wollte, dass wir uns selbst den Wert geben, gemeinsam um das Leben von Ella trauern. Dass wir einen Raum haben, um über unsere Gefühle und Gedanken miteinander reden zu können oder auch still zu trauern, zu weinen, der inneren Erschütterung nachzugeben.
Kanntest du die Verstorbene? Leider kannte ich Ella nicht persönlich, ich glaube, ich hätte sie sehr gemocht. Ich weiß nicht viel mehr als das, was in Medien berichtet wurde, oder in der Doku über Ella des Offenen Kanals Magdeburg, die in 2019 veröffentlicht wurde. Einiges wurde mir bei der Trauermahnwache von Menschen, die sie kannten, erzählt. Das kann ich hier aber nicht wiedergeben.
„Wir waren nicht alleine mit unserem Schmerz“
Wie hast du das gemeinsame Gedenken empfunden? Es hat vielen gut getan, zuzuhören, und zu bemerken, wie ähnlich sich viele Probleme von trans Frauen sind oder auch wie verschieden oder wie verschieden mit ihnen umgegangen wird. Wir waren nicht alleine mit unserem Schmerz, wieder ist eine von uns gestorben, wieder hat sich eine von uns umgebracht. Wieder interessiert es niemanden. Schon gar nicht die Gründe. Diesmal haben wir uns. Wenigstens das.
Am Anfang der Mahnwache waren wir still, weinten, trösteten uns, legten Blumen auf den Boden, stellten Kerzen hin. Dann nahmen die ersten, die reden wollten, das Megaphon und redeten zu uns. Ergreifende und zutiefst berührende persönliche Reden. Später wurden die Reden in meiner Erinnerung auch inhaltlich immer mehr politisch.
Manche kritisieren, dass Ellas Suizid jetzt für politische Debatten instrumentalisiert würde. Wie kann man taktvoll mit ihrem Tod und der Trauer umgehen? Ellas Tod, ihre Selbstverbrennung auf dem Alexanderplatz, ist für mich ein politischer Akt mit eindeutigem Handlungsauftrag. Inzwischen wird auch von einem konkret zu verstehenden „Vermächtnis“ Ellas gesprochen, in dem sie der Welt etwas zu sagen habe. Ich finde, auf die Situationen von geflüchteten trans Frauen of color aufmerksam zu machen, da eine geflüchtete trans Frau of color sich verbrannt hat, ist keine Instrumentalisierung. Wir kennen den konkreten Anlass für ihren Selbstmord nicht, aber wir wissen sehr gut, dass die Ablehnung gegenüber einer trans Frau aus dem Iran oder einer geflüchteten trans Frau of color – beides war Ella – tödlich sein kann und durchaus eine Rolle gespielt haben kann in ihrer Entscheidung, sich umzubringen. Der Respekt besteht für mich allerdings darin, Annahmen nicht zu Gewissheiten zu verklären. Die Instrumentalisierung fängt für mich da an, wo zum Beispiel Sätze fallen wie: Ella wollte dies und das nicht, obwohl man es nicht sicher weiß.
Bei der Berichterstattung um Ellas Tod in verschiedenen Medien kam es leider auch zu transfeindlichen Äußerungen. Wie sollte man darauf reagieren? Transfeindlichkeit und Rassismus müssen aus allen Formen von Medien verbannt werden. Beide sind tödlich. Die mediale Berichterstattung über Ella sollte sowohl aufrichtig als auch respektvoll sein.
Die Folgen von Transphobie und speziell die Situation von trans Geflüchteten standen auf der Mahnwache im Fokus. Du bist selbst sehr engagiert für geflüchtete trans Frauen, unter anderem hast du im August eine Demo gegen die Abschiebung der trans Frau Jamila mitorganisiert. Worauf ist dir in diesem Kontext wichtig, hinzuweisen? Über welche Problemlagen sollte deiner Meinung nach jetzt gesprochen werden? Bei allen trans Frauen besteht die Gefahr, dass die Entwertung von außen schließlich zu inneren Wertlosigkeitsgefühlen führt. Große Probleme bereiten das diskriminierende „Transsexuellengesetz“ und die Unsichtbarkeit und Ablehnung in der Gesellschaft allgemein. Im Zuge erstarkender Einflüsse durch die Neue Rechte mehren sich Hass und Hetze nicht nur im Internet, sondern führen auch auf der Straße zu einem gestiegenen Gewaltpotential.
Geflüchtete trans Frauen of color leiden natürlich ebenso unter Transfeindlichkeit und Frauenfeindlichkeit. Außerdem können sie von Geflüchtetenfeindlichkeit betroffen sein, von Rassismus, Antisemitismus, Anti-Sexworker*innen-Feindlichkeit, Ableismus und vielem mehr. Viele haben unsägliche Gewalt überlebt, die Spuren auf, an und in ihren Körpern oder ihrer psychischen Gesundheit hinterlassen haben. Viele haben ihre Familien verloren oder haben nur noch zu einzelnen Familienmitgliedern Kontakt. Oft fliehen sie in oder durch mehrere Länder und erleben immer wieder, dass andere ihre Körper entwerten und sich ihre Körper aneignen. In Deutschland angekommen, finden sie sich in Aufnahmelagern und in Heimen wieder und hoffen auf Asyl. In den Heimen, und auch bei Interaktionen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), sind sie nicht selten strukturellem Rassismus und struktureller Transfeindlichkeit ausgesetzt. Meist haben die Frauen während der Asylverfahren nur Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Das bedeutet, dass wichtige Untersuchungen und Behandlungen verschleppt werden, wie zum Beispiel Operationen, was zu Spätfolgen führen kann.
Geflüchtete trans Frauen of color sagen mir in persönlichen Gesprächen immer wieder, dass sie bei einem negativem Asylbescheid nicht weiter leben wollen. Sie wollen nicht zurück in die Hölle der Gewalt.
Auf eurer Mahnwache am Sonntag soll es leider auch zu Störungen gekommen sein. Kannst du etwas genaueres dazu sagen? Gegen Ende tauchte ein Störer auf, der politisch rechte Einstellungen vertrat und so tat, als sei er Teilnehmer unserer Trauermahnwache. Ich forderte den Störer auf, seine Position als Redner zu verlassen. Zutiefst erschütterte Menschen sahen sich auf unserer Mahnwache mit Transfeindlichkeit und Rassismus konfrontiert. Als der nächste Redner mühselig um Fassung rang, schluchzend begann, in ersten Halbsätzen zu reden, richtete sich die noch frische Wut gegen ihn und er wurde recht hart aufgefordert, als cis Mann keine Redezeit zu beanspruchen. Trans Frauen haben keine Möglichkeit zu sprechen, und hier sei der Ort für trans Frauen zu sprechen und eben nicht für cis Männer. Der Mann, der schließlich weinend davon ging, hatte mir zuvor davon erzählt, dass er mit Ella zusammen gelebt hatte. Ich bin jedenfalls traurig, wenn ich daran denke, wie er gegangen ist. Ich würde gerne mit ihm reden.
Wir hatten uns für einander so tief geöffnet in Trauer und eigener Betroffenheit, und ein rechter heuchelnder Störer besitzt die Unverschämtheit, in diese Verwundbarkeit einzudringen. Ich kann es verstehen, dass die Reaktionen von ganz wenigen radikal ausfielen, um den Schutzraum wieder herzustellen. Dabei ist wohl ein Unschuldiger, der selbst im Zustand tiefster Trauer war, sehr verletzt worden, das tut mir sehr leid.
Wird es noch eine weitere Aktion in Gedenken an Ella geben? Am 24.10. findet nochmal eine Trauermahnwache auf dem Alexanderplatz statt.
Hilfsangebote bei Suizidgedanken u. a. unter: berliner-krisendienst.de
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