Ein Superspreader-Event und eine Alternative, die keine ist
Am vergangenen Samstag wurde beim Pride des Berliner CSD e. V. und beim „Internationalist Queer Pride" queere Sichtbarkeit zelebriert. Doch die Art und Weise, in der das geschah, findet Bodo Niendel, Referent für Queerpolitik der Bundestagsfraktion Die Linke, aus sehr unterschiedlichen Gründen hochproblematisch. Warum erklärt er in seinem Gastkommentar.
Mehr als 65.000 feiernde Queers zogen beim Pride des CSD e. V. durch Berlin. Unsere queere Community wollte sich zeigen und ein Zeichen setzen. Der Berliner CSD e.V. hat dies mit seinen vielen ehrenamtlichen Helfer*innen organisatorisch in kurzer Zeit gestemmt. Ständige Durchsagen verwiesen auf das bei Demonstrationen obligatorische Alkoholverbot und auf die Maskenpflicht, wegen der weiterhin bestehenden Corona-Pandemie. Und eben dies ist der spingende Punkt. Es war absehbar, dass mit steigendem Alkoholpegel Masken und Abstand fallen würden. Zugleich spricht der CSD zunehmend – was grundsätzlich erfreulich ist – mehr und mehr junge Menschen an. Doch eben diese Altersgruppe ist kaum geimpft.
Ebenso absehbar war, dass viele Gäste aus dem In- und Ausland anreisen würden. Dass diese die Nacht allein in ihrem Hotelzimmer verbrachten, dürfte eher unrealistisch sein. Die völlig überfüllten Straßen rund um die Motzstraße in Schöneberg nach der Parade ließen an das beliebte Lesbisch-schwule Straßenfest erinnern, nur fällt dieses wegen Corona in diesem Jahr aus. So fand es nun doch, trotz Corona, ohne Maske und Abstand auf andere Art statt. Völlig überfüllte U- und S-Bahnen während der An und Abreise werden ihr übriges zur Verbreitung der Delta-Variante getan haben. All dies war absehbar. Denn das Label CSD zieht viele Menschen an. Unsere Community wurde somit zu einem Pandemietreiber. Der Berliner CSD war ein Superspreader-Event mit Ansage. Dies gilt es, ebenso wie die Polizeigewalt in den Nachtstunden in der Motzstraße, aufzuarbeiten und hier sollten die Vorschläge Dirk Ludigs zur Re-Organisation des Berliner CSD bedacht werden.
Antisemitismus beim Internationalist Queer Pride
Seit mehr als zwei Jahrzehnten findet am Tag der großen CSD-Parade meist auch ein alternativer Pride unter wechselndem Namen statt. Dieser alternative CSD versteht sich als politische und antikapitalistische Alternative. Unter dem Label „Internationalist Queer Pride for Liberation 2021“ zog die Demo durch Kreuzkölln. Wenngleich die vielen Tausend Teilnehmer*innen viele andere wichtige Themen, wie die Situation von Sexarbeiter*innen, nach außen trugen, so dominierte insbesondere ein Thema: Israel. Dafür mitverantwortlich ist auch die stark in der Kritik stehende Gruppe BDS Berlin, die sich an der Demo deutlich sichtbar beteiligte. Sie ruft zum Boykott israelischer Waren auf. Dass ein solcher Boykottaufruf nach den von den Nazis in den 1930er Jahren initiierten Boykottaufrufen „Kauft nicht bei Juden“ ziemlich indiskutabel ist, ignorierten die Teilnehmer*innen ebenso wie die Plakate und Sprechchöre „Stoppt den Kolonialismus, stoppt den Krieg, Intifada bis zum Sieg" und die das Existenzrecht Israels absprechende Losung „From the river to the sea, Palestine will be free“. Journalist*innen, die dies dokumentierten, wurden angegangen und als „Zionistenpresse“ beschimpft. Ein richtig linker CSD, der noch die großen Fragen stellt, ist notwendiger denn je. Doch man muss es klar beim Namen nennen, es geht um Antisemitismus. Und so ist der alternative Pride unter diesen Vorzeichen eben keine Alternative.
Dass es auch anders geht, bewiesen zuvor die bunten und sehr politischen Demos unserer Community in Berlin. Pandemiekonform, lautstark und werbelogofrei fanden in diesem Jahr die Stern-Demo, der Trans-Pride und der Dyke* March statt. Wir hätten es dabei belassen sollen.
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