TSG wird abgeschafft

Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes vorgestellt: „Ein kraftvolles Signal”

30. Juni 2022 as
Bild: Sally B

In der Bundespressekonferenz wurden am 30.06. die Eckpunkte für das neue Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt und damit der Beginn des Gesetzgebungsverfahrens eröffnet. LGBTIQ*-Verbände begrüßten dies als wegweisenden Schritt

Es war eines der zentralen Versprechen der Ampelregierung an die queere Community: Ein Selbstbestimmungsgesetz für trans*, inter und nicht binäre Menschen und die Abschaffung des in großen Teilen verfassungswidrigen „Transsexuellengesetzes” (TSG).

Noch dieses Jahr soll das Versprechen umgesetzt werden, die Weichen wurden jetzt dafür gestellt. Heute Morgen stellten Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) die Eckpunkte des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes vor, mit dessen Einführung auch das „Transsexuellengesetz” aufgehoben werden soll.

„Eine einfache und einheitliche Regelung”

Im Infopapier der beiden Bundesministerien heißt es dazu: „Wir ersetzen das TSG durch eine einfache und einheitliche Regelung, mit der Menschen ihren Geschlechtseintrag oder ihre Vornamen ändern können. Das bereitet dem bisherigen entwürdigenden, langwierigen und kostenintensiven Verfahren ein Ende, in dem erst zwei psychiatrische Gutachten eingeholt werden müssen, um den Personenstand im Personenstandsregister ändern zu dürfen.”

Letzteres – die Notwendigkeit, erst zwei psychiatrische Gutachten einzuholen – ist nach dem geltenden „Transsexuellengesetz” aktuell noch der Fall und stellt für viele Betroffene eine große Hürde dar. Diese soll nun abgeschafft werden: volljährigen Personen soll es zukünftig möglich sein, durch eine einfache Erklärung gegenüber dem Standesamt die Änderung ihres Geschlechtseintrages sowie ihrer Vornamen vornehmen zu lassen. Das trifft auch für Minderjährige ab 14 Jahren zu – allerdings benötigen sie zusätzlich die Zustimmung der Sorgeberechtigten. In den Fällen, in denen die Sorgeberechtigten nicht zustimmen, können Familiengerichte „orientiert am Kindeswohl” die Entscheidung der Eltern auf Antrag des/der Minderjährigen ersetzen. Für Minderjährige bis 14 Jahre haben allein die Sorgeberechtigten die Möglichkeit, eine Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt abzugeben. Für Eltern und Minderjährige sollen die Beratungsmöglichkeiten vor der Entscheidung gestärkt werden.

Familienministerin Lisa Paus wies während der Pressekonferenz darauf hin, dass man sich mit dieser Regelung an anderen Ländern orientiere, die bereits ein Selbstbestimmungsgesetz eingeführt haben – darunter sind unter anderem Dänemark, Norwegen oder Island.

Nach einer erfolgten Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen gilt für eine erneute Änderung eine Sperrfrist von einem Jahr. Auf Grundlage des Gesetzes kann zudem ein Bußgeld verhängt werden, wenn jemand die Änderungen des Personenstands von trans*, nicht binären oder inter* Personen gegen deren Willen offenbart oder ausforscht. Ein erzwungenes Coming-out soll dadurch verhindert werden. LGBTIQ*-Verbände hatten zuvor gefordert, dieses so genannte Offenbarungsverbot zu stärken.

Entschädigungen geplant

Auch Entschädigungen für trans* und inter* Personen, die aufgrund früherer Gesetzgebung von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen sind, sollen laut dem Eckpunktepapier geregelt werden.

Mit dem neuen Gesetz endet auch das Chaos, das durch das damalige CSU-geführte Bundesinnenministerium (BMI) angerichtet wurde: Mit dem 2019 eingeführten Gesetz zur „Dritten Option“ hatte das Ministerium ein personenstandsrechtliches Verfahren eingeführt, das dann überraschend nur für bestimmte inter* Personen und Menschen mit „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ gelten sollte – ohne dass dieser Begriff definiert wurde. Mit fragwürdigen Maßnahmen versuchte das BMI in der Folge zu unterbinden, dass auch trans* und nicht binäre Personen über dieses Gesetz ihren Personenstand zu ändern versuchten. Mit dem geplanten Gesetz wird nun die Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamen für trans*, inter* und nicht binäre Personen einheitlich geregelt.

Keine Regelung medizinischer Maßnahmen

Gegner*innen des Gesetzes hatten zuvor gewarnt, dass jetzt 14-Jährige einfach die Möglichkeit bekämen, geschlechtsangleichende Operationen vornehmen zu können. Dies ist falsch: Betont wird in den Eckpunkten, dass das neue Gesetz „ausschließlich die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen“ regelt. „Die Frage, ob eine Person, die zusätzlich geschlechtsangleichende körperliche / medizinische Maßnahmen in Erwägung zieht, solche machen kann, wird nicht durch das Selbstbestimmungsgesetz geregelt. In diesem Fall gelten wie bisher alleine fachmedizinische Prüfkriterien.“

Auch im existierenden TSG gibt es keine Vorgaben zur medizinischen Angleichung. Buschman und Paus mussten während der Pressekonferenz immer wieder betonen, dass das Gesetz keine medizinischen Fragen kläre.

Bundesverband Trans*: Eckpunkte machen Mut

Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* betonte heute in einer Pressemitteilung, es sei „ein kraftvolles Signal“, dass die Eckpunkte für ein Selbstbestimmungsgesetz heute in der Bundespressekonferenz vorgestellt wurden: „Dass zwei Bundesminister*innen die Eckpunkte präsentiert haben, zeigt, welche hohe Bedeutung dieses Gesetzesvorhaben in der Regierung hat. Wir begrüßen sehr, dass dieser erste wichtige Schritt in Richtung eines Selbstbestimmungsgesetzes unternommen wurde. Es ist ein Grundrecht, in der eigenen geschlechtlichen Identität anerkannt zu werden. Die Eckpunkte sehen viele wegweisende Verbesserungen vor.“ Dies mache Mut und zeige, dass die Regierung dieses Thema ernstnehme.

Hümpfner kritiserte allerdings, dass die Hürden für Minderjährige zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr dazu führen könnten, dass diese Gruppe in ihrer geschlechtlichen Selbstbestimmung eingeschränkt wird. Er verwies dabei auf den Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers: der hatte gesagt, dass Personen von über 14 Jahren selbst über ihre Geschlechtszugehörigkeit entscheiden können sollten.

„Es ist ein positiver Beginn zu einer offenen und aufgeklärten Gesellschaft“

Andrea Ottmer, Gründungsmitglied und zweite Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (dgti), begrüßte ebenfalls in einer Pressemitteilung das geplante Gesetz: „Dieses Eckpunktepapier beschreibt einen humanen, dem Grundgesetz entsprechenden Umgang mit TIN*Personen, nun muss die Ampel nur noch möglichst schnell liefern.“ Kritisch sehe die dgti auch die geplanten Regelungen für Kinder und Jugendliche, denn hier werde der Selbstbestimmung nur teilweise Rechnung getragen.

Luca Fabièn Dotzler vom Vorstand der dgti unterstrich allerdings hoffnungsvoll: „Durch die Umsetzung dieses Eckpunktpapiers wird Menschen mit queeren Lebensrealitäten eine bessere Teilhabe ermöglicht. Auch wenn es noch einige Bereiche zu reflektieren gilt, es ist ein positiver Beginn zu einer offenen und aufgeklärten Gesellschaft.“

Statement des Queer-Beauftragten

Sven Lehmann, Grünen-Politiker und Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, erklärte: „Der heutige Tag ist ein Meilenstein für die Menschenrechte von trans*, inter* und nicht binären Menschen. Mit den vorgestellten Eckpunkten sind wir ein gutes Stück weiter auf dem Weg zu einem echten Selbstbestimmungsgesetz ohne demütigende Zwangsbegutachtungen, staatliche Bevormundung und diskriminierender Gängelung.“ Zur Verantwortung der Politik betonte er: „Durch das Transsexuellengesetz ist viel Unrecht geschehen: Menschen mussten sich scheiden lassen, sich sterilisieren lassen und sich Operationen unterziehen, nur um in ihrer Geschlechtsidentität anerkannt zu werden. Daher ist es auch an der Zeit, dass wir uns für dieses Unrecht bei den Betroffenen entschuldigen und sie entschädigen.“

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