Dykes* United: FLINTA* mischen die Szene auf
Eine neue FLINTA*-Generation ist nach der Pandemie in der Szene angekommen und hat in wenigen Jahren eigene Partys und Barabende auf die Beine gestellt. Electro hat endlich den Löwenanteil auf den Dancefloors, und eine alternative Partykultur ist entstanden, die auf Sexpositivität, Consent und Inklusion beruht. SIEGESSÄULE-Redakteur*innen und Nachtvögel Annabelle Georgen (40) und Lara Hansen (26) haben die neue FLINTA*- Partyszene Berlins erkundet
Vor der Pandemie fühlte sich die Bar Möbel Olfe für viele Berliner Lesben, trans* und queere Personen, die schon seit einigen (langen) Jahren in der Szene unterwegs waren, wie ein zweites Wohnzimmer an. Dienstags traf man in der Trinkhalle unzählige bekannte Gesichter. Dann kam Corona. Als 2022 das so vermisste Nachtleben endlich wieder hochfuhr, war die Olfe eine ganze andere. Das bisherige Publikum schien von einem anderen komplett ersetzt worden zu sein: Die FLINTA* um die 30+ und 40+ waren weg, stattdessen strömte eine gewaltige Menge an 20-Jährigen in den Laden. Ohne die Pandemie-Pause wäre das Phänomen kaum bemerkbar gewesen. Viele ältere Lesben fühlten sich plötzlich verloren, während die neue Generation voller Lust und Begeisterung das queer-lesbische Nachtleben umarmte. Zwei Jahre später sind die Dienstage in der Möbel Olfe wieder gemischter – nicht unbedingt, weil das alte Publikum zurück wäre, sondern weil ein Teil der Jüngeren inzwischen anderswo ausgeht.
Die Grenzen werden aufgebrochen
Als Szeneort schlechthin gilt gerade das Stueck am Schlesi mit seinen begehrten wöchentlichen FLINTA*-Donnerstagen. Bei der Eröffnung 2022 sei es tatsächlich noch ruhiger zugegangen in der jungen Bar. „Aber auf einmal gab es einen Knall und der Laden war voll“, erzählt Romy, 31, vom Barkollektiv. „Das Stueck ist zu einem Platz geworden, den es so noch nicht gibt für die FLINTA*- Community in Berlin“, sagt auch Kolleg*in Naim (21). Das gebe einen gewissen Rückhalt und schaffe Sicherheit. „Du kannst alleine hinkommen und wirst immer jemanden treffen, den du kennst“, so Romy. Weil die Abende immer voller wurden und der Community ein Stueck lange nicht reichte, hat die Bar ihre Donnerstage seit März noch um das wöchentliche Samstagabend-Pop-up Stueck II in der Pannierstraße 57 ergänzt, das mindestens genauso gut ankommt. Mit der größeren Sichtbarkeit der Community kommt leider auch mehr Risiko: Im Frühling gab es zwei Reizgasangriffe auf die Pop-up-Bar, die laut den Barbetreibenden mit hoher Wahrscheinlichkeit queerfeindlich motiviert waren. Davon ließ sich das Stueck nicht einschüchtern – und organisierte Ende April eine Open-Air-Party vor dem Laden, die als Versammlung angemeldet wurde. Was die Community gegen den ansteigenden Hass machen kann? „Banden bilden, zusammenhalten, dagegenhalten. Power in der Community finden“, so Naim. „Gemeinsame Kämpfe kämpfen, das schafft Verbundenheit.“ Man sei füreinander da und achte aufeinander.
„Banden bilden, zusammenhalten, dagegenhalten. Power in der Community finden.“
Dass sie keinen Lesbenabend veranstalten, sondern einen Abend für alle FLINTA*-Leute, liegt allen im Team am Herzen, und das betonen sie im Zweifelsfall auch gegenüber enttäuschten Gästen, die sich etwa über männlich gelesene Personen in der Bar beschweren. „Uns ist wichtig, einen Raum zu schaffen für marginalisierte Geschlechter und Geschlechteridentitäten“, sagt Romy. „Ich weiß von vielen trans* Personen, die in anderen Spaces Schwierigkeiten haben oder abgewiesen werden, weil sie ein gutes Passing haben. Wir sind da ganz doll hinterher, niemanden auszugrenzen“, so Romy weiter. Deswegen würden sie auch nie aufgrund von äußeren Merkmalen entscheiden, wer zum Event gehört oder nicht. „In unserer Szene werden die Grenzen nach und nach aufgebrochen“, findet sie. „Man muss sich nicht mehr genau definieren, um irgendwo dazuzugehören, sondern man ist einfach verbunden, dafür, dass man irgendwie zu einem Teil von FLINTA* gehört oder queer ist.“
200 Meter entfernt vom Stueck gibt es dieses Community-Gefühl auch bei der „Queer Girls Night“ im Café Wendel. Isa (25) und Heinke (24) haben im Frühling 2022 gemeinsam die beliebte Barnacht ins Leben gerufen, weil sie wegen des mangelhaften Angebots selbst frustriert waren. „Für schwule Männer gibt’s so viel, für uns gab’s nur Möbel Olfe“, erinnert sich Isa. „Da dachten wir uns, wir machen einfach unser eigenes Event.“ Gesagt, getan. Jeden vierten Donnerstag im Monat richten sie nun die „Queer Girls Night“ aus. „Am Anfang haben wir noch Leute auf der Straße angesprochen. Beim ersten Event hab ich sogar über Tinder irgendwelche Matches angeschrieben“, lacht Isa. Aber das sei schnell nicht mehr nötig gewesen. „Nach dem dritten Event hatten wir schon über hundert Leute.“ Dadurch sei ihnen klar geworden, wie groß die Szene wirklich ist. „Die Leute gab’s vorher schon, aber nicht als eine Community“, sagt Isa. Das „Girls“ im Namen solle nicht irritieren, sondern sei genau wie beim FLINTA*-Begriff genderübergreifend und auch generationenübergreifend gemeint – gelte also nicht nur für cis Frauen und für Gen Z.
Low Budget und DIY
Das mache die neue Szene aus. „Dass man sich so ausleben kann, wie man sich fühlt, ohne da auf gewisse Normative zu stoßen. Dass das Ganze viel fluider ist“, sagt Heinke. Allgemein weht laut beiden ein frischer, kreativer Wind. Deswegen gestalten die Barbesucher*innen die „Queer Girls Night“ von Anfang an mit, ob mit kleinen Indie-Pop-Konzerten, Dragshows oder DJ-Sets. Jenseits von Community-Building wird beim Barabend aber auch gerne fröhlich drauflosgeflirtet. Eine sehr unterhaltsame Flirt-Night gibt es seit zwei Jahren ebenso in der queeren Kneipe Silverfuture in Neukölln. Beim Barabend „Love is in the Air“ rotiert eine „Seilbahn der Liebe“ über den nummerierten Tischen, mittels derer man Liebesbotschaften an Unbekannte im Raum schicken kann. Die queer-feministische BIPoC-Bar OYA bietet ein paarmal im Jahr ihre gemütliche „flirt night“, im K-Fetish gibt es seit Januar gelegentlich eine „FLINTA Flirt Night“.
Ihrer Meinung nach sind „die vielversprechendsten, radikalsten und wichtigsten Projekte“ aus der Szene diejenigen, die Low Budget und DIY sind.
In den letzten drei Jahren wurden zahlreiche Kollektive in Berlin gegründet, die das Nachtleben prägen und zum Teil neu definieren. Kleine Party-Kollektive wie Magic Dyke*, Bebex, What A Playground, Crush, Pillow Princess, TransFagDyke oder auch Allesbien mit dem kleinen Open-Air-Event „Dyke* Festival Berlin“ – das allerdings nur tagsüber stattfindet und alkoholfrei ist– bringen eine Menge Alternativen zu den traditionellen Partys. Alte Kneipen der linken Szene wie Tristeza und K-Fetisch in Neukölln, die nur ab und zu Abende für die Community hatten, wurden nach der Pandemie von jüngeren, feierlustigen FLINTA*-Teams übernommen, die ein neues Publikum anziehen. Andere queere Bars beherbergen auch FLINTA*-Events wie das kleine Tipsy Bear in Prenzlauer Berg mit dem 2021 gelaunchten Open-Stage-Abend „Siblinx“ oder die Dragshow „König“. Dieses üppige Angebot an Ausgehmöglichkeiten testet und checkt „Party Dyke“ seit zwei Jahren akribisch und pickt die Rosinen heraus. Zweimal in der Woche postet sie Barabend- und Partyempfehlungen auf ihrer gleichnamigen Website und ihrem Instagram-Account. Eine freiwillige Gefälligkeit für die Community aus der Community, die die zurückhaltende 25-jährige Irin, die lieber anonym bleiben möchte, „als Dank fürs Glück und Vertrauen, die die Szene (ihr) gegeben haben“, anbietet. Ihrer Meinung nach sind „die vielversprechendsten, radikalsten und wichtigsten Projekte“ aus der Szene diejenigen, die Low Budget und DIY sind. Mit ihrem „PartyDyke-Nightlife-Guide“ möchte sie andere feierlustige Dykes* ermutigen, die die Szene vielleicht noch nicht so gut kennen, solche Partys zu besuchen und damit zu unterstützen.
Eine Party für Freund*innen
Die junge FLINTA*-Generation gibt sich verständlicherweise nicht zufrieden mit den herkömmlichen Partys und deren ewigem Mainstream-Pop-Hits-Dorfdisko-Mainfloor. Endlich gibt es auch Clubnächte, die sich in der Berliner Technoszene verorten. Dabei sind sie nicht unbedingt von den Jüngsten organisiert. Wie die „Pillow Princess“, die vergangenes Jahr von einem lesbischen DJ-Paar initiiert wurde: Cat und Broccoli, Erstere aus Irland, Letztere aus Italien, sind beide Anfang 30. Mittlerweile sind zwei weitere DJs an Bord. Die feine Electro-Sause, die sich mal als Barabend und seit Kurzem auch als Clubnacht bietet, fand neulich im geilen unterirdischen Kreuzberger Club Zur Klappe statt. „Pillow Princess“ starteten sie, weil sie es satt hatten, keine Party in der Szene finden zu können, die zu ihrem Musikgeschmack passte. „Wir haben eine Gruppe von befreundeten Dykes*, die echte Raver sind und feiern gehen mögen. Am Ende waren wir immer bei Partys wie ‚Cocktail d‘Amore‘ oder ‚Buttons‘, die schwul dominiert sind, die echt cool sind, aber wo wir immer im Schatten waren“, bedauert Cat. „Unser Ziel war also, diese Lücke zu schließen und eine Party für unsere Freund*innen zu machen, die Lust haben, mit anderen Dykes* und Queers zu feiern.“ Die beiden haben stabile Jobs, was ihnen ermöglicht, kleine Partys ohne finanziellen Druck zu schmeißen: „Es gibt uns die Freiheit, verschiedene Formate zu testen, weil wir nicht unbedingt Einnahmen erzielen müssen und uns sogar erlauben können, ein bisschen Geld zu verlieren. Alles ist entspannt“, fügt Broccoli dazu. Das Line-up ist immer FLINTA* und queer. Eine strikte Door Policy gibt es aber nicht, Friends and Allies welcome.
Bis zum nächsten Morgen tanzen
Bei anderen neuen Partys fungierte die im Klunkerkranich groß gewordene „Magic Dyke*“ als Eisbrecher. Mit ihren grandiosen sex- und bodypositiven Shows – ein Mix an Strip- und Dragkingshows –, ihren coolen DJ-Line-ups und der gut kommunizierten Consentkultur hat sie vielen kleinen Kollektiven Lust gemacht, selbst Events zu organisieren. Wie die im Januar gelaunchte „TransFagDyke“-Party, die sich der nicht binären und trans* inklusiven Türpolitik und der sexpositiven Partykultur der „Magic Dyke*“ verschreibt. „Für manche Leuten kann das bestimmt polemisch wirken, aber unser Statement ist: ‚Wenn Genitalien für dich so wichtig sind, ist dieser Darkroom vielleicht nicht für dich gemacht‘“, erläutert Stella. Die 29-jährige trans und bi Aktivistin, die u. a. Vorstandsmitglied des CSD ist, hat die „TransFagDyke“ mit ihrer Komplizin Lucie, 34 Jahre alt, gegründet. Die beiden eng befreundeten Französinnen sind auch im Leben gut angekommen und können es sich leisten, Non-Profit-Clubnächte zu organisieren. Nun haben sie zwei Kollektivmitglieder von Allesbien an ihrer Seite. Die Idee hinter „TransFagDyke“war vor allem, eine „Alternative zu den Partys zu schaffen, die sich als FLINTA* labeln, aber vor allem weiße cis Lesben anziehen“, so Stella. Für Lucie ging es mehr um die Musik: „Ich liebe es, im Berghain und anderen Techno-Clubs zu feiern. Wenn ich aber zu Lesbenpartys gehe, habe ich oft das Gefühl, dass sie von Leuten organisiert sind, die mit der Techno- und Electro-Szene wenig zu tun haben. Dass die Musik eher unwichtig ist und dass man eher dort ein Bier trinkt und schon um 2 Uhr nach Hause geht.“ Bei der „TransFagDyke“ legen vor allem Electro-DJs auf, die trans*, schwul und lesbisch sind. In der intimen Atmosphäre des kleinen Clubs Lark, unter einem S-Bahn-Bogen, kann man bis zum nächsten Morgen glücklich und dykish tanzen.
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