EU-Gleichstellungskommissarin: „Diskriminierung und Gewalt zu rechtfertigen, ist nicht akzeptabel“
Helena Dalli ist Kommissarin für Gleichstellung der europäischen Kommission. Im SIEGESSÄULE-Interview spricht sie über die neue EU-Strategie für LGBTI* und Maßnahmen gegen wachsende Queerfeindlichkeit in Ungarn und Polen
Am 15. Dezember stimmte das ungarische Parlament einer Verfassungsänderung zu, die queerfeindliche Definitionen von Geschlecht und Elternschaft festschreibt. Homosexuelle dürfen keine Kinder mehr adoptieren, trans* Personen wird es unmöglich gemacht, ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Auch im Nachbarland Polen handelt die Regierung offen queerfeindlich.
Was tut die europäische Staatengemeinschaft gegen diese Entwicklungen? Bereits im November hat die Europäische Kommission in Brüssel erstmals eine EU-Strategie zur Gleichstellung von LGBTI* vorgestellt. SIEGESSÄULE sprach kurz zuvor mit der ersten EU-Gleichstellungskommissarin, Helena Dalli
Frau Dalli, vorweg: Feiern Sie das Ergebnis der US-Wahl? Ja! Besonders freut mich, dass Kamala Harris Vize ist. Bis jetzt konnte ich so ziemlich allem zustimmen, was sie gesagt und getan hat. Würden wir uns jemals persönlich treffen, wäre es wohl langweilig, weil wir uns in vielem so einig sind (lacht). Etwa in Bezug auf LGBTI*-Rechte, Frauenrechte oder Antirassismus.
Wird es Ihrer Arbeit als EU-Kommissarin helfen, dass Trump abgewählt wurde? Meinem Eindruck nach hat Politik in den letzten Jahren zunehmend etwas Machohaftes bekommen, mit dem US-amerikanischen Präsidenten als Vorbild! Dies hat viele Menschen zu den falschen Dingen ermutigt. Abgesehen von anderen ernsten Folgen der Trump-Regierung wie dem Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen oder dem Umgang mit Corona.
Machohafte Politik: Was meinen Sie damit genau? Den Diskurs, die Sprache, die Tweets, die oft sehr beleidigend waren. So sollte Politik nicht aussehen, es sollte nicht darum gehen, andere vor den Kopf zu stoßen. Politik ist kein Egotrip. Unsere Aufgabe ist es, die Dinge wirklich zu verbessern.
Ist es das, was Sie persönlich antreibt? Ja. Politik ist ein hartes Geschäft, sie kann sehr anstrengend sein und nimmt viel Zeit in Anspruch. Um das durchzuhalten, braucht man ein hohes Maß an Verpflichtungsgefühl.
Sie wurden in Malta geboren – einem Land, das in Bezug auf LGBTI*-Rechte als eines der fortschrittlichsten in Europa gilt. Sie waren Ministerin in Malta, bevor Sie 2019 das Amt als EU-Kommissarin für Gleichstellung übernahmen. Was bringt der Job so mit sich? Die Position ist neu. Zum ersten Mal hat die EU eine*n Kommissar*in nominiert, dessen bzw. deren Job es explizit ist, für Gleichstellung zuständig zu sein. Ich fühle mich geehrt, dass ich diese Aufgabe bekommen habe. Im ersten Jahr lag unser Schwerpunkt auf der Einrichtung einer „Task Force“. Wir haben die Aktionspläne aufgestellt, die in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten umgesetzt werden sollen. Gestartet sind wir mit einer Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter. Wir arbeiten u. a. auch zu Rassismus, zur Situation von Rom*nija, zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen ...
„In den letzten Jahren haben wir ja gesehen, dass es in einigen EU-Staaten, was die Rechte von LGBTI* betrifft, rückwärts- und nicht vorwärtsgegangen ist“
Am 12. November haben Sie auch die allererste EU-Strategie zur Gleichstellung von LGBTI* vorgestellt. Ja, dieses Projekt liegt mir besonders am Herzen. In den letzten Jahren haben wir gesehen, dass es in einigen EU-Staaten, was die Rechte von LGBTI* betrifft, rückwärts- und nicht vorwärtsgegangen ist.
Das Strategiepapier beschreibt einige gute Ziele, wie die Bekämpfung von Diskriminierung oder mehr Sicherheit für LGBTI*. Die Frage, die wir uns aber stellen: Wie viel bringt das wirklich, etwa in Ländern wie Polen oder Ungarn, in denen die LGBTI*-Rechte aktiv eingeschränkt werden? Kann ein EU-Papier diese Länder dazu bringen, anders zu handeln? Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen EU-Institutionen nationale Politik beeinflussen können. Etwas, das wir z. B. in Bezug auf Polen bereits getan haben, ist, Finanzierungen zu kappen. Denn um finanzielle Mittel von der EU zu erhalten, muss man natürlich die Bestimmungen und die EU-Grundrechtecharta in Bezug auf Gleichstellung respektieren. Wir werden auch überwachen, inwieweit die einzelnen Staaten die in der Strategie beschriebenen Maßnahmen erfüllen. Dann können wir klar hervorheben, wer gut und wer schlecht abschneidet. Die Strategie umfasst auch eine europaweite Harmonisierung der Hasskriminalitätsgesetzgebung: das heißt, Maßnahmen, um Hassverbrechen und Hassrede gegen LGBTI* besser zu bekämpfen. Außerdem soll sie sicherstellen, dass LGBTI*-Familien grenzüberschreitend anerkannt werden. Wir können einen Staat zwar nicht dazu zwingen, sein Familienrecht zu ändern – aber wir können ihn dazu bringen, die Rechte anzuerkennen, die queere Familien in einem anderen EU-Staat bereits haben.
Umfasst das auch die Ehe für alle? Nein – vorerst nur die Beziehung zwischen den Eltern und ihren Kindern. Zu einem späteren Zeitpunkt hoffe ich, dass wir auch an der grenzüberschreitenden Anerkennung der Beziehung zwischen den (Ehe-)Partner*innen arbeiten können.
„Die grundlegende Anerkennung unserer Rechte als Menschen ist nicht verhandelbar. Und eine ,Kultur' oder kulturelle Normen vorzuschieben, um Diskriminierung und Gewalt zu rechtfertigen, ist nicht akzeptabel“
Länder wie Ungarn oder Polen behaupten, da sie als EU-Mitgliedstaaten unabhängig seien, hätten sie ein Recht auf ihre eigenen „kulturellen Normen“ – was auch heiße, LGBTI*-Rechte beschneiden zu dürfen. Wie reagieren Sie darauf? Kulturelle Diversität ist eine sehr schöne Sache. Aber die grundlegende Anerkennung unserer Rechte als Menschen, die ist nicht verhandelbar. Und eine „Kultur“ oder kulturelle Normen vorzuschieben, um Diskriminierung und Gewalt zu rechtfertigen, ist nicht akzeptabel. Als klar war, dass die EU-Finanzierung von manchen Projekten in Polen zurückgehalten wird, kündigte die polnische Regierung schnell an, dass sie das Geld selbst bereitstellen werde. Ich sehe nicht, dass sich unter diesen Bedingungen da viel bewegen lässt. Alles, was uns als Europäische Kommission möglich ist, werden wir tun! Aber natürlich stoßen wir auch an die Grenzen unserer Kompetenz.
Ist das manchmal frustrierend? Sehr. Gerade jetzt, während der Pandemie, wo sich die Situation für viele Minderheiten in der EU noch mal verschlechtert hat.
Sehen Sie auch die Gefahr, dass die Pandemie ein Comeback des Nationalismus in Europa mit sich bringt – mit der Folge, dass sich die Mitgliedstaaten in Zukunft noch weniger an EU-Richtlinien halten werden? Das denke ich nicht. Je mehr in den verschiedenen Bereichen zwischen Mitgliedstaaten zusammengearbeitet wird, desto stärker werden wir aus dieser Krise herauskommen. Keine Zeit für Nationalismus! So bin ich auch überzeugt, dass die EU-Strategie für LGBTI* in den nächsten fünf Jahren, auf die sie erst mal ausgelegt ist, etwas verbessern wird. Es wird viele Gespräche geben, Monitoring – und Wachsamkeit.
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