Diskriminierung queerer Familien: Klage lesbischer Mütter geht zum Verfassungsgericht
Den Fall eines lesbischen Frauenpaares, das um die gemeinsame Elternschaft für seine Tochter kämpft, hat das Oberlandesgericht in Celle heute an das Bundesverfassungsgericht weitergeleitet. Dabei machte das Gericht deutlich: das geltende Abstammungsrecht halte es für verfassungswidrig
Verena Akkermann und Gesa C. Teichert-Akkermann haben eine gemeinsame Tochter, Paula. Was bislang jedoch fehlt: ihre gemeinsame Anerkennung als Eltern. Denn in Deutschland werden Regenbogenfamilien immer noch nicht gleichbehandelt. Dagegen wollte das Ehepaar sich juristisch wehren und klagte gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).
Zu ihrem Fall hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle heute eine Entscheidung veröffentlicht, die bahnbrechend auch für die Rechte anderer queerer Familien in Deutschland sein könnte. Die Klage des Paares hat das OLG Celle an das Bundesverfassungsgericht weitergeleitet – und klar festgestellt, dass es das geltende Abstammungsrecht für verfassungswidrig halte.
Oberlandesgericht sieht Grundrechte verletzt
Wird ein Kind in eine hetero Ehe geboren, hat es automatisch zwei rechtliche Eltern. Der Ehemann wird als Vater des Kindes anerkannt – unabhängig davon, ob er der „biologische“ Vater ist. Auch eine einfache Anerkennung der Vaterschaft für unverheiratete hetero-Paare ist möglich.
Dagegen geht es bislang in Deutschland nicht, einfach zwei Mütter in eine Geburtsurkunde einzutragen. Selbst bei verheirateten lesbischen Paaren muss das Elternteil, das das Kind nicht geboren hat, dieses erst in einem langwierigen Prozess als „Stiefkind“ adoptieren. So auch im Fall der Akkermanns: Gesa C. Teichert-Akkermann hat die gemeinsame Tochter Paula geboren, ihre Ehefrau Verena Akkermann wird aber rechtlich nicht als zweite Mutter anerkannt.
Dies verletze die Grundrechte der Eltern und des Kindes, machte das OLG Celle nun deutlich. Nach der Einführung der Ehe für Alle habe der Gesetzgeber „bewusst davon abgesehen“, auch die abstammungsrechtlichen Fragen neu zu regeln, so das Gericht in einer Pressemitteilung. An diese gesetzgeberische Entscheidung seien die Gerichte gebunden und „dürften sie nicht durch ihre eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen ersetzen“. So könne auch im Fall der Akkermanns der Ehefrau nicht einfach, analog zum Ehemann, die zweite Elternstelle zuerkannt werden. Das Gericht forderte die Bundesregierung hier deshalb zum Handeln auf: Man sehe „eine verfassungsrechtliche Handlungspflicht des Gesetzgebers, die Elternstellung für solche ,Mit-Eltern` gesetzlich zu begründen und näher auszugestalten“.
Karlsruhe ist gefragt
Konkret bedeutet das folgendes: das OLG Celle kann zwar, nach aktueller Gesetzeslage, nicht im Sinne der Akkermanns entscheiden. Es kann den Fall aber an das Verfassungsgericht in Karlsruhe weiterleiten. Da es um verfassungsrechtliche Fragen geht, sehe sich der Zivilsenat des Oberlandesgerichtes nach dem Grundgesetz „verpflichtet, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit vorlegen“.
Urteile des Verfassungsgerichts haben in der Vergangenheit schon mehrfach dafür gesorgt, LGBTI*-Rechte durchzusetzen, wie etwa 2017 in Bezug auf den dritten Geschlechtseintrag „divers“. Der heutige Beschluss aus Celle sei deshalb „rechtlich ein riesiger Erfolg“, findet Lea Beckmann, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die den Fall der Akkermanns begleitet. „Wir haben das Oberlandesgericht überzeugt, dass es mit den Grundrechten schlichtweg nicht vereinbar ist, dass in Paulas Geburtsurkunde nicht ihre beiden Mamas stehen.“
Diskriminierung betrifft auch Eltern mit „Divers“-Eintrag
Gesa C. Teichert-Akkermann zeigte sich nach der heutigen Urteilsverkündung einerseits enttäuscht. „Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass Verena ab heute auch ganz offiziell die zweite Mama von Paula ist“. Andererseits sei das Ehepaar „auch stolz, dass wir die Diskriminierung von Regenbogenfamilien nach Karlsruhe gebracht haben: Ein Grundsatzurteil kann nicht nur uns drei, sondern alle betroffenen Familien endlich rechtlich absichern.“
Das Urteil müsse ein Weckruf für die politisch Verantwortlichen sein, endlich das Abstammungsrecht zu reformieren. Dabei fordert Teichert-Akkermann, nicht nur Zwei-Mütter-Familien gleichzustellen, sondern auch andere Regenbogenfamilien: „Alle queeren Familien, nicht nur 2-Mütter-Familien wie wir, müssen rechtlich gleichgestellt werden.“
„Alle queeren Familien, nicht nur 2-Mütter-Familien wie wir, müssen rechtlich gleichgestellt werden.“
Denn: das Abstammungsrecht diskriminiert nicht nur Frauenpaare, die gemeinsam ein Kind haben. Auch wenn das zweite Elternteil keinen Geschlechtseintrag oder einen Eintrag als „divers“ hat, braucht es erst die Stiefkindadoption, damit beide rechtlich als Eltern anerkannt werden.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte begleitet deshalb derzeit noch ein zweites Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt: Kläger*innen sind das Ehepaar Tara E. und Tony E. Tony ist nicht-binär und hat den Geschlechtseintrag „divers“. Darüber hinaus klagen momentan noch ein paar weitere queere Paare im Rahmen der Initiative #nodoption.
Zuletzt hatte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) im August einen Reformvorschlag zum Abstammungsrecht vorgelegt, und auch das Land Berlin hat mittlerweile eine eigene Bundesratsinitiative gestartet, um das Abstammungsrecht neu zu regeln. Wann sich die Bundesregierung aber auf einen Gesetzesentwurf einigen wird, ist derzeit noch völlig unklar.
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