Diskriminierende Regelungen beim Selbstbestimmungsgesetz?
Beim geplanten Selbstbestimmungsgesetz wurde eine Einigung erzielt: In Kürze soll der Gesetzesentwurf vorgelegt werden. Doch die neuen Regelungen zu Hausrecht und Bedenkzeit sorgen für Irritationen
Am Wochenende war bekannt geworden, dass bis Ostern der Gesetzesentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt werden soll. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung haben die beiden federführenden Ministerien für Justiz (FDP) und Familie (Grüne) die offenen Fragen geklärt, die zu einer erheblichen Verzögerung der ursprünglich für Ende 2022 geplanten Umsetzung des Gesetzes geführt hatten.
Wie in dem Juni letzten Jahres veröffentlichen Eckpunktepapier bereits angekündigt, soll zukünftig eine Änderung des Geschlechtseintrages und des Vornamens durch eine einfache Selbsterklärung beim Standesamt ermöglicht werden. Dies würde die Regelung des „Transsexuellengesetzes (TSG)“ ersetzen, nachdem ein Gang vor Gericht notwendig ist, um den Personenstand zu ändern, sowie zwei teure psychologische Gutachten, deren Erstellung oft mit entwürdigenden Fragen einhergeht.
Eine Selbsterklärung ist ab 18 Jahren voll umfänglich möglich. Minderjährige ab 14 Jahren benötigen hingegen zusätzlich die Zustimmung der Sorgeberechtigten. In den Fällen, in denen die Sorgeberechtigten einer Personenstandsänderung nicht zustimmen, können Familiengerichte „orientiert am Kindeswohl” die Entscheidung der Eltern auf Antrag des*der Minderjährigen ersetzen. Eine erneute Änderung des Geschlechtseintrages ist frühestens nach einem Jahr wieder möglich.
Neue Regelungen: Hausrecht und Bedenkzeit
Allerdings finden sich laut Angaben der Süddeutschen Zeitung auch einige zusätzliche Punkte in dem neuen Entwurf, die das Eckpunktepapier noch nicht vorsah. So wurde ein neuer Passus eingefügt, der die Präsenz von trans* Personen in „geschützten Frauenräumen“ betrifft. Hier werde im Gesetz betont, dass im Beschwerdefall weiterhin das Hausrecht gilt. In bestimmten Fällen könnten also Betreiber*innen trans* Personen den Zutritt verweigern.
Damit wird offensichtlich der trans*feindlichen Kampagne Rechnung getragen, die die Pläne der Bundesregierung zur Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes seit Beginn begleitet. Einzelne TERF-Gruppen behaupten, cis Männer würden das Gesetz angeblich ausnutzen, um sich durch die Änderung ihres Geschlechtseintrages Zugang zu Frauenräumen zu verschaffen. Dahinter steht das trans*feindliche Narrativ, trans* Frauen als verkleidete Männer und potentielle „Täter“ zu diffamieren.
FDP-Justizminister Buschmann hatte bereits Anfang Januar durch ein Zeit-Interview für erhebliche Irritationen und Kritik gesorgt, als er die Verzögerungen bei der Umsetzung des Gesetzes u a. damit begründete, auf diese trans*feindlichen Argumente Rücksicht nehmen zu wollen. So bemühte er das Beispiel einer Frauensauna-Betreiberin, die trotz Einführung des Gesetzes zukünftig trans* Frauen den Eintritt verwehren dürfe. Daraufhin hatte z. B. Transaktivistin Julia Monro Buschmanns Äußerungen kritisiert, auch weil sie die Realität von trans* Personen überhaupt nicht widerspiegeln würden: „Viele trans Personen meiden seit Jahren Sauna, Schwimmbad & Co. weil sie eben Angst vor derartigen Situationen haben. Anstatt ihnen die Angst zu nehmen und Inklusion zu fördern, gießt Buschmann weiteres Öl ins Feuer.“
Ein weiterer neuer Punkt ist die Einführung einer Bedenkzeit: Erst drei Monate nach dem Antrag auf Änderung des Personenstandes soll er tatsächlich wirksam werden. Während dieser Bedenkzeit kann die Entscheidung ohne Folgen revidiert werden.
Kritik von Die Linke.queer
Unter der Überschrift „Selbstbestimmung kennt keine Wartezeit“ kritisierte die Linke.queer am 25.03. in einem Pressestatement die Pläne der Bundesregierung. Frank Laubenburg und Daniel Bache, Bundessprecher von DIE LINKE.queer, erklärten, dass die geplante dreimonatige Wartezeit zur Änderung des Geschlechtseintrags eine Schikane von trans, inter und nicht-binären Personen darstelle, die inakzeptabel sei. „Die Bundesregierung lässt sich hier offfenbar von seit langem gehegten Vorurteilen gegen die geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung queerer Menschen leiten“. Als Beispiel nannten sie vorurteilsbehaftete Äußerungen wie: „Ist vielleicht ja nur eine Phase“, „Überleg dir das gut“ oder „Das denkst du nur im Moment wegen deiner schlechten Erfahrungen“.
Ebenso kritisierten sie den neuen Passus zum Hausrecht, mit dem scheinbar „die Möglichkeit der weiteren Diskriminierung geschützt werden soll.“
Ihrer Auffassung nach hätten hingegen „offene Fragen, wie etwa der Zeitrahmen für geplante Beratungsnetzwerke, die Regelung der gesundheitlichen Aspekte geschlechtlicher Selbstbestimmung, die Entschädigung für Opfer des weitgehend verfassungswidrigen Transsexuellengesetzes (TSG) sowie nach konkreter Verbesserung der prekären sozialen Lebenslagen vieler nicht-cisgeschlechtlicher Menschen“ beantwortet werden müssen.
Queerbeauftragter: Keine neuen Diskriminierungen
Zudem wurde Sven Lehmann, der Queer-Beauftragten der Bundesregierung, von Die Linke.queer aufgefordert „voranzugehen und offensiv für weitreichende Regelungen, die er wiederholt selbst versprochen hat, einzutreten.“ Dass Sven Lehmann sich in der Sache derzeit betont zurückhaltend gebe, entwerte sein Amt, kritisierte Die Linke.queer. Ein Queerbeauftragter habe die Interessen der Communitys offensiv zu vertreten, „über ausreichend Pressesprecher verfügen Regierung und Ministerien bereits.“
Lehmann hatte am 25. März auf Twitter bekanntgegeben, dass 2023 das Jahr sei, in dem das Transsexuellengesetz endlich abgeschafft werde. Der Gesetzesentwurf werde ihm zufolge keine neuen Diskriminierungen schaffen, auch nicht in Bezug auf das Hausrecht.
Er sprach von Spekulationen aufgrund von Medienmeldungen zum Selbstbestimmungsgesetz, da der Gesetzesentwurf im Moment noch nicht vorliege. Die Rechtslage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bleibe mit dem Selbstbestimmungsgesetz unverändert und damit auch der bestehende Diskriminierungsschutz für trans* Personen. „Zutrittsverweigerungen nach Hausrecht dürfen nicht allein auf das Geschlecht abstellen.“ Unbeantwortet blieb hingegen die Frage, warum der Passus zum Hausrecht dann überhaupt mitaufgenommen werden soll.
Ferda Ataman widerspricht Justizminister
Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, hatte sich am 29.03. gegenüber der Süddeutschen Zeitung ebenfalls zu dem Passus über das Hausrecht geäußert. „Pauschale Ausschlüsse von Menschen wegen ihrer geschlechtlichen Identität, ob im Job oder in der Sauna, darf es auch in Zukunft nicht geben", stellte sie klar.
Sie widersprach den Aussagen von Justizminister Buschmann: Laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dürfe eine Person nicht einfach aufgrund ihres Aussehens abgewiesen werden. Buschmann hatte in dem Anfang Januar veröffentlichten Zeit-Interview davon gesprochen, dass die Betreiber*in einer Frauensauna auch zukünftig trans* Frauen aufgrund ihrer „äußeren Erscheinung“ den Zutritt verweigern dürfe, ohne eine Klage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz fürchten zu müssen.
Bundesverband Trans*: Endlich Einigung erreicht
Kalle Hümpfner vom Bundsverband Trans* (BVT*) erklärte am 27.03., dass man sich darüber freue, dass die federführenden Ministerien endlich eine Einigung erreichen konnten. Denn die lange Wartezeit seit Veröffentlichung des Eckpunktepapiers habe für Frustration und Verunsicherung gesorgt. Hümpfner machte darüber hinaus deutlich: „Neue Hürden bei der Änderung oder die Einführung von diskriminierenden Regelungen sind für uns nicht hinnehmbar und werden wir – wenn nötig – kritisieren.“
Zu dem neuen Passus zum Hausrecht sowie der Einführung einer dreimonatigen Bedenkzeit wolle sich der Verband zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht konkret äußern. Eine abschließende Einordnung und Bewertung dieser Aspekte sei erst möglich, wenn der konkrete Gesetzestext vorliegt.
Der Bundesverband Trans* geht wie Lehmann ebenfalls davon aus, dass das Gesetz bis Ende des Jahres im Bundestag verabschiedet werden könne, vorausgesetzt, das weitere Verfahren laufe ohne größere Verzögerungen.
Kritik von der SPDqueer
Die SPDqueer nahm am 28.03. ebenfalls Stellung zum aktuellen Stand des Selbstbestimmungsgesetzes. Die Arbeitsgemeinschaft der SPD für Akzeptanz und Gleichstellung begrüßte ausdrücklich, dass es „nach monatelangem Stillstand“ endlich bei dem Thema vorangehe. Allerdings kritisierte sie, dass einige der bekannt gewordenen Details nicht ihren Vorstellungen eines Selbstbestimmungsgesetzes entsprechen würden.
Carola Ebhardt, SPDqueer-Co-Bundesvorsitzende, betonte: „Dass echte Selbstbestimmung bei der Änderungen eines einfachen Geschlechtseintrags erst Menschen über 18 Jahren zusteht und vor dem endgültigen Inkrafttreten der Änderung eine Bedenkzeit enthalten sein soll – wo Betroffene doch jahrelang nachdenken, bevor sie einen solchen Schritt gehen – ist für uns als SPDqueer nicht akzeptabel.“
Auch dass eine Hausrechts-Regelung für den Zugang von trans* Personen zu bestimmten Räumen angestrebt werde, sei nicht hinnehmbar, ergänzte Oliver Strotzer, Co-Bundesvorsitzender der SPDqueer. „Das AGG enthält hier bereits einen Kompromiss für die Abwägung aller schutzbedürftiger Interessen. Regelungen über den Zugang zu bestimmten Räumen haben im Kontext des Selbstbestimmungsrechts nichts verloren – insbesondere, wenn sie an anderer Stelle bereits existieren.“
Die SPDqueer wies drauf hin, dass der Kern eines Selbstbestimmungsgesetzes darin bestehen müsse, Hürden für eine gesellschaftliche Teilhabe abzubauen. Stattdessen hätten „die monatelange Verzögerung eines Gesetzentwurfs, irritierende Interviews des Bundesjustizministers und halbgare Kompromisse“ zu einer massiven Verunsicherung bei trans* Menschen und in der gesamten queeren Community geführt. „Dass dagegen der Beifall von Gegner*innen eines Selbstbestimmungsrechts sehr groß war, sollte zeigen, dass die eingeschlagene Richtung verkehrt ist.“
Der Inhalt des Selbstbestimmungsgesetzes dürfe nicht aufgrund von Parteipolitik auf dem Rücken der Betroffenen ausgehöhlt werden.
Kundgebung am 3. April
Die Gruppe Nonbinary.Berlin hat auf Facebook zu einer Kundgebung gegen die Hausrechts-Klausel im geplanten Selbstbestimmungsgesetz aufgerufen. Die Aktion startet am Montag, den 3. April, um 17 Uhr vor dem Bundestag!
„Um die TERFs in ihrer Mitte zu besänftigen, werden sie einfach eine spezielle Klausel hinzufügen, die klarstellt, dass Trans* Frauen immer noch aus geschützten Räumen für Frauen ausgeschlossen werden können", heißt es in dem Aufruf auf Facebook. „Dass kommerzielle Einrichtungen Menschen immer noch absurden Hausordnungen unterwerfen können, die dazu bestimmt sind, alle Personen, die den jeweiligen Vorstellungen von Weiblichkeit nicht entsprechen, von den notwendigen sicheren Räumen fernzuhalten. Dass es in Ordnung ist, unser Geschlecht anhand unseres Aussehens zu bewerten. Und generell, dass jede*r das selbstbestimmte Geschlecht, das wir endlich in unsere Papiere schreiben dürfen, ignorieren kann."
Darum soll die Kundgebung die „Abgeordneten auf ihrem Heimweg daran erinnern, dass Trans*-, Inter*- und Nonbinary-Rechte Menschenrechte sind". Die Aktion endet um 18:30.
Gegen die TERF-Klausel im Selbstbestimmungsgesetz!
Montag, 3. April, 17:00 - 18:30 Uhr, vor dem Bundestag (Platz der Republik 1)
Union lehnt Selbstbestimmungsgesetz ab
Wie am 21. April bekannt wurde, haben sich Unions-Politiker*innen in einem Schreiben an die Fraktionsmitglieder gegen das Selbstbestimmungsgesetz ausgesprochen. Stattdessen sei man offen „für eine pragmatische Anpassung des Verfahrens zur Änderung des Namens beziehungsweise des Personenstands von transgeschlechtlichen Menschen, um dem Eindruck diskriminierender Regeln entgegenzutreten“, wie es in dem gemeinsamen Brief der CDU-/CSU-Politiker*innen Günter Krings, Silvia Breher, Andrea Lindholz und Dorothee Bär heißt.
Die Idee eines Selbstbestimmungsgesetzes ginge den Unterzeichner*innen jedoch zu weit, da allein der Name des Gesetzes suggeriere, geschlechliche Identiät sei frei wählbar. Die Politiker*innen forderten, dass erwachsene Personen zwei Beratungstermine wahrnehmen müssen, bevor sie die Änderungen im Geschlechtseintrag vornehmen dürfen. Für Minderjährige soll die bisherige Rechtslage gelten.
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