Besserer Schutz für queere Asylsuchende

Diskretionsgebot endlich gekippt!

21. Sept. 2022 mebo

Queere Geflüchtete sollen in Zukunft leichter Asyl bekommen. Das Bundesinnenministerium beendet den gegen EU-Recht verstoßenden Umgang des BAMF mit LGBTIQ*-Asylanträger*innen

Gestern teilte das zuständige Bundesinnenministerium mit, dass das sogenannte Diskretionsgebot abgeschafft werden soll. Das Gebot hatte es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lange Zeit erlaubt, Asylanträge von LGBTIQ*-Geflüchteten mit dem Hinweis darauf abzulehnen, dass ihnen in ihren Herkunftsländern keine Gefahr drohe, wenn sie ihre sexuelle Orientierung und/oder geschlechtliche Identität versteckten und sich stattdessen für eine „diskrete“ Lebensweise entschieden. Auf diese Weise wurden queere Geflüchtete in der Vergangenheit selbst in schlimmste Verfolgerstaaten abgeschoben. Jüngstes Beispiel ist der Fall eines in Frankfurt lebenden schwulen Algeriers, dem aufgrund seiner Homosexualität in seinem Herkunftsland eine bis zu dreijährige Gefängnisstrafe drohte und der dennoch abgeschoben werden sollte. Diese u. a. vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) als menschenverachtend kritsierte Praxis hat nun ein Ende: Das Bundesinnenministerium kündigte an, die entsprechende Dienstanweisung des BAMF zum 1. Oktober 2022 zu ändern.

Statement des LSVD

Der LSVD begrüßte die Entscheidung. „Wir sind glücklich und erleichtert, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser endlich gehandelt hat“, sagte LSVD-Bundesvorstandsmitglied Patrick Dörr. „Prognoseentscheidungen über das Verhalten LSBTI-Schutzsuchender im Heimatland oder die Aufforderung, sich dort ,diskret' zu verhalten, sind unzulässig und verstoßen gegen die bereits seit 2013 bestehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Trotzdem fand das sogenannte ,Diskretionsgebot' bis heute Anwendung in der Bescheidungspraxis des BAMF.“

Zuspruch aus der Politik

Die LGBTIQ*-Organisationen der Ampelkoalition begrüßten die Entscheidung. Oliver Strotzer, Co-Bundesvorsitzender von SPDqueer erklärte in einer Pressemitteilung: „Als SPDqueer begrüßen wir diese mehr als überfällige und klare Absage an das Diskretionsgebot und danken Bundesinnenministerin Nancy Faeser und allen Beteiligten, insbesondere auch den LSBTIQ*-Verbänden, die in dieser Angelegenheit nie locker gelassen haben."

Jürgen Lenders, Sprecher für LSBTI der Fraktion der Freien Demokraten erklärte: „Ich bin sehr froh darüber, dass die menschenverachtenden Diskretionsprognosen endlich abgeschafft werden und Bundesinnenministerin Nancy Faeser in ihrem Ministerium aufräumt.“

Auch Filiz Polat, stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat, und Ulle Schauws, Sprecherin für Familie, Senior*innen, Frauen, Jugend und Queer von den Grünen fanden deutliche Worte: „Dass der Staat vorschreibt, dass Menschen in Ländern, in denen sie aufgrund ihrer sexuellen Identität verfolgt werden, diskret zu leben haben und in dessen Folge kein Asyl erhalten, war und ist ein Skandal. Es ist gut, dass die Ampel diese Vorgabe jetzt abschafft.“ Mit der Änderung der Asylverfahrenspraxis beim BAMF folge die Koalition der Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG und setze den von ihr eingeleiteten Paradigmenwechsel fort.

Offene Forderungen

Neben all dem Zuspruch und der Erleichterung gab es auch konkrete Forderungen. So erwarten Filiz Polat und Ulle Schauws, „dass unmittelbar auf alle noch laufenden behördlichen Verfahren die Bescheide entsprechend korrigiert werden. Auch sollten in einschlägigen gerichtlichen Verfahren, in denen bereits im Sinne der queeren Geflüchteten entschieden wurde, mit sofortiger Wirkung auf weitere Rechtsmittel verzichtet beziehungsweise diese zurückgezogen werden."

Und Alva Träbert vom LSVD erklärte: „Zwischen der Ankunft in Deutschland und der Asylanhörung vergehen oft nur wenige Tage. Queere Geflüchtete müssen dabei Jahre der Angst und Scham überwinden, um über ihre Fluchtgründe zu sprechen. Ohne flächendeckenden Zugang zu qualifizierter Rechtsberatung in queerer Trägerschaft ist dies oft unmöglich." Hintergrund dieser Forderung ist, dass die individuelle Asylverfahrensberatung, die bisher vom BAMF gegeben wurde künftig in der Trägerschaft der freien Wohlfahrt liegen soll. „Wie bei der Abschaffung der ,Diskretionsprognose' muss die Bundesregierung auch hier Wort halten", fordert Träbert. Denn nur so könnten „LSBTI-Geflüchtete ihr Recht auf ein Leben in Sicherheit einlösen – so diskret oder offen, wie sie selbst es wollen.“

Da uns diese Meldung erst nach Drucklegung erreichte, ist im Oktoberheft der SIEGESSÄULE noch ein Text zum „Diskretionsgebot" enthalten, in dem davon ausgegangen wird, dass diese Praxis weiterhin Anwendung findet.

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