Ausstellung zum Hamburger Hafen (13.04.–07.07.)

Die Kunst des „Neuen Sehens“ – Fotografien von Rolf Tietgens

11. Apr. 2024 Carsten Bauhaus
Bild: Alfred Ehrhardt Stiftung
Selbstporträt von Rolf Tietgens

Eine Fotoausstellung in der Alfred Ehrhardt Stiftung zeigt vom 13. April. bis zum 7. Juli Bilder des Hamburger Hafens, die von Rolf Tietgens und Alfred Ehrhardt fotografiert wurden. Tietgens war ein bedeutender schwuler Fotograf, der vor den Nazis fliehen musste

Der Hafen als archaischer Ort, facettenreich und aufregend: Der 1939 zum 750-jährigen Jubiläum des Hamburger Hafens veröffentlichte Bildband von Rolf Tietgens bewies nicht nur dessen Drang nach individuellem Ausdruck, sondern auch seine virtuose Handhabung der fotografischen Technik des „Neuen Sehens“: durch experimentelle Herangehensweise das Besondere im Alltag sichtbar machen. Tietgens selbst erlebte den Erfolg der Veröffentlichung nur noch aus der Ferne. Im Dezember 1938 war der schwule Künstler überstürzt nach New York abgereist. Er, der eigentlich nie emigrieren wollte, war akut von Verfolgung durch die Nazis bedroht. „Warum genau er so plötzlich auswanderte, ist nicht mehr rekonstruierbar“, erzählt der Fotohistoriker und Kurator Eckhardt Köhn der SIEGESSÄULE. „Aber die Tatsache, dass er damit sogar darauf verzichtete, die Drucklegung seines Fotobuches selbst zu überwachen, belegt die akute Bedrohungssituation.“

Der Hafen-Fotoband stellte den Höhe- und Endpunkt seiner kurzen Karriere im Deutschland der 30er-Jahre dar. Die Bilder des Bandes sind zentraler Bestandteil der Ausstellung „Hamburger Hafen und Norddeutsche Küste“, in der Fotografien von Rolf Tietgens und Alfred Ehrhardt zu sehen sind.

„Die Nazis hatten zu Beginn der Diktatur noch keine vollständige Kontrolle über die Bildproduktion.“

„Die Nazis hatten zu Beginn der Diktatur noch keine vollständige Kontrolle über die Bildproduktion, sodass die Fotografie des Neuen Sehens noch in Zeitschriften veröffentlicht werden konnte“, berichtet Eckhardt Köhn. 1936 konnte Tietgens sogar in Riefenstahls Olympia-Film mitwirken: „Er war als gebürtiger Hamburger ja ein sehr guter Segler und hat die Kieler Segelwettbewerbe gefilmt.“ Auch Tietgens Homosexualität war in den frühen Jahren der Nazi-Herrschaft noch kein ultimatives Karrierehindernis. So wurde Tietgens noch 1934 Teil einer homoerotisch gefärbten Künstler-Bohème rund um den Maler Eduard Bargheer und den Fotografen Herbert List. „Bis zur Olympiade gaben sich die Nazis noch den Anschein von Liberalität und gingen eigentlich nur gegen Strichertreffs vor“, berichtet Eckhardt Köhn. „Die konsequente Verfolgung begann erst danach.“

Ein Deutscher im Exil

Tietgens Start in der neuen Welt gestaltete sich zunächst erfolgreich. Durch alte Kontakte fand er schnell Zugang zu der New Yorker Magazinszene. Langfristig wurde es aber immer schwieriger für ihn, mit rein künstlerischen Arbeiten zu überleben. So verdiente er in den 50er-Jahren als Werbe- und Modefotograf sein Brot, zwar durchaus erfolgreich, aber zunehmend unzufrieden. „Er war sehr eigensinnig, hatte selbst immer sehr klare Vorstellungen und hat sich oft mit den Art-Direktoren überworfen“, so Köhn. An seinen alten Freund und Kollegen Herbert List schrieb er desillusioniert: „Da man schöne Bilder in Amerika nicht verkaufen kann, arbeite ich kommerziell und töte meine Seele. Mich bringt das ganze Leben hier auf den Hund.“ 1964, gerade einmal 53 Jahre alt, gab er die Fotografie schließlich auf.

Bild: Alfred Ehrhardt Stiftung
Rolf Tietgens: Schiffs Steven

Seine heute wohl bekanntesten Aufnahmen sind diejenigen, die er 1942 von Patricia Highsmith machte. In dieser Zeit verband die beiden eine innige intellektuelle Beziehung, die trotz ihrer beider Homosexualität auch eine erotische Komponente besaß. Es war der damals gut vernetzte Tietgens, der der jungen Schriftstellerin ihre ersten Veröffentlichungen vermitteln konnte. Später beklagte die inzwischen weltbekannte Autorin die Negativität und Verbitterung des immer weiter in die Depression abrutschenden Tietgens. Abgesehen von einigen Familienbesuchen kehrte er nie wieder nach Deutschland zurück. Er starb 1982 in New York, vergessen, verarmt und vereinsamt – wie so viele aus der verlorenen Generation deutscher Exilkünstler*innen.

Alfred Ehrhardt & Rolf Tietgens:
Hamburger Hafen und Norddeutsche Küste,
13.04.–07.07., Di–So 11:00–18:00,
Alfred Ehrhardt Stiftung,
Auguststr. 75, Mitte

Vernissage: 12.04., 19:00
Kuratorenführung: 13.04., 16:00
Lichtbildervorträge: 22.05. und 12.06., 19:00

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