Die „kleine Kanzlerin“: Abschied von Jörg Litwinschuh-Barthel
Am 9. November beendete Jörg Litwinschuh-Barthel seine Arbeit als Geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. In den zehn Jahren unter seiner Leitung entwickelte sich die Stiftung zu einer der zentralen LGBTIQ*-Institutionen des Landes. SIEGESSÄULE-Verlegerin Manuela Kay sprach mit dem scheidenden Vorstand an seinem letzten Tag im Amt über die Entwicklung der Stiftung und seine Pläne für die Zukunft
Jörg, wir kennen uns schon lange, deshalb an dieser Stelle eher ein persönliches Gespräch, als eine Bilanz des scheidenden Stiftungsvorstands. Danke, dass du dich an deinem allerletzten Arbeitstag mit mir triffst. Wie geht es dir heute angesichts dessen? Heute bin ich freudig erschöpft.
Bist du auch traurig? Ja, ich bin auch traurig. Aber ich habe so viel Wertschätzung in den letzten Tagen und Wochen erfahren, dafür bin ich unendlich dankbar.
In einem Satz erklärt, was habt ihr in den letzten zehn Jahren gemacht? Eigentlich wollten wir der Gesellschaft zeigen, wie vielfältig Menschen sind, gerade was ihre geschlechtliche und sexuelle Identität angeht. Wenn wir lernen, Vielfalt zu akzeptieren, dann sind wir alle viel glücklicher und auch produktiver in der Welt unterwegs.
Hat das geklappt? Ich glaube, wir haben die ersten Füße in den Haustüren der Bürgerinnen und Bürger drin. Aber um alle Herzen und Hirne zu erreichen, braucht es noch einige Zeit. Besser gesagt, jede Generation muss Vielfalt neu erlernen.
„Ich glaube, mir ist gelungen, wieder einzelne Brücken zwischen den Communityteilen zu bauen."
Worauf bist du besonders stolz? Dass wir den Fokus der Stiftung erweitern konnten. Sie wurde gegründet, um die Verfolgung Homosexueller aufzuarbeiten, aber das kann nicht die alleinige Aufgabe sein. Es ist ganz wichtig, auf Lesbengeschichte zu schauen. Wir haben auch Zerfallstendenzen in der Community, dabei sollte sie sich immer wieder daran erinnern, dass es als Minderheit besser wäre, zusammenzuarbeiten. Ich glaube, mir ist gelungen, wieder einzelne Brücken zwischen den Communityteilen zu bauen.
Was ist aus deiner Sicht misslungen? Misslungen ist, dass sich die Stiftung nicht so groß entwickeln konnte, wie ich mir das vorgenommen hatte. Es hängt alles auch mit Geld zusammen und die Stiftung ist weiter chronisch unterfinanziert.
Anfangs hat niemand so recht den Sinn der Stiftung verstanden, sie wurde sehr kritisch betrachtet. Wie hast du die Akzeptanz hinbekommen? Mein Mann sagte mal in den Anfangsjahren, ich würde Bundeskanzlerin Merkel spielen, nur auf klein. Ich bin wirklich in jeden Winkel der Republik gereist und habe mich mit LSBTIQ-Organisationen getroffen. Und ganz wichtig: ich habe mich der Kritik gestellt. Wie zum Beispiel: Was tut die Stiftung für lesbische Frauen? Wie divers ist sie? Da wurden Finger in die Wunden gelegt. Am allermeisten habe ich von lesbischen Frauen, trans* Personen und Historiker*innen gelernt. Auch war mir wichtig, zu Politikerinnen und Politikern zu reisen – nicht um ihnen zu sagen, was sie alles falsch machen, sondern ich habe erreicht, dass sie mir zugehört haben.
„Anzüge sind mein Fetisch.“
Du fühlst dich sichtlich wohl in Gesellschaft einflussreicher Menschen aus Politik oder Kirche. Du trägst ja auch gern Anzüge. Aber musstest du dich nie verbiegen? Anzüge sind mein Fetisch ... Verbiegen muss ich mich nicht, weil ich aus einem sehr konservativen Elternhaus komme, wahnsinnig katholisch und dennoch liberal. Das war schon als Kind ein Spagat. Eigentlich war ich gläubiger Katholik, dennoch habe ich Ausgrenzungen in der katholischen Kirche erfahren und bin früh ausgetreten. Ich habe mich schon in meinem kleinen Heimatdorf Weißkirchen im Saarland für die Rechte von Schwulen eingesetzt – so, dass meine Eltern gesagt haben: „Wir können eigentlich nicht mehr aus dem Haus gehen, weil wir dauernd darauf angesprochen werden.“ Ich habe immer versucht, mit meinem jeweiligen Gegenüber – ich bin ja selbst konservativ, sieht man mir, glaube ich, auch an – wertschätzend umzugehen.
Zu Beginn war die Kritik, die Stiftung sei eine von schwulen Männern organisierte Geldverteilung. Du hast dich über die Jahre allerdings geradezu zum Lesbenversteher entwickelt. Wie kam es dazu? Allein schon durch ihren Namen und die Satzung wurde sie als weiße, männliche, cis Stiftung wahrgenommen. Wer allerdings die Geschichte von Magnus Hirschfeld kennt, weiß, dass er vor 100 Jahren viel weiter war als wir heute. Da waren viele Frauen, nonbinäre, trans* und inter* Personen um ihn. Sein Institut war ein offenes Haus. Er hatte ganz mächtige lesbische Mitstreiterinnen, nicht nur Johanna Elberskirchen, auch ganz viele Frauen aus der Gewerkschaft. Ja, und Lesbenversteher ... ich weiß nicht, ob das ein Kompliment ist? Zum Glück bin ich tollen lesbischen Frauen begegnet, die mich ernst genommen haben und mir gesagt haben: Da musst du noch etwas lernen.
„Seit ich mich mit Trans* beschäftige, bin ich mit meinem eigenen Körper und meiner Geschlechts- und sexuellen Identität viel zufriedener.“
Darüber hinaus liegen dir auch trans* Themen sehr am Herzen. Ja, ich war schon vor der Stiftungsgründung Mitglied bei TransInterQueer. Ich habe gesehen, wie unglaublich ausgegrenzt trans* Personen sind, auch in der Community. Auch da haben mich tolle Menschen mitgenommen auf ihrem Lebensweg, wie Nicki Trautwein oder Arn Sauer. Seit ich mich mit Trans* beschäftige, bin ich mit meinem eigenen Körper und meiner Geschlechts- und sexuellen Identität viel zufriedener, weil ich selbst nicht mehr in diesen binären Schranken bin – das macht mich viel entspannter.
Wurden dann alle außer den schwulen Männern unterstützt? Brauchen die das nicht mehr? Als anfangs ganz kleine Förderstiftung habe ich bewusst ein Zeichen gesetzt: Unsere erste Förderung war die Trans-Ausstellung im Schwulen Museum. Aber bei der Aufarbeitung der Homosexuellenverfolgung ist es gelungen, das Institut für Zeitgeschichte zu gewinnen, mit uns langfristig diese Forschung zu machen – das sage ich selbstbewusst, weil ich es ein bisschen als mein Meisterstück ansehe.
Fühlen sich die viel beschworenen „alten weißen schwulen Männer“ verlassen, gibt es da Verbitterung? Du bist ja auch einer von ihnen ... Es gibt einige wenige laute Stimmen schwuler Männer, die Angst um ihren Penis bekommen. Aber ich kann nicht sagen, dass sich ältere Schwule vergessen fühlen. Es ist wichtig, die ganz alten Männer zu würdigen, die in den 50er-/60er-Jahren im Knast gelandet sind. Aber ich sehe, dass ältere Männer als ich eher mit Wehmut auf die Jüngeren schauen, die sich oft gar nicht mehr als schwul bezeichnen und sagen: Das ist großartig!
„Ich gebe mein Kind jetzt in andere Hände, da hat man Phantomschmerz, den werde ich noch lange Zeit behalten.“
Empfindest du Groll angesichts des unangekündigten Vorstandswechsels? Der Job wurde überraschend öffentlich ausgeschrieben – du hast auf eine erneute Bewerbung verzichtet. Hand aufs Herz: Fühlst du dich aussortiert? Ich sage mal so: Der Bund wäre gut beraten, bei allen Stiftungen eine Gleichstellung im Umgang mit dem Personal herbeizuführen. Und wenn eine Stelle neu ausgeschrieben wird, dann soll man auch wirklich die Einrichtung verlassen. Ich gebe mein Kind jetzt in andere Hände, da hat man Phantomschmerz, den werde ich noch lange Zeit behalten. Ich hätte mir schon eine andere Form gewünscht – trotzdem ist alles richtig gelaufen.
Du bist jetzt 53 Jahre alt. Wie geht es weiter in deinem Leben? Ich nehme erst mal eine kleine Auszeit. Ich interessiere mich für Tiny Forests, also ganz kleine biologische Wälder – da habe ich in der Uckermark ein Grundstück. Und es hat sich gezeigt, die Jobs kamen immer zu mir.
Was machst du jetzt mit deinen vielen Anzügen? (lacht) Man hat ja gesehen, auch in LSBTI-Organisationen kann Anzug getragen werden, ich glaube das war mein Alleinstellungsmerkmal.
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