Debatte

Detransition und das Recht auf Selbstbestimmung

27. Okt. 2021 Amanda Beser
Eli Kappo

Das Thema Detransition ist in Medien derzeit sehr präsent – und wird oft als angeblicher Beweis dafür herangezogen, dass zu viel Selbstbestimmung für trans* Personen gefährlich wäre. Tatsächlich wollen aber nur wenige Menschen, die sich für eine Transition entscheiden, diese später „rückgängig“ machen. Warum also steht das Thema derart im Fokus? Wir baten die detrans* Aktivistin Eli Kappo und Julia Monro von der dgti um eine Einordnung der Debatte

Um es vorweg zu sagen: Niemand leugnet, dass es Menschen gibt, die detransitionieren. Und keiner Person soll es abgesprochen werden, detrans* zu sein. „Wir fordern generell Selbstbestimmung“ – dies ist auch Julia Monro von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (dgti) in diesem Kontext wichtig zu betonen. „Diese Forderung gilt selbstverständlich ebenso für detrans* Personen.“

Was heißt Detransition eigentlich?

Detransition: darunter wird im Allgemeinen die „Rückkehr“ zu dem Geschlecht verstanden, das einem bei der Geburt zugewiesen wurde. Tatsächlich kann der Begriff aber vieles bedeuten. Er kann zum Beispiel für Menschen passend sein, die bestimmte geschlechtsangleichende Maßnahmen, die sie früher begonnen haben, wieder stoppen, wie die Einnahme von Hormonen. Er kann für Personen gelten, die den Wechsel ihres Vornamens und Geschlechtseintrags zurücknehmen, körperlich aber nichts verändern, und so weiter.

Betreffen dürfte die Thematik auch nur wenige. Zwar gebe es keine belastbaren Studien zu Detrans*, sagt Monro. Bernd Meyenburg, Kinder- und Jugendpsychotherapeut aus Frankfurt, habe allerdings mal für einen Zeitraum von zehn Jahren Buch geführt. Von knapp 700 Personen, die eine rechtliche Transition nach dem „Transsexuellengesetz“ machten, revidierte weniger als ein Prozent das Verfahren. Bei medizinischen Transitionsschritten dürfte die Zahl ähnlich gering sein, schätzt Monro.

Kein Warnsignal

Im Verhältnis dazu sei das „Phänomen Detransition“ derzeit überpräsent in den Medien. Die Art und Weise, wie darüber gesprochen wird, findet Monro außerdem problematisch: „Detrans* Positionen werden von rechtsradikalen, evangelikalen oder radikal feministischen Gruppen instrumentalisiert, um Stimmungsmache gegen Transsexualität zu betreiben und die Selbstbezeichnung trans* infrage zu stellen.“

Zeitschriften wie die Emma und konservative Parteien wie die CDU haben das Thema für sich entdeckt und kamen in den letzten Jahren mehrfach darauf zurück, wenn es darum ging, sich gegen mehr Rechte von trans* Personen auszusprechen. Insbesondere im Kontext von trans* Kindern und Jugendlichen wird detrans* als angebliches „Warnsignal“ herangezogen und als Argument dafür, warum man jungen Menschen nicht zu früh die Transition „erlauben“ sollte.

„In der Regel geht der Entscheidung zur Transition ein langer und intensiver Selbstfindungsprozess vorweg“

„Gerade, wenn man trans* ist, überlegt man sich diesen Schritt sehr, sehr genau“, weiß hingegen Julia Monro. „Das ist keine plötzliche Idee, auf die man mal eben Lust hat. In der Regel geht der Entscheidung zur Transition ein langer und intensiver Selbstfindungsprozess vorweg.“ Klar könne es dazu kommen, dass man einzelne Schritte später anders bewertet, sie vielleicht sogar rückgängig machen möchte. Diese Schritte deshalb gar nicht erst zu ermöglichen oder sie mit hohen Hürden zu verbinden, wie dies in Deutschland selbst bei der Änderung des Geschlechtseintrags – eigentlich nur ein simpler Verwaltungsakt – praktiziert wird, findet Monro jedoch grundfalsch.

Dies wäre so, sagt sie, als ob man Hochzeiten verbieten würde, nur weil manche Ehen später geschieden werden. „Es kann theoretisch jederzeit zu einer Detransition kommen, wie es auch bei einer Eheschließung immer zur Scheidung kommen kann. In dem Moment aber, wo man die Selbstaussage eines Menschen nicht akzeptiert, fehlt der Respekt dieser Person gegenüber.“

„Fatale Fehler“?

Ähnlich sieht dies die 28-jährige Aktivistin Eli Kappo, die das Label detrans*, wie sie im Gespräch mit SIEGESSÄULE erzählt, für sich verwendet, aber „anders besetzt“. Mit 19 outete Eli sich als trans, heute beschreibt sie sich als nicht binäre detrans* Frau, die „ausdrücklich nicht transfeindlich ist“. Auf ihrem Blog „shesindetransition“ schreibt sie unter anderem über Körperbilder, Identität, Biopolitik oder über ihren trans* Aktivismus, „den ich als detrans* Person mache“.

So deutlich wie Eli ergreifen jedoch nicht alle Menschen, die eine detrans* Geschichte haben, Partei für trans* Rechte. Einzelne Gruppen und Organisationen, zum Beispiel „Post Trans“, die auf dem diesjährigen Lesbenfrühlingstreffen (LFT) mit einem Infostand vertreten waren, treten durchaus auch polarisierend auf. „Viele detrans* Geschichten gehen mir nahe, aber wenn ich sehe, dass diese Personen daraus transfeindliche Schlüsse ziehen, hört meine Empathie auf“, sagt Eli Kappo.

„Jede Gelegenheit wird verwendet, um das Thema trans* im Allgemeinen schlechtzureden“

Die eigene Entscheidung, zu transitionieren, werde in solchen Diskussionen oft als fataler Fehler dargestellt, berichtet Julia Monro. „Aber das ist es nicht immer. Und selbst wenn es ein Fehler wäre, müssen wir auch Fehler machen dürfen.“ Stattdessen werde „jede Gelegenheit verwendet, um auf mögliche Gefahren hinzuweisen und das Thema trans* im Allgemeinen schlechtzureden.“ Dies führe letzten Endes zum Schaden für Personen, „die sich wirklich ernsthaft nach einer Transition sehnen“.

Um fachliche Aufklärung, die auf belegbaren Zahlen beruht, oder um mehr tatsächliche Hilfen für Menschen, die sich, vielleicht auch zweifelnd oder suchend, mit ihrer eigenen Geschlechtsidentität auseinandersetzen, gehe es in diesem Kontext meist gar nicht. So räumte etwa die Emma ein, dass sie noch nie so erfolgreiche Beiträge veröffentlicht hätten wie die – laut Eigenbeschreibung der Zeitschrift „transkritischen“– Artikel zu Detrans*. „Sie haben damit ein Thema gefunden, mit dem sie wieder Leute für sich gewinnen können, und deshalb werden sie weiter darüber berichten“, vermutet Julia Monro.

Von B nicht zurück nach A, sondern nach C

Eli Kappo wünscht sich ein anderes Gesellschaftsverständnis davon, was trans* sein bedeutet. „Ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind, aber immer wieder Rückschläge bekommen von konservativen Gruppen, die Aussagen salonfähig machen wollen wie die von einem angeblichen ,Transhype‘".

Detransition wird meist platt als Rückwärtsschritt verstanden. Aber es geht gar nicht darum, von B zurück nach A zu gehen. Eine klare Linie zwischen trans*/nicht trans* und zwischen den Geschlechtern gibt es nicht, auf B folgt C, so wie dies etwa Eli Kappo erlebt hat. Blendet man das aus, wird alles Uneindeutige, Genderqueere ebenso ausgeblendet.

„Ich will den detrans* Leuten, die eine schlechte Aufklärung erlebten, ihre Erfahrungen nicht absprechen. Aber es sollte als konkreter Behandlungsfehler einer konkreten ärztlichen Person erkannt werden, nicht als pauschale Vorgehensweise in der Trans*behandlung“

Seitens „transkritischer“ Gruppen wird auch oft eine angeblich fehlende Kontrolle während Transitionen bemängelt. „Zu schnelle“ Prozesse würden zu Fehlentscheidungen führen. Dazu sagt Eli Kappo: „Mir gefällt nicht, was detrans* Personen, wie etwa im Umfeld von ,Post Trans‘, für ein Bild darüber vermitteln, wie schnell der Transitionsprozess gehen soll und dass es da keine Kontrollen mehr gebe. Ich will den detrans* Leuten, die eine schlechte Aufklärung bei ihrer eigenen Transition erlebten, ihre Erfahrungen nicht absprechen. Es ist wichtig, das zu benennen, und ich sage auch nicht, dass es gar nicht vorkommen kann. Aber es sollte als konkreter Behandlungsfehler einer konkreten ärztlichen Person erkannt werden, nicht als pauschale Vorgehensweise in der Trans*behandlung und -beratung allgemein.“

Julia Monro schließt sich dem an: „Unseriöse Therapeut*innen, die Humbug treiben, gibt es leider überall. Wenn eine trans* Person an so eine*n Therapeut*in kommt, will ich nicht ausschließen, dass es da auch zu Fehlentscheidungen kommen kann. Aber das ist nicht die Regel, man guckt schon sehr genau hin.“

Viele Wege zum eigenen Ich

Bei einer Transition gebe es auch „keinen Königsweg, der etwa vorgibt, man müsse alle Operationen durchziehen, sonst ist man nicht trans*“. In dem Moment, in dem die geschlechtliche Identität wieder an körperliche Merkmale geknüpft werde, „hat das nichts mehr mit selbstbestimmter Transgeschlechtlichkeit zu tun“.

Denn bei Selbstbestimmung geht es um die Selbstaussage eines Menschen, darum, dass nur man selbst sich definieren und über den eigenen Körper bestimmen kann. Dies, so sind sich Julia Monro und Eli Kappo einig, sollte innerhalb und außerhalb von trans* Communitys respektiert werden. „Wir müssen davon wegkommen, Menschen in Kategorien einzusortieren“, wünscht sich Monro, „und Menschen stattdessen als Menschen annehmen.“

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