Texte neu ins Deutsche übersetzt

Der wiederentdeckte Vordenker: James Baldwin

9. Okt. 2024 Elmar Kraushaar
Bild: Granger Historical Picture Archiv / Alamy Stock
Der US-amerikanische Schriftsteller James Baldwin wurde 1924 in Harlem geboren.

Zum 100. Geburtstag des US-Schriftstellers James Baldwin (1924–1987) sind beim dtv-Verlag viele seiner lange nicht auf Deutsch zugänglichen Texte frisch übersetzt und kritisch kommentiert erschienen. Daraus soll sein „Gesamtwerk in neuer Ausstattung“ werden

2024 – was für ein Jahr für James Baldwin. Voller Erinnerungen, Ehrungen und Würdigungen! Der US-amerikanische Schriftsteller, der am 2. August dieses Jahres hundert Jahre alt geworden wäre, ist wieder präsent in der literarischen und politischen Öffentlichkeit. Der deutsche dtv-Verlag hat das besondere Datum genutzt, um fünf seiner Romane und drei Essaysammlungen noch einmal herauszugeben, neu übersetzt. Erstmals erscheint in deutscher Sprache auch eine Baldwin-Biografie. Titel: „Der Zeuge“. Das Literarische Colloquium Berlin feierte den Autor Anfang September mit einem dreitägigen Festival, Überschrift: „What would James Baldwin do?“. In Paris lud die Baldwin-Stiftung „LaMaison Baldwin“ an schließend für fünf Tage zu einem „Centennial Festival“ – „eine Woche der Inspiration, des Dialogs und des Feierns“. Deutschlandfunk Kultur widmete Baldwin eine „Lange Nacht“, überschrieben mit „der wiederentdeckte Vordenker“. Das Oakland Public Theater präsentierte das neue Theaterstück „The Baldwin Centennial Project“. Und das deutsche Politikmagazin Konkret erinnerte an ihn als einen politischen Denker, „der bis heute nichts an Bedeutung eingebüßt“ habe.

Gefeiert als queere Ikone

Das Werk von Baldwin, dem Schwarzen schwulen Schriftsteller, wird auch von diversen Gruppen der großen LGBTIQ*-Community in Anspruch genommen: Die Schwulen halten weiter an ihm fest wie schon seit Jahrzehnten; das „American Institute of Bisexuality“ hat seinen Namen aufgenommen in eine Liste prominenter Bisexueller; trans* Menschen lesen seinen Roman „Giovanni’s Room“ auch als „trans novel“ und der US-Schriftsteller Justin Torres sieht sich – inspiriert durch Baldwins Texte – aufgefordert, nach der Ermordung einer Schwarzen trans Frau junge trans* Menschen of Color zu lieben und zu schätzen: „Wir sehen sie nicht so, wie wir sollten, als die Blüte unserer Bewegung, als unsere Hoffnung.“ Selbst die (aus meiner Sicht völlig irregeleiteten) „Queers for Palestine“ berufen sich auf ein israelkritisches Baldwin-Zitat von 1979, den Kontext völlig außer Acht lassend und nicht erwähnend, dass seine Kritik sich gegen die Zionist*innen richtet, vor allem aber gegen die westlichen Unterstützerstaaten von Israel, seine Solidarität aber den Palästinenser*innen ebenso gilt wie den Schwarzen in Israel. Eine junge queere Generation bedient sich aus Baldwins vielfältigem Werk je nach Belieben, sie tragen sein Konterfei auf ihren T-Shirts und feiern ihn in den sozialen Netzwerken – James Baldwin ist auf dem Weg zum Popstar.

„Das Wort ‚schwul‘ hat mich immer schon gestört. Ich habe nie genau verstanden, was damit gemeint ist. (…) Das einzige Wort, das mir dafür zur Verfügung stand, war ‚homosexuell‘, und auch dieses Wort gab im Grunde nicht wieder, was ich damals zu empfinden begann.“

Was würde der so Geehrte wohl sagen zu so viel Aufmerksamkeit? Dazu, dass ihn die LGBTIQ*- Community als „queer“ vereinnahmen möchte? Er würde die Zuschreibung wahrscheinlich zurückweisen, so wie er sich zu seinen Lebzeiten nicht damit abfinden wollte, als „schwul“ beschrieben zu werden. Dazu gibt es nur ganz wenige Äußerungen von dem ansonsten so Wortgewaltigen. 1984 gibt er Richard Goldstein von der Village Voice eines seiner raren Interviews dazu. „Das Wort ‚schwul‘ hat mich immer schon gestört. Ich habe nie genau verstanden, was damit gemeint ist. (…) Das einzige Wort, das mir dafür zur Verfügung stand, war ‚homosexuell‘, und auch dieses Wort gab im Grunde nicht wieder, was ich damals zu empfinden begann.“ Dabei hat Baldwin mit „Giovanni’s Room“ 1956 einen Klassiker der schwulen Literatur beigesteuert. Sein amerikanischer Verleger war dagegen, diesen Roman zu veröffentlichen, er würde damit seinen Ruf als „literarische Stimme des Schwarzen Amerika“ riskieren. Baldwin ging mit dem Manuskript nach England, und die Liebesgeschichte zwischen einem Amerikaner und einem Italiener im Paris der 1950er-Jahre wurde ein Welterfolg. Aber selbst hier widerspricht er in dem Goldstein-Interview der schwulen Zuschreibung. „In ‚Giovanni’s Room‘ geht es im Kern nicht um Homosexualität. (…) Es geht darum, was mit dir passiert, wenn du Angst hast, jemanden zu lieben.“

James Baldwin: „Giovannis Zimmer“
(208 Seiten, 12 Euro) und weitere Werke neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit aktuellen Begleittexten, dtv Verlag
dtv.de

Bild: dtv Verlag
Das neu übersetzte Buch „Giovannis Zimmer“ von James Baldwin.

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