„Der Welt-Artikel war menschenverachtend“
Zwei Jahre konnte die queere Jobmesse „Sticks & Stones“ nur online stattfinden. Am 11. Juni ist sie zurück in Berlin in der Verti Music Hall. Nicht mit dabei: der Axel Springer Verlag. Was sich mit der Pandemie verändert hat und warum es die richtige Entscheidung war, den Verlag auszuladen, erklärt Veranstalter Stuart Cameron im Gespräch mit SIEGESSÄULE
Am 1. Juni veröffentlichte die zur Axel Springer AG gehörende Tageszeitung Welt einen queerfeindlichen Gastbeitrag mehrerer Autor*innen. Unter der Überschrift „Wie ARD und ZDF unsere Kinder sexualisieren und umerziehen“, finden sich Aussagen wie „Es kann nicht angehen, dass eine kleine Anzahl von Aktivisten mit ihrer 'woken' Trans-Ideologie den ÖRR unterwandert, Falschdarstellungen als vermeintlichen Stand der Wissenschaft verbreitet und das Leben von Kindern und Jugendlichen nachhaltig beschädigt.“ Aufgrund des Artikels entschied sich die queere Jobmesse „Sticks & Stones“ die Axel Springer AG davon auszuschließen. Am Samstag, den 11. Juni, findet die Messe ab 10 Uhr in der Verti Music Hall statt. SIEGESSÄULE fragte Stuart Cameron, Messe-Veranstalter und CEO der UHLALA Group, wie es zu der Entscheidung kam
Stuart, nach zweijähriger Corona-Pause endlich wieder ein Live-Event. Hat die Coronapause die Messe verändert? Wir haben keine Ahnung, was jetzt am Samstag passieren wird. Nach zwei Jahren Winterschlaf musst du die Leute ja erstmal wieder vor die Tür bringen! Deswegen sind wir natürlich aufgeregt und gespannt, wieviel Menschen die Messe besuchen werden. An und für sich hat sie sich aber nicht verändert. Die Dinge, die sich bewährt haben und die die Leute spannend fanden, sind weiterhin da: Neben den Aussteller*innen, die Jobs anbieten, sind das natürlich vor allem die Vorträge. Da haben wir mittlerweile einen sehr hohen Frauenanteil. Eine große Veränderung ist auch, dass wir jetzt in der Verti Music Hall und damit im Herzen von Berlin sind.
„Ich konnte nicht glauben, wie einseitig und hasserfüllt dieser Artikel war!"
Nachdem in der TageszeitungWelt am 1. Juni ein queerfeindlicher Artikel erschien, habt ihr die Axel Springer AG von der Messe ausgeladen. Wie seid ihr zu dieser Entscheidung gekommen? Ein Freund von mir hat mich auf den Artikel aufmerksam gemacht. Als ich ihn las, war ich fassungslos. Ich konnte einfach nicht glauben, wie einseitig und hasserfüllt dieser Artikel war! Ich hab mich dann am selben Abend noch mit zwei weiteren Freunden darüber unterhalten und gesagt: Das geht einfach nicht! Wir können den Axel Springer Verlag, zu dem die Tageszeitung Welt ja gehört, unter diesen Umständen nicht bei der Sticks & Stones dabeihaben. Beim Axel Springer Verlag sind auch vorher schon Texte erschienen, die wir nicht gut fanden, aber dieser Artikel war schlicht und ergreifend menschenverachtend. Und dann erschien er auch noch zum ersten Juni, zum Start des Pride Month! Wir haben uns dann mit dem ganzen Team beraten. Aber für mich war sofort klar: Wir können Axel Springer hier nicht dabei haben, das geht nicht. Wir haben eine Verpflichtung gegenüber unseren Besucher*innen, dass wir hier Unternehmen präsentieren, die LGBTIQ*-freundlich sind. Unser Code of Conduct verpflichtet uns, nicht mit Partner*innen und Unternehmen zusammenzuarbeiten, die sich feindlich gegenüber LGBTIQ* verhalten, positionieren oder äußern.
Wie ging es dann weiter? Haben sie die Entscheidung akzeptiert? Wir haben ihnen angeboten, am nächsten Morgen ein Gespräch zu führen und angekündigt, dass wir uns am Mittag öffentlich äußern werden und die Teilnahme des Axel Springer Verlags an der Messe ablehnen werden. Wir haben den Verlag gefragt ob er damit einverstanden sei, von der Teilnahme abzusehen und zu akzeptieren, dass wir ihn ausladen. Das wurde mir schriftlich bestätigt und dann sind wir damit rausgegangen.
„Im Prinzip wurde uns vorgeworfen, dass wir gegen Meinungsfreiheit wären."
Wie empfandet ihr die Reaktion der Welt auf den Ausschluss von der Messe? Im Prinzip wurde uns vorgeworfen, dass wir gegen Meinungsfreiheit wären und kritisiert, dass wir die 16.000 Verlagsmitarbeiter*innen mitverantwortlich machen. Obwohl der Vorstandsvorsitzende vom Axel Springer Verlag, Mathias Döpfner, den Welt-Artikel selbst als unterirdisch, oberflächlich, herablassend, ressentimentgeladen und grob einseitig bezeichnete, konnte er nicht verstehen, dass wir den Axel Springer Verlag deswegen ausladen. Er hat uns dann angeboten, uns in der Welt dazu zu äußern, also quasi eine Gegendarstellung zu machen. Das war uns jedoch zeitlich nicht möglich. Wir sind eine kleine Firma! Zumal eine solche Form der Diskriminierung für uns keine Grundlage für eine Debatte darstellt. Dieser Artikel spaltet, er polarisiert, er greift enorm diskriminierte Minderheiten an.
Laut dem deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erleben 30 Prozent der LGBTIQ*-Mitarbeitenden am Arbeitsplatz Benachteiligungen aufgrund ihre sexuellen und geschlechtlichen Identität, und die Zahl bei trans* Personen ist nochmal deutlich höher. Und Artikel wie dieser tragen zu dieser Entwicklung bei. Ich glaube auch, dass dieser Meinungsbeitrag ein Schlag ins Gesicht der LGBTIQ*-Mitarbeitenden bei Axel Springer ist. Sie machen sich stark im Konzern und bemühen sich permanent darum, dass es mehr Wertschätzung und Chancengerechtigkeit gibt. Dies sollte intern geklärt werden. Jede LGBTIQ*-Person, die bei Springer arbeitet und versucht, dass das Unternehmen inklusiver wird, hat meine höchste Anerkennung. Das ändert aber nichts an der Richtigkeit unserer Entscheidung. Unsere Daseinsberechtigung als Teil der Community und als Job- und Karrieremesse für LGBTIQ* sind wir allerdings nicht bereit zu verhandeln.
„Wenn wir nur die Diversity-Vorzeigeunternehmen einladen würden, wäre es allerdings eine sehr kleine Messe!"
War dies die erste Ausladung in der Geschichte der Sticks & Stones? Es war die erste Ausladung nachdem wir vorher eine Partnerschaft eingegangen sind. Jedes Jahr gibt es Unternehmen, die wir nicht für die Messe zulassen. Dieses Jahr haben wir sechs oder sieben Unternehmen im Vorfeld aussortiert, weil wir nicht nachweisen konnten, dass sie ein ernsthaftes Interesse haben den Bereich Diversity voranzubringen. Es ist ok, wenn sie mit ihren Bemühungen um Diversität noch am Anfang stehen, aber ein ernsthaftes Interesse daran muss nachweisbar sein. Wenn wir nur die Diversity-Vorzeigeunternehmen einladen würden, wäre es allerdings eine sehr kleine Messe!
Es gab 2018 deutliche Kritik an der Sticks & Stones, weil sich z.B. die Bundeswehr und Rüstungskonzerne dort präsentierten, die Geräte in Staaten liefern, in denen queere Menschen Verfolgung und Repressalien erleben ... Unser Code of Conduct besagt, dass wir nicht mit Unternehmen zusammenarbeiten, die sich queerfeindlich verhalten, äußern oder positionieren. Unter diesem Blickwinkel schauen wir uns die potentiellen Aussteller*innen jedes Jahr neu an. Und wie der Fall vom Axel Springer Verlag oder der Bundeswehr zeigt: keine Partnerschaft ist für immer.
„Der Fall vom Axel Springer Verlag oder der Bundeswehr zeigt: keine Partnerschaft ist für immer."
Die Bundeswehr ist dieses Jahr also nicht dabei? Nein, und der Fall von Anastasia Biefang, die Tatsache, dass sie und andere Personen bei der Bundeswehr aufgrund ihres privaten Datingprofils um einen Verweis fürchten müssen, ist ein LGBTIQ*-feindliches Verhalten, das mit unserem Code of Conduct nicht vereinbar ist. Bei Großkonzernen, die weltweit agieren, ist die Abwägung generell komplizierter. Da hängt es immer ganz stark vom Einzelfall ab. Richtet sich das Verhalten des Unternehmens direkt gegen LGBTIQ*? Disney ist so ein Fall. Da hat das Unternehmen in Florida Politiker unterstützt, die queerfeindliche Gesetze durchgebracht haben. Das ist ein frontaler Angriff, der nicht mit unserem Code of Conduct vereinbar wäre. Anders verhielte es sich, wenn Disney lediglich in einen LGBTIQ*-feindlichen Land ausgestrahlt würde. Dann ist es viel schwieriger für uns da eine Entscheidung zu treffen, da wir erst mal klären müssten, wie sich die Präsenz von Disney dort vor Ort auswirkt. Da kommen wir schnell an unsere Grenzen, da unsere Hauptaufgabe ja darin besteht, für LGBTIQ* Arbeitsplätze zu finden, wo sie Chancengerechtigkeit erfahren und wertgeschätzt werden. Das sind in Deutschland leider extrem wenige Unternehmen! Denn die traurige Wahrheit ist: die meisten Unternehmen da draußen interessieren sich leider überhaupt nicht für LGBTIQ*. Deswegen haben diejenigen, die sich für queere Menschen einsetzen, meinen allergrößten Respekt.
11.06., 10:00, Verti Music Hall
Mehr Infos unter sticks-and-stones.com
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