US-Wahl

Der Social-Media-Hype um Kamala Harris – und warum er nicht ausreichte

7. Nov. 2024 Elira Halili
Bild: Lawrence Jackson Gemeinfrei (Public Domain) Quelle
Kamala Harris, amtierende Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten

Nach Donald Trumps Sieg erkannte Kamala Harris nun ihre Niederlage an. Dabei war die Demokratin mit „Brat“-Ästhetik und TikTok-Humor für viele junge Queers ein Lichtblick im US-Wahlkampf. Autorin Elira Halili analysiert wie Harris durch Memes und Popkultur punkten konnte – und warum der Hype nicht ausreichte, um politische Tiefe zu ersetzen

„Kamala IS Brat“ – ein Tweet der Popikone Charli xcx setzte den Ton für den Wahlkampf der dann kandidierenden US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Brat (dt.: Göre), der Titel des Albums der britischen Sängerin mit schlichtem giftgrünen Cover, ist eine Lebenseinstellung: unabhängig, unvollkommen, hedonistisch, ein bisschen kaputt, aber immer sich selbst treu. Als Gegenstück zum TikTok-Trend rund um „Tradwives“ und „Clean-Girls“ traf das Schlagwort „Brat“ des Sommers vor allem in der queeren Community einen Nerv.

Das Kampagnen-Team um Harris fackelte nicht lange, färbte die sozialen Kanäle von „Kamala Harris HQ“ neongrün und ritt auf einer popkulturellen Erfolgswelle – so schien es zumindest. Doch am Ende kam Harris’ Kampagnen-Kurve doch eher dem Titel von Chappell Roans Album „The Rise and Fall of a Midwest Princess“ gleich: nach dem ersten Hype und der Hoffnung kam der Fall und die Enttäuschung.

Bild: @kamalaHQ/X
Harris veränderte ihren Header bei X in Anlehnung an das Album „Brat“ von Charli xcx

Der Transparenz wegen, eines vorab: Dies sollte ursprünglich eine humorvolle Analyse einer Kampagne an der Schnittstelle zwischen Collagen, Videos, Memes, Tweets und Popkultur-Trends werden. Doch nach den Ergebnissen der US-Präsidentschaftswahl ist einem nicht mehr zum Lachen zumute.

„Inmitten der eingeschlafenen Kampagne des 81-jährigen US-Präsidenten Joe Biden war Harris ein junger, dynamischer Lichtblick.“

Trotz sympathischem Auftreten, ansteckendem Lachen à la Brat und einer Social-Media-Kampagne, zugeschnitten auf den Humor der Generation Z, scheiterte Harris. Dabei kam der frische Auftritt der 60-jährigen Harris wie gerufen. Inmitten der eingeschlafenen Kampagne des 81-jährigen US-Präsidenten Joe Biden war sie ein junger, dynamischer Lichtblick für viele, die ihre Hoffnung in die demokratische Partei verloren hatten. Ihre Social-Media-Kampagne kontrastierte mit Bidens, dessen Regierungsfähigkeit aufgrund seines fortschreitenden Alters oft angezweifelt wurde.

Im TikTok-Feed junger, queerer Menschen kursieren plötzlich Video-Edits von Harris, die wie „Thirst Traps“ wirken. Einige Clips zeigen Ausschnitte ihres SNL-Skits, untermalt mit „Mirrors” von Justin Timberlake. Nicht zu vergessen die virale Rede, in der sie ihre Mutter zitiert: man würde nicht aus einer „Kokospalme“ heraus auf die Erde fallen, sondern existiere im Kontext von allem, was vorher kam.

„Trump wird hier nicht durch logische Argumente als Bedrohung für die Demokratie gezeigt, sondern schlicht bloßgestellt.“

Harris überraschte junge, queere Menschen mit einem Mix aus Gen-Z-Humor, Ironie und nischigem Popkultur-Wissen, der für politische Kampagnen untypisch ist, aber genau deswegen ankam. Ergänzt wurde das Ganze mit Seitenhieben gegen ihren Konkurrenten Trump, gefahren auf einer etwas anderen Bahn als die gewohnt rationalen Ansätze der Biden-Administration. Trump wird hier nämlich nicht durch logische Argumente als Bedrohung für die Demokratie gezeigt, sondern schlicht bloßgestellt. Trockene Analysen adé, stattdessen hagelte es ironische Clips mit Thumbnail-esquen Überschriften wie „Trump admits he will be a dictator one day”. Obendrauf ein unvorteilhaftes Bild von ihrem Konkurrenten – davon gibt es ja genug.

Es fehlt die politische Substanz

Wenn der Aufstieg des Populismus eines lehrt, dann, dass Menschen im Zweifelsfall ihre Emotionen entscheiden lassen. Auch Harris‘ Team setzte auf Sensation und Humor, um junge Wähler*innen zu erreichen. Die TikToks auf dem Kamala-Account haben selten eine politische Botschaft, sprechen jedoch die Sprache der Gen Z, die sich zuvor von demokratischen Kandidat*innen nicht gesehen gefühlt haben. Genau diese popkulturellen Ansätze machten Harris für junge Menschen greifbar und nahbar.

„Die junge Generation, die sie auf TikTok abholte, forderte mehr Position. Gerade in Bezug auf Außenpolitisches, etwa den Nahostkonflikt.“

Doch trotz der innovativen Kampagne zeigte sich, dass es nicht genügt, trendy und sympathisch zu sein. Die junge Generation, die sie auf TikTok abholte, forderte mehr Position. Gerade in Bezug auf Außenpolitisches, etwa den Nahostkonflikt, erwarteten viele mindestens einen Aufruf zu einem Waffenembargo. Doch sie bekannte sich weiter zum Israel-nahen Kurs der Biden-Regierung.

Auch ihre Klimapolitik empfanden viele Wähler*innen als zu moderat. Zu trans* Rechten blieben ihre Äußerungen vage und wenig engagiert. In einer Zeit, in der trans* Menschen und ihre Rechte immer wieder angegriffen werden, erhofften viele sich eine lautere Unterstützung, die über symbolische Gesten hinausgeht. Es sollte mehr Schutz geboten werden, nachdem republikanische Gruppen über Jahre hinweg Hass und Falschinformationen über trans* Personen verbreitet und sie zur Zielscheibe rechter Politik gemacht haben.

„Zu trans* Rechten blieben Harris' Äußerungen vage und wenig engagiert.“

Doch mehr, als dass sie sich „an das Gesetz halten wird", kam oftmals nicht, wenn Harris zu trans* Rechten gefragt wurde. Diese Unverbindlichkeit ließ einige junge Menschen und queere Wähler*innen enttäuscht zurück. Kreative TikToks allein reichten eben nicht. Es fehlte die klar formulierte Kante gegen rechts. Progressive Wähler*innen schauen genau hin, lassen sich nicht so leicht blenden und das ist gut so.

Ernüchternde Realität

Trotzdem ist das Wahlergebnis ein ernüchterndes Spiegelbild der politischen Realität: Die Mehrheit der Amerikaner*innen konnte sich eher einen verurteilten Straftäter als Präsidenten als die erste Schwarze Frau in diesem Amt vorstellen. Linke Wähler*innen, die sich nicht mit dem Zweiparteiensystem einer oft kompromisslosen Politik zufrieden geben wollen, haben zwar recht, dass wir Harris’ Politik kritisch hinterfragen sollten. Dennoch ist klar: Jede Stimme, die nicht an Harris ging, war ein Gewinn für Trump – und das war von Anfang an absehbar.

Ein Wahlsieg Harris’ hätte die USA keineswegs in eine progressive Demokratie verwandelt, doch sie wäre eine Chance gewesen, sich einer gerechteren und sicheren Politik anzunähern, besonders für BIPoC, queere Menschen und andere marginalisierte Gruppen. Mit Trump als 47. Präsident rückt das Ziel einer tatsächlich progressiven Zukunft in weite Ferne. Es verdeutlicht, wie sehr sich der politische Diskurs in den USA weiter nach rechts verschoben hat.

Memes und virale Videos schenkten Harris‘ politische Schwungkraft, ließen eine Art Leichtigkeit und Euphorie im dunklen politischen Klima zu. Doch so anders ihr Wahlkampf und so groß die Hoffnung auf eine progressivere Zukunft der USA war, ihre Kandidatur ist am Ende eben nicht aus einer „Kokospalme“ gefallen, sondern existiert im Kontext eines ernstzunehmenden Rechtsrutsches.

„Harris' Kandidatur ist eben nicht aus einer 'Kokospalme' gefallen, sondern existiert im Kontext eines ernstzunehmenden Rechtsrutsches.“

Auch im Kontext zu betrachten ist, dass Harris im Gegensatz zu Trump, der seit neun Jahren kandidiert, nur knapp 16 Wochen für ihre Kampagne hatte. In der kurzen Zeit hat sie einen Social-Media-Hype ausgelöst, der zwar nicht für den Wahlsieg reichte, aber durchaus erahnen lässt, wie zukünftige Wahlkampfstrategien auch hierzulande aussehen könnten.

Zur Autorin: Elira Halili beschäftigte sich in ihrem Bachelorstudium u.a. mit dem Einfluss sozialer Medien auf Identitätspolitik. Sie studiert derzeit im Master Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der UdK und ist im Bereich Social Media und Öffentlichkeitsarbeit bei der NGO LobbyControl tätig.

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