Der Roman mit dem Dildo, der zum Bestseller wurde: „Secondhand Toyfriend“
Die YouTuber und Autoren Marik („Mik“) Roeder aka darkviktory und Kostas Weiß aka Kostas Kind haben ihren ersten gemeinsamen Roman veröffentlicht: „Secondhand Toyfriend“. Innerhalb kürzester Zeit kletterte die amüsante Dildo-Geschichte in die LGBTIQ*-Bestsellerlisten. SIEGESSÄULE traf die beiden vor einer Signierstunde in der East Side Mall
Eure 17-jährige Hauptfigur Damian hat Zweifel, ob sie hetero- oder homosexuell ist und will das mit einem Dildo klären. Wie funktioniert das? Kostas: Unser Buch ist co-written, d. h. es gibt zwei Charaktere namens Damian und Emil, mit jedem Chapter wechselt die Sicht. Ich war für Damian zuständig. Der kommt auf die Idee mit dem Dildo. Die Situation ist die: Er ist mit seiner Freundin Emma zusammen und fängt an, über seine Sexualität nachzudenken. Ich erinnere mich daran, wie schwierig ich es selbst mit 17 fand, hier Klarheit zu finden. Wenn man seine sexuelle Orientierung noch nicht so richtig greifen kann und nicht weiß, wie das Umfeld reagiert. Außerdem hat Damian eine echte Beziehung zu Emma, die vorher lange seine beste Freundin war. Und jetzt ist‘s mehr. Wenn er das aufbricht, für eine Sache, bei der er sich gar nicht sicher ist, lohnt sich das?
Der 17-Zentimeter-Dildo soll Klarheit schaffen? Kostas: Das wird Damian auch gefragt vom offen schwulen Emil, der das Inserat für einen Secondhand-Dildo bei Ebay reingestellt hat: „Reinstecken und geil = gay. Reinstecken und nicht so geil = hetero?“ Natürlich ist das absurd. Aber Damian ist verzweifelt, weil er nicht weiß, wie er’s sonst rausfinden soll.
Mik: Wir haben lange überlegt, was die absurdeste Variante wäre für zwei Jungs, sich kennenzulernen. So kamen wir zu Ebay-Inseraten. Und so sind wir auf den Dildo gekommen. Weil ich selbst so eine Situation hatte, als meine Mom bei mir (als ich 16 war) einen Dildo fand, den ich zwischen meinen Kleidern versteckt hatte. Ich weiß noch, dass es schwierig war, den zu beschaffen via Online-Bestellung. Zudem lebten wir in einem kleinen Dorf im Havelland, wo du weißt: Wenn du in den einen Sexshop gehst, den‘s gibt, wo dich alle Rentner*innen sehen, die auf der Fensterbank hängen, dann sagen die: „Ach, das ist doch der Sohn von …“ Das machst du natürlich nicht! (lacht) Insofern ist das mit Damian und seinem Versuch, einen Dildo zu kaufen, ohne dass seine Mutter was merkt, eine authentische Geschichte. Sie ist nur zugespitzt und weitergesponnen.
Kostas: Wir wollten einen Aufhänger, der unterhaltsam ist und an den man sich erinnert.
Mik: Der Dildo ist auch ein Symbol für etwas, worüber du am Anfang nicht reden willst. Aber wir haben gemerkt, als wir die Geschichte geschrieben haben: Je häufiger du das Wort Dildo benutzt, desto leichter geht es dir über die Lippen, genauso wie beim Wort „schwul“ (nach dem Coming-out).
„Je häufiger du das Wort Dildo benutzt, desto leichter geht es dir über die Lippen, genauso wie beim Wort 'schwul' (nach dem Coming-out).“
Neueste Umfragen zeigen, dass junge Menschen immer weniger Sex haben. Trotzdem hat Emil ein ganzes Sortiment an Sextoys (zum Horror seines Vaters). Sind Toys die neue Form von Monosexualität für junge Queers? Mik: Das glaube ich nicht. (lacht) Aber es macht Sex available für alle, die mit Zwischenmenschlichkeit ein Problem haben und für die es schwierig ist, sich für andere zu öffnen. Dadurch, dass Gay Sex in den Medien inzwischen häufiger thematisiert wird, stellen viele auch eine gewisse Erwartungshaltung an sich – und sie wollen erstmal ausprobieren, ob sie das können, was sie im Porno sehen.
Man sieht bei X oft Kurzfilme von OnlyFans-Leuten, die sich mit Dildos vorbereiten auf den Dreh. Das könnte für junge Menschen, die selbst noch nie Sex mit einer anderen Person hatten, beängstigend sein, wenn sie denken, von ihnen wird beim ersten Date auch erwartet, so „gelockert“ zu sein, oder? Mik: Da ist was dran. Aber ich mute Leuten zu, dass sie zwischen Porno und Realität unterscheiden können. Trotzdem ist schwuler Sex unromantischer als (vaginaler) Heterosex: Du musst dich schon vorbereiten, hast deine Duschrituale, achtest mehr auf deine Ernährung. Das ist ein klinischerer Prozess als Sex bei Heteros.
Kostas: Bei schwulen Pornos geht’s auch ja meistens sofort los. Wenn man ein bisschen Erfahrung hat, weiß man, dass die Darsteller sich vorher vorbereitet haben. Aber wenn du das nicht weißt, denkst du: „Krass, das ist ja alles total easy.“ Bis du später merkst, dass es das absolut nicht ist.
Ist es euer Anspruch aufzuklären? Mik: Uns war es wichtig, eine authentische Geschichte zu erzählen und ein Gegengewicht zu schaffen zu den romantisierten Boys-Love-Romanen, die oft von Frauen geschrieben werden, die von den Realitäten schwulen Lebens wenig Ahnung haben. Man sollte aber nicht vergessen: Diese Autorinnen sind unsere Allys. Das gilt ebenso für die Frauen, die diese Boys-Love-Storys lesen. Ich würde mir wünschen, dass mehr Heteromänner solche Geschichten schreiben – und auch lesen! Da wären wir einen Schritt weiter. Klar ist es ein Privileg, dass wir einen großen queeren Freundeskreis haben und ständig im Austausch sind auf Social Media, wo junge queere Leute uns von ihren Problemen erzählen. Viele, die ihre Geschichten mit uns teilen, denken, sie hätten ganz individuelle Struggles. Aber in der Masse geht es immer um dasselbe: Mobbing und Ausgrenzung. Ich habe mit Auftraggebern gearbeitet, mit denen ich queere Geschichten entwickeln sollte. Die sagten gern: „Immer dieses Depressive, ‚Heartstopper‘ ist doch gerade so angesagt, mach‘ doch mal was Schönes …!“ Das kann man machen, aber das ändert die LGBTIQ*-Realität nicht, die nicht so rosarot ist.
Kostas: Ich hatte neben meinem YouTube-Kanal mal bei funk einen Kanal, der hieß „Okay“, da gab’s ein queeres Format, das hieß „Eure Storys“. Ich würde sagen, 80 Prozent der Geschichten waren Coming-out-Storys. Das ist – nach wie vor – ein Schritt, für den es keine Wegbeschreibung gibt, jeder muss das für sich rausfinden. Man muss erst mit sich selbst klarkommen, dann das Ganze nach außen kommunizieren. Das ist eine große Herausforderung. Ich hoffe, dass „Secondhand Toyfriend“-Leser*innen an die Hand nimmt und man zwei Charaktere begleitet, die an unterschiedlichen Punkten in dieser Entwicklung stehen. Und gerade Emil zeigt, dass die Geschichte nach dem Coming-out nicht zu Ende ist, sondern dass es weitergeht. Und er jetzt mit neuen Problemen mit seinem Umfeld zu kämpfen hat.
„Uns war es wichtig, eine authentische Geschichte zu erzählen und ein Gegengewicht zu schaffen zu den romantisierten Boys-Love-Romanen.“
Im Buch sieht man Abbildungen von Damian und Emil. Sie sehen extrem normschön aus, ganz anders als beispielsweise die Figuren in Büchern wie „Pumpkin“ von Julie Murphy. Warum? Mik: Auch wenn wir einen recht diversen Freundeskreis haben, sind wir zwei weiße Dudes, die so aussehen, wie wir aussehen. Vielleicht ist es einfach nicht unsere Geschichte, so etwas wie „Pumpkin“ zu erzählen. Ich sehe aber definitiv, dass wir eine Verantwortung in Bezug auf Diversität haben. Wir sind beim Schreiben z. B. immer weniger körperfixiert geworden – weg von endlosen Beschreibungen von sexy Sixpacks, fetten Muskeln und husky voices, wie man das aus Büchern von Sarina Bowen kennt. Hin zu mehr innerer Entwicklung.
In seid schon nach anderthalb Wochen in der Spiegel-Bestellerliste gelandet. Wäre das mit einer rein schwulen Leserschaft möglich? Mik: Wir haben das Glück, dass wir aus dem Social-Media-Bereich kommen, wo alles statistisch erschlossen ist. Ich kann zum Beispiels sagen, dass meine Fan Base exakt 50/50 ist, was female/male betrifft. Und die Typen, die mir folgen, sind alle aus dem queeren Spektrum.
Kostas: Bei mir sind’s auf Instagram 60 Prozent Mädchen, bei YouTube ist es umgekehrt, da folgen mir mehr Jungs. Die Altersgruppe 18 bis 24 stellt unsere meisten Follower*innen. Was bei unserem Buch cool ist, ist, dass wir wahnsinnig viel Feedback über Instagram kriegen.
Was hört ihr da? Kostas: Viele finden sich in den Charakteren wieder.
Wieso finden sich Mädchen in einer Dildogeschichte wieder? Kostas: (lacht) Ich denke, es geht weniger um den Dildo, sondern um die Reise, sich selbst zu entdecken.
Mik: Bei unseren Lesungen und Signierstunden sind die meisten der weiblich gelesenen Fans auch eher aus dem queeren Spektrum. Und viele erzählen uns, dass ihr Weg zur Transidentität oder zum Nonbinärsein ähnlich ist wie Damians Geschichte.
„Bei unseren Lesungen und Signierstunden sind die meisten der weiblich gelesenen Fans auch eher aus dem queeren Spektrum.“
Der Dildo ist letztlich nur ein Aufhänger, damit die beiden Charaktere sich bei einem anonymen Chat kennenlernen. Das erinnerte mich stark an den Roman „Top Secret“ von Sarina Bowen. Ihr kennt sie, oder? Mik: Kostas hat früher Fan Art für sie gezeichnet, für „Him“ und „Us“. Das waren die ersten Sachen von ihr, die so richtig durch die Decke gingen. Teils gibt’s die auch auf Deutsch. Man kann die Situation aber auch mit „Love, Simon“ vergleichen, wo ebenfalls erzählt wird, wie es so unendlich viel leichter ist, jemandem, den man gar nicht kennt, alles über sein Inneres zu erzählen.
Ist das nicht ein bisschen riskant, jemandem so viel Vertrauen entgegenzubringen, von dem man gar nichts weiß? Mik: Ich glaube, das hat etwas Befreiendes. (lacht) Andere gehen dafür zum Therapeuten, um einer wildfremden und somit unparteiischen Person ihr Herz auszuschütten. Das zeigt ja, es ist ein Konzept, das sich bewährt hat.
Kostas: Damian sucht am Anfang des Chats nicht Liebe, sondern Hilfestellungen. Insofern ist es auch keine klassische Liebesgeschichte. In unserer ersten Fassung hätten sich Damian und Emil am Ende gar nicht getroffen. Aber der Verlag meinte, es wäre besser, wenn sie zusammenkommen. Das finde ich inzwischen auch. (lacht) Beide stecken in ihrem echten Leben irgendwo fest und können in den Chats über Sachen sprechen, über die sie nicht reden könnten mit jemandem aus ihrem Umfeld. Die anonymen Chats sind für sie ein Befreiungsschlag.
Gab’s Tipps von Sarina Bowen? Kostas: Sie hatte mir empfohlen, unbedingt Co-Writing auszuprobieren, wenn sich eine Chance bietet, weil das wirklich Spaß macht.
Es hat also nicht zu Streit und einer Beziehungskrise zwischen euch geführt? Mik: Quite the opposite. Ich hatte ja schon 2019 mit „One Exit“ ein Buch geschrieben und wollte immer, dass Kostas auch was schreibt. Aber es passierte nicht. Weil er so viel zu tun hatte. Aber jetzt haben wir’s finally geschafft. Wir sind schon elf Jahre zusammen. „Secondhand Toyfriend“ ist das erste Projekt, dass wir nur zu zweit umgesetzt haben – das war überfällig. (lacht)
Dass ausgerechnet der seriöse Fischer Verlag euer Buch veröffentlich hat, hat manche erstaunt … Mik: Vielen haben wahrscheinlich noch den alten Fischer Verlag im Kopf, der Thomas Mann und Theodor W. Adorno rausgebracht hat. Aber der hat sich inzwischen aufgespalten in eine Jugend- und Kinderbuchsparte sowie in den etablierten Hauptverlag. Die hatten gerade bei der Leipziger Buchmesse auch zwei separate Stände. Die Jugendabteilung boomt. Kids auf der Suche nach sich selbst werden sich von „Secondhand Toyfriend“ angesprochen fühlen, auch vom Comic-Stil auf den Covern bzw. im Innern. Das interessiert die ganze Manga-Bubble, wo (überraschenderweise?) auch ein Haufen queerer Kids unterwegs ist.
Kostas: Mik und ich haben uns einst auch in der Anime-Welt kennengelernt.
Mik: Ich war mit Kostas Ex-Freundin in einer Anime-Gruppe – und dadurch habe ich ihn online kennengelernt und lange mit ihm geschrieben vor unserem ersten Treffen – ähnlich wie Damian und Emil am Anfang des Romans.
In Mangas steckt man sich ja auch alles Mögliche in Körperöffnungen … Mik: (lacht) Stimmt. Tentakel usw. Vor allem ist es eine extrem bunte Welt, wo heteronormative Raster radikal aufgebrochen werden, wo Genderfluidität zelebriert wird und Freundschaften zwischen ganz gegensätzlichen Figuren möglich sind.
Wird’s von „Secondhand Toyfriend“ eine Fortsetzung geben? Mik: Es wäre schon spannend zu sehen, wie Damian und Emil in einer Beziehung funktionieren.
Kostas: Ich könnte mir schon vorstellen, mal über Charaktere in unserem Alter zu schreiben, also Anfang bis Mitte 30. Wie sehen deren Kämpfe aus? Aber das interessiert unsere Fanbase vermutlich weniger. (lacht)
Mik: Wir sind uns jedenfalls einig, dass wir noch was in diese Richtung machen wollen. Wir sind beide nicht hauptberuflich Schriftsteller. Ich leite ein Animationsstudio, Kostas hat seine Kanäle und sein Künstlermanagement. Dann haben wir beide auch noch einen RBB-Job als Moderatoren bei Radio Fritz …
Wie wäre es mit einer Lovestory zwischen zwei Radiomoderatoren … Mik: Da sagen unsere jungen Follower*innen: „Hä, was ist Radio? Ist das so was wie Streaming auf Twitch.“ (lacht)
Ihr kommt – wie Damian und Emil – aus Kleinstädten. Mik: Ich bin in Spandau geboren und irgendwann mit meiner Family ins Havelland gezogen, weil meine Mama Pferde hatte. Da bin ich groß geworden. Mit 18 habe ich bei Katte e.V. in Potsdam ein Praktikum gemacht und mich in die Stadt verliebt. Und gesagt: Hier will ich leben und alt werden. Irgendwann ist Kostas dann zu mir gezogen.
Kostas: Ich komme aus Bad Segeberg in Schleswig-Holstein und wollte eigentlich nach Hamburg. Stattdessen habe ich während meiner Ausbildung zum Physiotherapeuten an eine Schwesterschule nach Berlin gewechselt – und von dort nach Potsdam, wo ich es sehr schön finde.
„Der deutsche Buchhandel ist leider immer noch unglaublich konservativ.“
Auf eurem Hardcover sieht man den Dildo als Schatten – auf dem anderen nicht. Wie kommt‘s? Mik: Der Verlag hat uns erzählt, dass es eine Vertreter*innenkonferenz gibt, wo alle neuen Bücher vorgestellt werden. Da wurde ihnen erklärt, dass kein deutscher Buchhandel das Cover mit dem Dildo auslegen würde im Schaufenster. Deshalb gibt’s ein Paperback-Cover, wo der Dildo weg ist. Der deutsche Buchhandel ist leider immer noch unglaublich konservativ.
Kostas: Anderseits bekamen wir vom Verlag das Feedback, dass LGBTIQ*-Storys derzeit stark im Kommen sind und jetzt eine gute Zeit sei, einen entsprechenden Roman zu schreiben. Durch Sachen wie „Heartstopper“, „Young Royals“ oder „Royal Blue“ verkauft sich so was momentan gut. Und „Secondhand Toyfrind“ liegt in den Buchhandlungen oft direkt neben diesen Titeln.
Wird euer Buch verfilmt – zum Beispiel von der ARD? Mik: Ist die ARD cool genug dafür? I don’t know. (lacht) Wir machen ja viel mit ARD/ZDF, also wären die Kontakte schon mal da.
Wer wäre eure Traumbesetzung? Mik: Emilio Sakraya als Damian! (lacht) Aber der ist inzwischen ein bisschen zu alt für die Figur. Vielleicht übernimmt er in einem dritten Fortsetzungsteil die Rolle, wenn Damian älter ist.
Kostas: Darüber wäre ich sehr glücklich! (lacht)
darkviktory und Kostas Kind: Secondhand Toyfriend (Fischer Verlag)
Hardback: 256 Seiten, 24 Euro
Paperback: 256 Seiten, 14,90 Euro
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