Party-Hotspot

Der „Fall Hasenheide“

14. Aug. 2020 Jeff Mannes/as

Da Clubs und andere Orte geschlossen oder nur eingeschränkt nutzbar sind, hat sich das queere Leben der Stadt in neue, alternative Strukturen verlagert: Traf man sich früher im Berghain oder auf der „Buttons“, so verabredet man sich diesen Sommer in der Hasenheide. Doch gerade der Neuköllner Park ist mittlerweile als „gefährlicher“ Party-Hotspot verschrien, an dem Corona-Schutzmaßnahmen missachtet würden. SIEGESSÄULE zeichnet die Entwicklung der Hasenheide als Szenetreffpunkt in der Coronakrise nach

Aufgrund der Schließung der Clubs haben sich Parks wie die Hasenheide mittlerweile zu neuen queeren Nightlife-Hotspots entwickelt. Die Hasenheide machte in den vergangenen Wochen allerdings bundesweit auch negative Schlagzeilen. Bereits Ende Juni machten im Rahmen einer RBB-Reportage Fotos die Runde, die teils berechtigte, teils selbstgerechte Empörung hervorriefen. Der negative Tenor zieht sich mittlerweile durch die deutschen Medien: Für die BZ sind die „illegalen Partys“ in der Hasenheide vor allem „brandgefährlich“. In einer Pro-/Contra-Debatte in der Berliner Zeitung wurden sie als „blamable Rituale einer Scheiß-Egal-Gesellschaft“ bezeichnet, „von gelangweilten ,rich kids' angeführt, wohlbetuchten Australiern, Amerikanern und Kreuzköllnern, denen es schlicht nicht in den Kram passt, dass ihr Berliner Feier-Sommer von der Pandemie unterwandert wird.“ (Zitat aus der Berliner Zeitung) SPD-Politiker und Bundestagsabgeordneter Karl Lauterbach hat diese Woche gar eine Maskenpflicht für die Hasenheide gefordert.

Knotenpunkt des queeren Nachtlebens

Die Hasenheide ist seit jeher ein unter Queers beliebter Park. Insbesondere die Büsche rund um die FKK-Wiese werden schon lange von schwulen und bisexuellen Männern* als Ort für Cruising und Sex genutzt. Durch das große Indoor-Angebot in Berlin (Clubs, Saunen, Darkroombars) rückte das Cruisen in Parks in den letzten Jahren zwar leicht in den Hintergrund. Mit den Schließungen aufgrund der Corona-Pandemie kam diese alte Praxis schwuler Subkultur mit voller Wucht zurück und erlebt gerade jetzt im Sommer ein Revival.

Neben Sex steht Feiern in Parks ganz oben auf der Liste. So wurde die Hasenheide zum neuen schwulen Hotspot der Stadt und ein Knotenpunkt des queeren Nachtlebens. Im März und April trafen sich hier bereits die ersten Queers. „Die Idee war, dass alle ihre eigenen kleinen Lautsprecher mitbringen”, berichtet der DJ Mauro Feola, der bereits häufig in die Hasenheide ging und dann auf die Veranstaltungen aufmerksam wurde. „Über kleine Radioantennen, die mit den Lautsprechern verbunden wurden, konnte dann Musik synchron über diverse Boxen gespielt werden.” Es wurde gecruist, manche tanzten auch mal.

Mike (Name von der Redaktion geändert) hatte auf Facebook eine Gruppe gegründet, um über die Geschehnisse in der Hasenheide zu diskutieren. Mittlerweile hat er diese aber wieder gelöscht. Er erklärt: „Ich kenne einen der Organisator*innen. Seine Absicht war niemals, solch gigantische Partys zu veranstalten, wie wir sie dann nachher im Juni gesehen haben. Die Absicht war vielmehr, dass durch die Synchronisierung der Musik über mehrere kleine Lautsprecher hinweg eine Partyatmosphäre entsteht, Menschen dabei aber sitzend die Abstandsregeln größtenteils einhalten.”

Begegnung mit zu viel Begegnung

Doch wie konnten sich aus diesem Zusammenkommen kleinerer Gruppen queerer Männer plötzlich diese großen, berüchtigten Hasenheide-Partys entwickeln? Mauro erzählt: „An einem gewissen Punkt kamen Heterosexuelle dazu und haben riesige Lautsprecher aufgebaut.“ Dann sei das Ganze langsam ausgeufert. „Diese heterosexuellen Menschen waren wenig daran interessiert, was dieser Ort für Queers bedeutete“, bestätigt Mike. „Es gab keinen Respekt vor diesem Ort oder vielleicht einfach auch einen Mangel an Wissen. Es gibt unzählige Parks in Berlin. Aber sie haben sich für diesen Platz in der Hasenheide entschieden. Sie sahen eine Party und wollten plötzlich auch dort feiern.” Schlussendlich kam es dann zu einer großen, heterosexuellen Geburtstagsparty mitten im schwulen Cruising-Gebiet. Danach sei das Areal zerstört gewesen. „Der ganze Park wurde zugemüllt”, berichtet Mauro. „Leider haben dann auch manche Queers bei diesen ausufernden, gigantischen Partys mitgemacht.“

„Diese großen Partys haben den Park als Ort der Begegnung für Queers quasi kaputt gemacht, weil sie allem widersprechen, was gerade in einer Pandemie geboten ist.”

Dragqueen Shady Darling bemerkt kritisch: „Diese großen Partys haben den Park als Ort der Begegnung für Queers quasi kaputt gemacht, weil sie allem widersprechen, was gerade in einer Pandemie geboten ist.” Auch Mauro findet, hier werde einfach nur ein Park zerstört und Menschenleben würden riskiert. „Ich beschloss deswegen, nicht mehr hinzugehen.“ Viele Queers taten es Mauro gleich. Manche sind auf andere Parks, auf Brachen, unter Autobahnbrücken ausgewichen, andere treffen sich nun eher auf kleinen After-Party-ähnlichen Veranstaltungen in privaten Wohnungen. „After-Partys wurden die neuen Partys”, meint Mauro.

Auch der in der Berliner Szene aktive Thomas (Name von der Redaktion geändert), der regelmäßig die Hasenheide besucht, erzählt, dass mehrere Monate des Feierns seine Spuren im Park hinterlassen haben. Die Vermüllung sei nicht durch das Cruisen entstanden. Dennoch könne man die Schuld an diesem Zustand nicht einfach auf die Heteros schieben, seiner Wahrnehmung nach kommen viele der Feiernden aus der schwulen Community. „Für die Leute ist es, als würden sie ins Berghain oder zur Cocktail D'amore gehen. Es geht ums Trinken, Feiern und Cruisen.“ Dass das völlig aus dem Ruder gerät, hat er aber noch nicht erlebt: „Die Leute sitzen meist gechillt im Park und die Stimmung ist ausgelassen.“ Aber die weit verbreitete Vorstellung, dass da tausende Leute in enger Umarmung feiern würden, treffe nicht zu.

„Die weit verbreitete Vorstellung, dass da tausende Leute in enger Umarmung feiern würden, treffe nicht zu“

Zur Zeit wäre das auch kaum möglich. Wohl nicht zuletzt aufgrund der negativen Schlagzeilen, ist die Polizei in der Hasenheide beständig präsent: „Alle 5 Minuten fährt ein Polizeiauto durch den Park“, erzählt Thomas. „Immer wieder steigen Polizist*innen aus, leuchten mit ihren Taschenlampen auf die auf der Wiese sitzenden Leute und kontrollieren größere Gruppen. Das drückt gewaltig die Stimmung. Zumal sie mit ihren Taschenlampen auch in die Cruising-Gebiete laufen. Das heißt, die Leute, die dort zu gange sind, müssen ständig damit rechnen, von den Polizisten wie bei einer Razzia aufgeschreckt zu werden. Einigen Freunden ist das bereits passiert.“ Dadurch habe das Cruisen dort deutlich an Attraktivität eingebüßt. Die Hasenheide sei mittlerweile kein Ort mehr, an dem man sich einfach gehen lassen könne.

Partys reguliert erlauben?

Dennoch ist die Hasenheide immer noch ein Anziehungspunkt, vor allem für Schwule. Doch warum finden dort immer wieder so viele Leute zusammen, obwohl der Park mittlerweile verdreckt ist und auch die Einhaltung der Corona-Regeln nicht immer ganz so verantwortungsvoll rund läuft?

„Ich glaube, dass diese Partys überwiegend nicht von Menschen besucht werden, denen die Pandemie egal ist oder die kein Mitgefühl für andere Menschen haben“, findet Mike. „Vielmehr glaube ich, dass das Menschen sind, die ein Bedürfnis danach haben, Druck abzubauen und wieder mit den Leuten vereint zu sein, die sie lieben und die sie über die letzten Wochen hinweg vermisst haben.“ Ohne soziale Kontakte, ohne Berührungen werden Menschen auf Dauer krank. Mit den Corona-Auflagen brach vielen LGBTI* ein Großteil des sozialen Lebens weg, da plötzlich Orte der Begegnung fehlten. Cafés, Bars und Clubs – die Zufluchtsorte vieler Queers – wurden geschlossen. Als dann die ersten Lockerungen kamen, schien plötzlich ein Bann gebrochen. Nicht nur deshalb ist es wichtig, dass queeres Zusammenkommen im Einklang mit den Schutzmaßnahmen kontrolliert und reguliert geschehen kann – ohne Zerstörung von Parks und ein zu großes Risiko für vermeidbare Infektionen.

„Ohne soziale Kontakte, ohne Berührungen werden Menschen auf Dauer krank“

Neben der Missachtung der Schutzauflagen können solche geheimen Veranstaltungen nämlich noch zu einem anderen Problem führen, wie Mike betont: „Je mehr solche Partys im Geheimen stattfinden, desto gefährlicher können sie sein.“ Denn wenn etwas passiere, zum Beispiel wenn jemand aufgrund einer Überdosis illegalisierter Substanzen auf einer großen, illegalen Party zusammenbreche, dann seien die Menschen weniger dazu bereit, Hilfe zu holen. „Mit größerer Wahrscheinlichkeit hast du dann Angst, einen Rettungswagen zu rufen. Das wäre nicht der Fall, wenn man solche Partys reguliert erlauben würde.”

Doch abseits aller berechtigten Fragen und Kritikpunkte kann es auch einfach mal positiv betrachtet werden, wie queere Menschen sich selbst in dieser schweren Zeit Strukturen schaffen – nicht nur in der Hasenheide, auch in anderen Parks sowie an vielen Seen in und um Berlin. Am Teufelssee, auf der Tuntenwiese im Tiergarten, auf dem Tempelhofer Feld und so weiter.

Teile des Textes sind aus der Titelgeschichte „Wildwuchs" in der Augustausgabe der SIEGESSÄULE!

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