Kommentar

Der Berliner Sommer der Pride-Events: Ein Rückblick

30. Juli 2021 Andreas Scholz
Bild: Brigitte Dummer

Selten gab es in Berlin so viele Pride-Veranstaltungen und -Demos wie in diesem Jahr. Die Pandemie hat diesbezüglich einen ungeheuren Tatendrang freigesetzt. Wir blicken zurück auf den Sommer der Pride-Paraden

Eine ereignisreiche CSD-Saison geht in Berlin zu Ende, die vor allem von einem zentralen Bedürfnis geprägt war: als queere Community in der Pandemie wieder stärker sichtbar zu werden. Das hohe Engagement und der Wunsch, etwas auf die Beine zu stellen, führte zu zahlreichen Pride-Veranstaltungen. Ob Stern-Demo, Trans Pride, Marzahn Pride, Dyke* March, Anarchistischer CSD oder Regenbogen-Fahrraddemo – ein ungeheurer Tatendrang war die Antwort auf die Corona-Lethargie des Winters. Zumal Demos eine zeitlang eine der wenigen Möglichkeiten darstellte, überhaupt wieder in größerer Zahl zusammenzukommen.

Die Zugkraft der Veranstaltungen war enorm: Rund 5.000 Menschen waren beim Dyke* March, die Stern-Demo kam auf insgesamt 10.000 Teilnehmer*innen und beim Pride des CSD e. V. waren es um die 65.000 – und das trotz einer überschaubaren Anzahl an Parade-Trucks und obwohl der Verein ursprünglich nur mit 20.000 Leuten gerechnet hatte. Aber auch kleinere Veranstaltungen wie der Trans* Pride fanden regen Zulauf. Der Hunger nach Gemeinschaft war groß und die Stimmung auf vielen Veranstaltungen selten so gut wie in diesem Jahr! Das orgatechnisch nicht immer alles klappte und so manche Rede oder politische Forderung im lauten Getöse des Events oder aufgrund unzureichender Technik verpuffte, tat dem keinen Abbruch.

Viele Konfliktpunkte wurden sichtbar

Was keineswegs bedeutet, dass Streitpunkte innerhalb der Community unsichtbar blieben. Im Gegenteil! Die Pandemie hat drängende gesellschaftliche Probleme noch einmal besonders verdeutlicht, wie unter einem Brennglas. Kaum eine Metapher wurde medial in den letzten anderthalb Jahren häufiger bemüht und sie scheint sich auch problemlos auf diese Pride-Saison übertragen zu lassen: Fragen nach Teilhabe oder Diversität, Auseinandersetzungen über unterschiedliche Formen von Sichtbarkeit oder seit Jahren schwelende Konflikte traten deutlicher denn je zu Tage.

Ein Beispiel dafür wäre die Kritik an der fehlenden Diversität des Berliner CSD e. V., nachdem im März fünf cis Männer in den Vorstand gewählt wurden. Wirft man einen Blick über Berlin hinaus, war sicherlich eines der präsentesten Pride-Themen die Debatte um den CSD Bremen. Sie setzte an der Frage an, wie ein Pride überhaupt auszusehen habe bzw. wie queere Menschen sich verhalten sollten, um vom Mainstream akzeptiert oder als seriös wahrgenommen zu werden. Laut eines mittlerweile gelöschten Grundsatzes des Orga-Teams seien Fetischdarstellungen nicht erwünscht. Die gerade im englischsprachigen Raum schon sehr lange und hitzig geführte Diskussion, ob und wie Kink oder Fetisch beim Pride einen Platz haben, gewann so auch hierzulande an Dynamik.

Ein weiteres Beispiel ist die in queeren Zusammenhängen sehr präsente Auseinandersetzung um Positionierungen zum Nahostkonflikt und zu Antisemitismus. In Teilen der linken queeren Szene Berlins wird eine solidarische Haltung gegenüber Palästina gezeigt, bei der leider die Grenze zum Antisemitismus oft fließend ist. Das wurde selten so deutlich wie bei dem Internationalist Queer Pride for Liberation. Das bei einer queeren Demo, an der um die 3.000 Personen teilnahmen, antisemitische Slogans skandiert und Pressevertreter*innen unter anderem als „Zionistenpresse" beschimpft und angegangen wurden, ist einer der Tiefpunkte dieses Pride-Sommers.

Wenn man diesen Auseinandersetzungen etwas positives abgewinnen möchte, dann lässt sich zumindest sagen: Hier sind Konflikte in einer Weise sichtbar geworden, sodass sie zukünftig kaum mehr ignorierbar sind.

Neue Lösungsansätze

Doch Konflikte wurden nicht nur sichtbar, es gab auch Versuche Lösungsansätze zu finden: Wie zum Beispiel bei der Sterndemo Ende Juni, deren Konzept den vielfältigen Positionen und Lebensrealitäten der queeren Community in Berlin gerecht zu werden suchte. Die Idee war so genial wie naheliegend: Statt einer großen Demo für alle führten zeitgleich mehrere kleinere Demos mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten durch verschiedene Bezirke Berlins, die alle auf einen bestimmten Punkt zuliefen. Das schien nicht nur angesichts der Pandemiesituation eine sinnvolle Alternative, weil sich die Teinehmenden so besser in der Stadt verteilten. Es gab auch unterschiedlichen Gruppen die Möglichkeit auf ihre Belange und Themen besonders aufmerksam zu machen. Die Teilnehmer*innen hatten indes die Qual der Wahl und standen vor der Frage: Was ist mir wichtiger? Soll ich in Kreuzberg für intersektionale und antirassistische Positionen Gesicht zeigen oder lieber in Neukölln auf die Situation der queeren Infrastruktur aufmerksam machen? Und wäre es nicht doch sinnvoller, in einem großen Zug gemeinsam auf die Straße zu gehen, umso mehr Druck auf Politik und Gesellschaft zu erzeugen – selbst wenn es schier unmöglich scheint, die verschiedenen Communities Berlins unter einem Hut zu vereinen? Die Stern-Demo versuchte mit ihrem „Getrennt und doch gemeinsam“-Konzept zumindest eine Antwort darauf zu finden und neue Wege zu gehen. Ob daraus eine Tradition werden wird, bleibt abzuwarten.

Die Corona-Zwangspause hat einen ungeheuren Drive freigesetzt. Die Frage wird sein, ob auch im nächsten Jahr noch so viele Menschen motiviert sein werden, solche Veranstaltungen auf die Beine zu stellen – trotz des enormen Organisationsaufwands, den diese bedeuten. Es wäre jedenfalls zu wünschen. Wer die Vielzahl an unterschiedlichen Pride-Events in diesem Sommer nur als ein Zeichen für eine gespaltene queere Berliner Szene begreift, zielt mit diesem Gedanken an der Realität vorbei. So fanden sich zum Beispiel beim Trans Pride oder beim Marzahn Pride viele Unterstützer*innen ein, um sich solidarisch mit trans*, inter oder nicht-binären Personen bzw. mit queeren Leuten in Marzahn zu zeigen. Hier enstanden neue Begegnungen, Bündnisse und Sichtbarkeiten. Dies mögen vielleicht nur Momentaufnahmen gewesen sein, aber sie vermittelten den Eindruck, dass die Community aus der Pandemie eher gestärkt hervorgegangen ist.

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