Michaela Dudley kommentiert

Debatte um AfD-Verbot: „Demokratie muss sich wehren!“

16. Aug. 2023 Michaela Dudley
Bild: Stefan Kühn Gemeinfrei (Public Domain)

Seit die AfD vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde, wird wieder die Legitimität der Partei diskutiert: Der Anti-Fake-News-Blog Volksverpetzer fordert in einer neuen Petition die Prüfung des AfD-Verbots durch das Bundesverfassungsgericht. Die AfD sei eine Dauergefahr für die Demokratie und gehöre abgeschafft, findet auch SIEGESSÄULE-Kolumnistin Michaela Dudley und blickt zurück auf die Geschichte der Parteiverbote in Deutschland

„Homosexualität ist auf der Grundlage unserer Rechtsnorm nicht zu akzeptieren“, proklamierte Björn Höcke. Das war bereits 2018. Höcke, der Thüringer Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland, der nie um eine Hetzparole verlegen ist, stellte damals in Erfurt sein Grundsatzpapier vor und ließ dabei seine Queerfeindlichkeit ungehemmt erkennen. Man müsse Homosexuelle zwar ertragen, aber nicht akzeptieren, ergänzte er. „Das ist etwas, was in unseren Schulen schon angelegt wird, dass man also diese Sexualität, diese Homosexualität nicht nur als etwas Tolerierbares oder Notwendiges vermittelt, sondern als etwas, was sogar als exklusiv, als erstrebenswert suggeriert wird. Und da müssen wir als bürgerliche Partei sagen: Nein.“

Damit nicht genug. Neulich auf dem AfD-Parteitag zur Europawahl in Magdeburg geiferte der Finsinger AfD-Gemeinderat Peter Junker: „Schützen wir [den Nachwuchs] vor Perversitäten, vor Abartigkeiten, vor staatlich geduldeten Kinderfickern.“ Die Rede war von „dieser ganzen Schönfärberei, Gender und trans und schwul und allem möglichen.“

„Die AfD ist nicht nur in den Blütenträumen Höckes, sondern auch in Realität 'bürgerlich' geworden.“

Solche Vorurteile sind uns längst vertraut, und man muss gar nicht rechts von der CSU suchen, um auf derartige Einstellungen zu stoßen. In einem Land, in dem der berüchtigte Paragraf 175 StGB erst 1994 aufgehoben wurde, ist es kein Wunder, dass demagogisch angehauchte Stereotype selbst im Mainstream verweilen, vielmehr noch tief verwurzelt sind. Allerdings rückt die Mitte der Gesellschaft ohnehin allmählich weiter nach rechts, und die AfD ist nicht nur in den Blütenträumen Höckes, sondern auch in Realität „bürgerlich“ geworden. Das wird von Sonntagsfragen und von Sonneberg bestätigt.

In letzter Zeit rast die AfD von einem Umfragehoch zum anderen, aktuell liegt sie in der bundesdeutschen Wählergunst bei circa 21 Prozent. Ihr Erfolg an der Wahlurne, sei es auf Landratsebene oder oder auf Bürgermeisterniveau, lässt sich nicht kleinreden. CDU-Chef Friedrich Merz erwägt ernsthaft die Zusammenarbeit mit ihr. Die ehemaligen Professorenpartei, die 2013 als populistische Protestbewegung gegen die EU gegründet wurde hat echte Chance, eines Tages das Heft in der Hand zu haben.

Verfassungsrechtliche Werkzeuge

Freilich gibt es ein legitimes Mittel, um die AfD aus der Wahl auszuschließen: Artikel 21, Absatz 2 des Grundgesetzes: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“

Der Philosoph Karl Popper prägte 1945 den Begriff des Toleranz-Paradoxon und warnte: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz.“ Das Parteiverbotsverfahren ist eine präventive Maßnahme, die verfassungswidrigen Parteien von vorne herein den Weg ins Parlament, Land- und Stadträte und andere öffentliche Ämter versperrt. Aber das ist natürlich leichter gesagt als getan.

Hier haben wir es mit dem Henne-Ei-Problem zu tun, und zwar zuzüglich der Quadratur des Kreises hoch drei. Es sieht nicht so aus, als hätten wir darin eine Erfolgsformel, was das Verbot der AfD beträfe. Die Beispiele aus der deutschen Geschichte sprechen eher dafür, dass ein sehr zurückhaltender, sogar tendenziell skeptischer Umgang mit dem Mittel des Parteiverbots gepflegt wird.

„Die Geschichte zeigt, dass ein sehr zurückhaltender Umgang mit dem Mittel des Parteiverbots gepflegt wird.“

Von 1878 bis 1890 waren im Deutschen Kaiserreich sämtliche sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Organisationen und deren Aktivitäten verboten. Trotzdem durften die Sozialdemokraten kurioserweise nach wie vor an Wahlen teilnehmen. Schlussendlich gingen sie insgesamt gerstärkt aus der Zeit ihrer „Illegalität“ hervor.

Während der Weimarer Republik wurde die KPD verboten, 1919 und 1923. Infolge des gescheiterten Hitler-Putsches wurde die NSDAP 1923 mit einem Verbot belegt, wie ebenfalls die Deutschvölkische Freiheitspartei. Das Verbot sollte allerdings nur bis Februar 1925 gelten, und nicht einmal diese Einschränkung wurde eingehalten. Bereits ein Jahr vor Fristende wurde das Verbot aufgehoben. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, weil sie ja wieder wählbar waren, erklärten sie die SPD zu einer verbotenen, „volks- und staatsfeindlichen Organisation“. Außerdem waren, außer der NSDAP, alle übrigen und potenziell neugebildete Parteien untersagt. Hitler hatte öffentlichen versprochen, mit dem „demokratischen Chaos“ aufzuräumen, und auf Kosten der Freiheit und des Friedens trug er dem Versprechen Rechnung.

Verbote und Vorboten in der BRD

Oktober 1945 wurde die NSDAP mit allen Gliederungen und angeschlossenen Verbänden durch das Kontrollratsgesetz Nr. 2 der Alliierten aufgelöst und verboten. Seit 1951 ist das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe für Parteiverbotsverfahren zuständig, und der Antragssteller bedarf für das Verbot einer Zweidrittelmehrheit des zweiten Senats des BVerfGG. Etliche Anträge zur Eröffnung eines diesbezüglichen Verfahrens sind im Laufe der Jahrzehnte erfolgt, aber in der Bundesrepublik wurden bislang lediglich zwei Parteiverbote erteilt. Einmal 1956 gegen die KPD. Mitten im Kalten Kriege keine Überraschung. Aber auch bereits 1952 gegen die SRP, da die „Sozialistische Reichspartei“ als Nachfolgeorganisation der Nationalsozialisten galt.

„Die Partei bestehe zu ca. 30 Prozent aus rechtsextremen Mitgliedern, so das Bundesamt für Verfassungsschutz.“

Die AfD ist zwar organisationstechnisch keine Nachfolgerin der NSDAP, aber in gewisser Hinsicht wird sie als Schwester im Geiste verstanden. Von Gegner*innen sowie von Angehörigen selbst. Man denke an die Höhenflüge der Partei auch nach der formalen Auflösung des völkisch-nationalistischen Höcke-Flügels. Gegen Höcke hat die Staatsanwaltschaft Halle Juni dieses Jahres wegen Verwendung von nationalsozialistischem Vokabular Anklage erhoben. Doch damit nicht genug: Die Partei bestehe zu ca. 30 Prozent aus rechtsextremen Mitgliedern, so das Bundesamt für Verfassungsschutz. Überdies erkennt der Verfassungsschutz in der AfD einen „rechtsextremistischen Verdachtsfall“. Zudem wurde die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative, als „gesichert rechtsextrem“ hochgestuft und wird entsprechend beobachtet.

Diese Begebenheiten bedeuten jedoch nicht gleich eine Steilvorlage zum AfD-Verbot. Die zwei langwierigen, langjährigen Verbotsverfahren bezüglich der NPD, zuerst von 2001 bis 2003, dann von 2013 bis 2017, illustrieren eindeutig, mit welcher Sorgfalt der Antrag geprüft und nicht zuletzt beargwöhnt wird. Schließlich wurden beide Verbotsanträge abgelehnt. Die Richter sahen es zwar als erwiesen, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Gesinnung habe und mit dem Nationalsozialismus wesensverwandt sei. Sie meinten dennoch, dass die Partei nicht über das „Potenzial“ verfüge, um die Demokratie in Deutschland zu beseitigen.

Ein Schandurteil unter dem Deckmantel der Sachlichkeit. Die Justitia sei blind? Die Sache ist eher so: Bei offensichtlichen Gefährdungen der Gesellschaft wird das rechte Auge leider zugedrückt. Falsche Toleranz und echte Ignoranz sind die Gründe dafür. Eine Demokratie muss sich jedoch mit aller gebotenen Konsequenz wehren. Denn rechtsnationale Extremist*innen stehen nur insofern auf dem Boden des Grundgesetzes, als sie die Verfassung mit gestiefelten Füßen treten. Nazis und andere Anti-Demokrat*innen, solange sie zur Wahl stehen, werden ja „demokratisch“ gewählt. Es ist zu begrüßen, dass Innenministerin Nancy Faeser und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sich für einen Antrag zum Verbot der AfD aussprechen, wie auch jüngst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

„Jegliche Zusammenarbeit mit einer Blut-und-Boden-Partei droht, einen politischen Flurschaden anzurichten.“

Der Schock aus den gescheiterten Anträgen zum Verbot der NPD (in „Die Heimat“ umbenannt) sitzt vielen noch tief in den Knochen. Gerne würden einige Christdemokrat*innen die AfD eher gestern als heute verboten sehen. Dafür aber zu plädieren, würde die besorgten Bürger*innen aber ggf. vergraulen. Jegliche Zusammenarbeit mit einer Blut-und-Boden-Partei droht, einen politischen Flurschaden anzurichten. Wir befinden uns an einer Weggabelung und dürfen nicht nach rechts gehen. Zuviel steht auf Messers Schneide. Opfer von Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie, Misogynie und Ableismus spüren längst die Klinge.

Konsequent handeln!

Auch und gerade für queere Menschen insbesondere ist es Spitz auf Knopf. Allerdings staunt es, dass einige Mitglieder der Regenbogen-Community die AfD erdulden oder sogar wählen. Stichwort Homonationalismus. Man wähnt in der „Sicherheitspolitik“ der AfD irrtümlich einen verbesserten Schutz gegen Kriminalität und „homophobe Asylant*innen“, man erblickt in Alice Weidel, Bundestagssprecherin und lesbische Galionsfigur der AfD, voreilig und verzweifelt eine Verbündete.

„Deutschland hat einen effektiven Ansatz, um rechtsradikale Parteien aus dem Verkehr zu ziehen.“

Deutschland hat dabei einen effektiven Ansatz, um rechtsradikale Parteien aus dem Verkehr zu ziehen. Eine Demokratie muss sich konsequent wehren. Und selbst gescheiterte Verbotsanträge signalisieren der Bevölkerung, dass die Sicherheit der Demokratie den Regierenden nicht einerlei ist.

Michaela Dudley ist eine Berliner SIEGESSÄULE-Kolumnistin, Autorin, Juristin und Queerfeministin mit afroamerikanischen Wurzeln.

Folge uns auf Instagram

#Nationalsozialismus#Geschichte#Kommentar#AfD#Rechtspopulismus#Rassismus#Parteiverbot#AfD-Verbot#Rechtsruck

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.