„Das neue Gesetz wird viele queere Ghanaer*innen zur Flucht zwingen“
In Ghana plant die Regierung ein queerfeindliches Gesetz. Wird es verabschiedet, wird jede Form von queerer Identität kriminalisiert. Der Gesetzentwurf wird derzeit von einem parlamentarischen Ausschuss geprüft. Kirchen, Medien und eine christliche Organisation aus den USA unterstützen die Kampagne. Davis Mac-Iyalla (50) ist Geschäftsführer des Interfaith Diversity Network Westafrica (IDNOWA) und kämpft als Aktivist gegen das geplante Gesetz. Muri Darida traf ihn für SIEGESSÄULE zum Gespräch
Herr Mac-Iyalla, worum geht es in dem Gesetzesentwurf der ghanaischen Regierung, gegen den Sie sich einsetzen? Das Gesetz wäre eines der restriktivsten Anti-LGBTQIA+-Gesetze in Westafrika. Allen Menschen, die nicht heterosexuell sind, würden Gefängnisstrafen drohen. Bisher sind nur tatsächliche sexuelle Handlungen zwischen queeren Personen eine Straftat, wie es in den sogenannten Antisodomiegesetzen aus der Kolonialzeit steht.
Wenn der neue Entwurf durchgeht, würde es reichen, sich als schwul, lesbisch, bisexuell, trans, pansexuell, nicht binär, queer oder in einer anderen geschlechtlichen Identität, die den binären Kategorien von männlich und weiblich entgegensteht, zu verorten, um sich strafbar zu machen. Außerdem wären Angehörige gezwungen, LGBTQIA+-Personen anzuzeigen, wenn sie von deren Queersein wissen – sonst würden auch sie sich strafbar machen. LGBTQIA+-Organisationen sollen verboten werden. Die Befürworter*innen des Gesetzes sprechen sich außerdem für Konversionstherapien aus.
„Seitdem das Gesetz vorgestellt wurde, ist die Gewalt gegen LGBTQIA+ gestiegen."
Was würde das konkret für betroffene Personen bedeuten? Für sogenanntes Cross-Dressing oder Händchenhalten zwischen queeren Personen könnte man mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden, für gleichgeschlechtlichen Sex mit bis zu fünf Jahren. Seitdem das Gesetz vorgestellt wurde, ist die Gewalt gegen LGBTQIA+ gestiegen. Viele werden erpresst. Sie sollen also Geld zahlen, um nicht zwangsgeoutet zu werden. Mehr lesbische Frauen werden vergewaltigt und bedroht.
LGBTQIA+-Personen werden sowohl im Gesundheitssystem als auch auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Das Gleiche gilt für die Wohnungssuche. Ich lebe selbst mit meinem Partner zusammen, aber wir müssen geheim halten, dass wir ein Paar sind. Besonders schlimm ist für viele queere Menschen, dass sie in ihren Kirchen und Familien nicht willkommen sind. Geistliche nutzen die politische Stimmung, um gegen queere Menschen zu predigen. Das bedeutet für viele LGBTQIA+ eine psychische Krise, weil in der ghanaischen Gesellschaft Glaubenszugehörigkeit sehr wichtig ist.
„Die Medien behaupten, dass LGBTQIA+ Kinder ,rekrutieren' würden mit dem Ziel, sie homosexuell zu machen."
Wie war die Situation für LGBTQIA+ in Ghana vor dem Gesetzesentwurf? Ghana war sicherlich nie frei von Homofeindlichkeit. Aber die Menschen lebten nach dem Motto: Leben und leben lassen. Das Land war ein relativ sicherer Hafen für queere Menschen aus anderen westafrikanischen Ländern. Das hat sich in wenigen Jahren komplett geändert.
Mediale Desinformationskampagnen wie die der „Journalists Against LGBT“ verbreiten Hass, Diskriminierung und Gewalt. Geistliche behaupten verstärkt, dass Homosexualität ein geheimer Kult oder teuflisch sei. Sie sagen, dass Homosexuelle schuld seien an Naturkatastrophen, HIV, neuerdings auch an „Affenpocken". Die Medien berichten verzerrt. Sie behaupten etwa, dass LGBTQIA+ Kinder „rekrutieren“ würden mit dem Ziel, sie homosexuell zu machen. Oft heißt es auch, Menschen aus dem Westen würden Personen aus Westafrika dafür bezahlen, homosexuell zu werden.
„Der Westen mit seinen Kolonisator*innen und Missionar*innen hat die Homophobie nach Afrika importiert, nicht andersherum."
Was machen solche Aussagen mit Ihnen? Wenn Menschen behaupten, meine Sexualität sei unafrikanisch, werde ich wütend. Ich empfinde das als Beleidigung. Ich bin Schwarz, schwul, christlich und westafrikanisch. Behauptungen, dass Homosexualität aus dem Westen käme, sind falsch, ignorant und bösartig. Der Westen mit seinen Kolonisator*innen und Missionar*innen hat die Homophobie nach Afrika importiert, nicht andersherum. Wir Afrikaner*innen sind nicht dazu geschaffen, durch die Gegend zu laufen und LGBTQIA+-Personen umzubringen. Unsere führenden Geistlichen kollaborierten mit den christlichen Kolonisator*innen. Wenn aber etwas unafrikanisch ist, dann das Christentum, der Islam und eben Homophobie.
Ich wusste von selbst, wer ich bin, und habe mir meine Sexualität sicher nicht von irgendeiner weißen oder westlichen Person abgeschaut. Als ich in den 80er-Jahren als Teenager in Südnigeria gemerkt habe, dass ich Männer liebe, hatte ich keine Konflikte damit – bis auf die Bibelgeschichte über Sodom und Gomorra. Ich kannte Jungs, denen es so ging wie mir, und sonst war das Thema weder in meiner Familie noch in den Medien präsent – nicht so wie heute, wo es plötzlich überall diskutiert wird.
Wie arbeitet Ihre Organisation? Ich habe das Interfaith Diversity Network of West Africa (IDNOWA) gegründet, um LGBTQIA+-Personen einen Raum zu geben, wo sie sie selbst sein und ihren Glauben praktizieren können. Wir sind ein interreligiöses Netzwerk und in zehn verschiedenen Ländern in Westafrika aktiv: Benin, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Liberia, Gambia, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Mali und Togo. Teil unserer Arbeit ist auch, Aufklärung in den Gemeinden zu leisten und mit Geistlichen zu sprechen.
„Die heterosexuelle Kernfamilie mit Vater, Mutter und Kind ist ein koloniales Konzept, das uns übergestülpt wird."
Warum hat sich die Stimmung in Ghana plötzlich geändert? Vor drei Jahren hat der World Congress of Families, eine ultrachristliche Organisation aus den USA, eine Konferenz in Ghana abgehalten – mit dem Ziel, eine queerfeindliche Politik zu fördern. Das haben sie zuvor bereits in Ländern wie Uganda, Nigeria und Russland geschafft. Im Jahr 2019 haben sich also Vertreter*innen des World Congress of Families mit Organisationen in Ghana vernetzt. Das Ergebnis sehen wir jetzt in dem Gesetzesentwurf. Der Gesetzesentwurf behauptet, die ghanaische Familie schützen zu wollen. Dabei ist die heterosexuelle Kernfamilie mit Vater, Mutter und Kind ein koloniales Konzept, das uns übergestülpt wird. LGBTQIA+-Personen waren immer ein Teil von Familiensystemen in Westafrika.
Was können Menschen hier in Europa tun, um solidarisch mit LGBTQIA+-Personen in Westafrika zu sein? Wenn Menschen unterstützen möchten, sollten sie die Menschen kennenlernen, mit denen sie solidarisch sein wollen. Ihnen zuhören, sie als gleichwertige Gesprächspartner*innen betrachten, ihnen den Raum geben, über ihre Belange zu sprechen. Betroffene wissen am besten, wie sie unterstützt werden möchten. Oft geht es dabei um Ressourcen. Meine Organisation und ich würden gerne so viele Projekte in Ghana gestalten, aber niemand will uns fördern. Deshalb ist ein extrem wichtiger Aspekt, finanzielle Unterstützung, Fundraising und technische Ressourcen bereitzustellen. Das neue Gesetz wird, sobald es in Kraft tritt, viele queere Ghanaer*innen zur Flucht zwingen. So, wie viele Europäer*innen Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen haben, könnten sie ihre Türen auch für LGBTQIA+-Personen aus Westafrika öffnen.
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