Das Liebesleben von Patricia Highsmith
Mit psychologischen Kriminalromanen wie „Zwei Fremde im Zug“ und „Der talentierte Mr. Ripley“ begründete Patricia Highsmith ihren Welterfolg. Der Dokumentarfilm „Loving Highsmith“ widmet sich dem bislang wenig bekannten Privatleben der lesbischen Schriftstellerin. Ab 07. April im Kino
Ihre letzten Lebensjahre verbrachte Patricia Highsmith weltabgewandt und abgeschottet in einem Dorf im Tessin. Menschen hielt sie aus ihrem Leben fern. Ihre Liebe galt den Katzen – und dem Gin. Dieses Image der weltberühmten Autorin als menschenfeindliche, verbitterte und vereinsamte Eremitin hat sich festgesetzt.
Doch es gibt auch eine ganz andere Patricia Highsmith, die mit dem Bild der kontaktscheuen Misanthropin nur schwer zusammenzubringen ist. Nämlich das einer nicht nur in jungen Jahren sehr umtriebigen Schriftstellerin, die das lesbische Nachtleben erkundete und nur selten allein nach Hause ging. Patricia Highsmith hatte diese Seite ihres Lebens in ihren Notiz- und Tagebüchern festgehalten, die nach ihrem Tod in einem Wäscheschrank ihres Hauses aufgefunden wurden. Im vergangenen Herbst erschien eine Auswahl aus den über 8000 Seiten umfassenden Notaten, in denen sie überraschend offen ihre lebenslange Suche nach erfüllender, dauerhafter Liebe seziert. Jede neue Liebschaft, die bisweilen wöchentlich wechseln, ist eine neue Hoffnung, die dann aber doch enttäuscht. „Ich wünsche mir verzweifelt, zur Ruhe zu kommen, mich auf eine Liebe festzulegen, nicht gierig zu sein – aber ich kann es einfach nicht“, vertraut sie ihrem Tagebuch an.
„Ich finde, Sex sollte eine Religion sein, ich habe keine andere.“
Mal genügen die Frauen nicht den intellektuellen Ansprüchen oder deren sexuelle Qualitäten lassen zu wünschen übrig. „Ich finde, Sex sollte eine Religion sein, ich habe keine andere“, notiert sie 1941.
Die Schweizer Dokumentarfilmerin Eva Vitija hat die Tagebücher nun zum Ausgangspunkt einer sehr persönlichen Erkundung des Mythos Highsmith gemacht (in der deutschen Fassung werden die Auszüge von Maren Kroymann gelesen). Dass sie von der US-Schriftstellerin fasziniert ist, daraus macht Eva Vitija kein Hehl. Doch ihr Film ist alles andere als eine blind-ehrerbietige Hommage. Sie blendet weder die psychischen Abgründe aus, etwa High-smith‘ Versuch einer Konversionstherapie, noch ihre von Weltekel und rassistischen und antisemitischen Äußerungen durchsetzten Tagebucheintragungen im letzten Lebensabschnitt.
Zahllose Liebhaberinnen
Vor allem aber ist es Eva Vitija gelungen, einige der zahllosen Liebhaberinnen ausfindig zu machen. „Pat hatte ihr eigenes Frauenfestival veranstaltet“, beschreibt Monique Buffet scherzhaft Highsmith‘ Eroberungszüge während ihrer Pariser Zeit. Auch sie war ihrem Charme erlegen. In der Pariser Lesbenszene sei die Schriftstellerin damals wie ein Star gefeiert worden. „Carol“, der erste lesbische Roman mit Happy End, war zwar unter dem Pseudonym Claire Morgan erschienen, aber in der Szene war das Geheimnis der unbekannten Autorin längst gelüftet.
1978 – Highsmith war Juryvorsitzende der Berlinale – erlebte sie einen Crush im Kinosaal. Der Titel von Ulrike Ottingers Film „Die Betörung des blauen Matrosen“ hätte kaum treffender sein können. Highsmith war fasziniert von diesem von Tabea Blumenschein verkörperten Seemann mit aufgemaltem Bijou-Bärtchen und zog alsbald mit ihr durch die Berliner Szenelokale. Aus der Affäre wurde eine lebenslange Brieffreundschaft, wie die im vergangenen Jahr verstorbene Schauspielerin und Künstlerin im Film erzählt.
New Yorker Lesbenszene der 50er- und 60er-Jahre
Zentrale Zeitzeugin für die Filmemacherin Vitija ist jedoch die mittlerweile 95-jährige lesbische Autorin Marijane Meaker. Wie Highsmith ist sie eine äußerst produktive Schriftstellerin und veröffentlichte parallel unter fünf verschiedenen Pseudonymen – als Vin Packer beispielsweise Krimis und als Ann Aldrich Bücher für ein lesbisches Publikum. In Deutschland ist vor allem ihr Alter Ego M. E. Kerr bekannt. Unter diesem Namen erschienen erfolgreiche Jugendbücher, auch zu Themen wie Aids („Drachen in der Nacht“) und Coming-out („Sommergefühle“, „Mein Lächeln in deinen Augen“).
Unter ihrem bürgerlichen Namen hingegen publizierte sie ihr persönlichstes Buch „Meine Jahre mit Pat“, die Erinnerungen an ihre Zeit mit Patricia Highsmith. Ihre lebendigen Schilderungen aus der New Yorker Lesbenszene der 1950er- und 1960er-Jahre und vom Treiben in den Underground-Clubs erweitern auch in Vitijas Film den Blick weit über die Biografie Highsmith‘ hinaus. Kennengelernt hatten sich die beiden in der legendären Bar „L’s“, und gleich die erste Anekdote, die Meakers gibt, erzählt viel über die Zeitumstände und das notwendige Versteckspiel, das Schwulen und Lesben abgefordert wurde. Denn Highsmith hatte sich von einem Taxifahrer bis vor die Tür des „L’s“ chauffieren lassen. Ein Fauxpas, der ihr ein Hausverbot einbrachte: Sie hatte unwissentlich gegen das Gesetz absoluter Diskretion verstoßen.
Eva Vitijas kompakt erzählte und immer wieder überraschende Dokumentation verschränkt das Porträt der lesbischen Starautorin nicht nur mit lesbischer Zeitgeschichte, sondern mit zentralen Stationen von Highsmith‘ Biografie, ihrer Familiengeschichte und ihrem literarischen Werk. In Texas, wo Patricia bei ihrem Onkel, einem Rodeostar, aufgewachsen ist, sitzen die Nachkommen auf dem Sofa und kramen in alten Familienfotos. Patricia, vielleicht zehn Jahre alt, posiert burschikos mit Schiebermütze und Zigarette im Mundwinkel.
„Ich bin mit meiner Mutter verheiratet, ich werde mich nie mit einer anderen vermählen.“
Ungeachtet dieser frühen Selbstinszenierung als Butch lässt sich die erwachsene Patricia von ihrer Mutter mit einem Mann verkuppeln und versucht mittels eines Therapeuten „heiratsfähig“ zu werden. Nach ihrem ersten Sex mit einem Mann konstatiert sie trocken: „Es fühlt sich an, als hätte man Stahlwolle im Gesicht“. Heterosexuellen Konventionen wird sie sich fortan nicht mehr unterwerfen, doch sie bemerkt durchaus selbstkritisch: „Ich bin mit meiner Mutter verheiratet, ich werde mich nie mit einer anderen vermählen.“ Doch diese Liebe wird nicht in gleichem Maße erwidert. Für Marijane Meaker war Highsmith‘ Mutter schlicht „eine Bitch“. Als die erfährt, dass ihre Tochter die Autorin des skandalösen Romans „Carol“ ist, kommt es zum Zerwürfnis. Highsmith nimmt sich einen Anwalt, um alle Bindungen zu ihrer Mutter zu kappen: „Ich lasse mich von ihr scheiden“, formuliert sie diesen Schritt im Tagebuch.
Berliner Pfaueninsel als Schauplatz
Was dort bereits herauszulesen war, arbeitet Eva Vitija in ihrem Film weiter aus: Highsmith‘ Privatleben, etwa ihre seelischen Abgründe und die verkorksten Beziehungen, sind enger mit ihrem literarischen Schaffen verknüpft, als man bisher gedacht hatte. Auch ihr bekanntester Romanheld, der soziopathische Gelegenheitsmörder Tom Ripley, hat Charakterzüge Highsmith‘ erhalten. Und dass die Pfaueninsel zum Schauplatz in „Der Junge, der Ripley folgte“ wurde, ist beispielsweise von einem Ausflug Highsmith‘ mit ihrer Berliner Geliebten Tabea Blumenschein dorthin inspiriert.
Durch diese Spurensuche – Vitija verschränkt sie mit passenden Szenenausschnitten aus Highsmith-Verfilmungen – erscheint das Werk teilweise durchaus in einem anderen Licht. 22 Romane und zahllose Kurzgeschichten hat Patricia Highsmith zwischen ihren ausgedehnten Reisen in oft exzessiven Arbeitsorgien in ihre Olympia-Schreibmaschine gehämmert. In einem Satz aus ihrem Tagebuch scheint ihr Dilemma auf eine griffige Sentenz zusammenzuschnurren: „Das Schreiben ist natürlich ein Ersatz für das Leben, das ich nicht leben kann, das zu leben ich nicht in der Lage bin.“
Loving Highsmith,
CH/DE 2022, Regie und Buch: Eva Vitija
ab 07.04. im Kino
05.04., 20:15, Cinema Paris
Dunja Hayali, Maxi Häcke und Hanns Zischler lesen Schlüsselpassagen aus den Romanen der Autorin
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Spendenaktion Queere Nothilfe Ukraine
Zahlreiche Organisationen der deutschen LGBTIQ*-Community haben sich zum Bündnis Queere Nothilfe Ukraine zusammengeschlossen. Es werden Spenden gesammelt, die für die notwendige Versorgung oder Evakuierung queerer Menschen in der Ukraine verwendet werden. Link zur Spendenseite: https://altruja.de/nothilfe-ukraine/spende
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