CSD Görlitz-Zgorzelec 2024: Überregionale Solidarität ist gefragt
Am 28. September findet in der Grenzstadt Görlitz-Zgorzelec der dritte CSD statt. Unter dem Motto „Gleiches Recht für alle!”/ “Równość praw dla wszystkich!“ soll nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen für gleiche Rechte und die Anerkennung der LGBTIQ*-Community demonstriert werden. Nach mehreren ostdeutschen Städten ist nun auch diese Pride eine Zielscheibe rechtsextremer Gruppen aus beiden Ländern
Görlitz, die zu Sachsen gehörende Stadt an der Neiße, trägt gemeinsam mit dem polnischen Stadtgebiet Zgorzelec den Titel „Europastadt“ und verweist damit auf die Verbindung des polnischen und deutschen Stadtteils. Mit dem bilingualen Motto „Gleiches Recht für alle! / Równość praw dla wszystkich!“ will das Orga-Team um Wojciech Urlich am Samstag diese Vielfalt feiern und gleichzeitig auf die unterschiedlichen queerpolitischen Rechtslagen beider Stadtteile aufmerksam machen.
Gerade Polen ist nach acht Jahren unter der rechtskonservative PiS-Partei zu einem der queerfeindlichsten Staaten Europas geworden. Mit dem Machtwechsel 2023 und den Wahlversprechung des Ministerpräsidenten Donald Tusk hat die queere Community auf mehr Liberalisierung gehofft, die allerdings noch immer auf sich warten lässt. Erst im Juni äußerte der stellvertretende Ministerpräsident Wladyslaw Kosiniak-Kamysz (PSL), dass es eine rote Linie gebe und die bedeute keine Gleichsetzung von queeren Partnerschaften mit der Ehe und keine Möglichkeit auf Adoption.
„Jeder CSD ist politisch, doch in kleineren Städten wie Görlitz wird die Tragweite noch einmal deutlicher.“
Die Veranstalter*innen rechnen mit rund 800 Teilnehmer*innen beim CSD in Görlitz-Zgorzelec – in den letzten beiden Jahren sei die Pride-Demo deutlich gewachsen. Nach einem Warm-up-Programm am Freitag mit einer Lesung von Jörg Rehmann und einem Kurzfilmabend startet am Samtag um 12:00 Uhr die Demo durch Görlitz und den polnischen Stadtteil Zgorzelec. „Wir freuen uns aufs Feiern und Demonstrieren!“, sagt Urlich. „Jeder CSD ist politisch, doch in kleineren Städten wie Görlitz wird die Tragweite noch einmal deutlicher.“
Seit der Landtagswahl im Juni, bei der im Landkreis Görlitz 38 Prozent der Wähler*innen für die AfD stimmten, spüre er eine deutliche Veränderung in der Stadt, in der er sich bis dahin wohlgefühlt habe. „Man fragt sich angesichts der Wahlergebnisse schon, ob beispielsweise die Nachbarin, die so nett lächelt, einfach nur eine Maske aufsetzt.” Zudem treten die Anfeindungen von LGBTIQ*-Menschen und Einrichtungen seit Juni immer deutlicher zu Tage.
Ostdeutsche Prides im Visier der Rechtsextremen
In den sozialen Medien rufen rechtsextreme Gruppierungen immer wieder zu Gegenprotesten auf, wenn es um Pride-Demonstrationen geht. In Bautzen, das gerade mal 40 Kilometer von Görlitz entfernt liegt, konnten 700 Gegendemonstrant*innen mobilisiert werden – sie fielen durch verfassungsfeindliche Parolen und Zeichen auf.
In Döbeln, einer Stadt zwischen Dresden und Leipzig, soll der Versammlungsleiter einer rechtsextremen Gruppierung in der Nacht zuvor die Demostrecke mit Buttersäure verunreinigt haben. Auch wenn er von der Veranstaltung ausgeschlossen wurde, haben sich 200 Gegendemonstrant*innen in Ruf- und Hörweite des CSD versammelt. Die Versammlungsbehörde des Landkreises Mittelsachsen verwies laut MDR darauf, dass sie „beiden Gruppierungen“ ihr Versammlungsrecht ermöglichen wollte. Dazu gehöre, „dass ihnen ein Zusammentreffen in Sicht- und Rufweite möglich ist".
„Diese Bedrohung ist von vollkommen neuer Qualität und Ausmaß. Wir beobachten eine zunehmende Zusammenarbeit zwischen rechten Gruppen aus beiden Ländern.“
In Görlitz wiederum rechnen die Veranstalter*innen mit bis zu 400 Gegendemonstrant*innen von deutscher Seite, sowie 100 aus Polen. „Diese Bedrohung ist von vollkommen neuer Qualität und Ausmaß. Wir beobachten eine zunehmende Zusammenarbeit zwischen rechten Gruppen aus beiden Ländern“, erklären die CSD-Organisator*innen.
Tatsächlich ist die Zusammenarbeit nicht ganz zufällig. 2024 war aufgrund groß angelegter Kampagnen in den sozialen Medien ein anstrengendes Jahr für die europaweite LGBTIQ*-Community. Queerfeindliche Gesetze in Deutschland und Osteuropa passieren die Parlamente in den Wahlkampfphasen, während eine selten dagewesene Mobilisierung für „Anti-Prides” in der Zivilbevölkerung stattfindet. NGOs kommen gegen die Masse an Desinformation kaum noch an. Europaweit organisieren sich Rechtsextreme auch offline immer aggressiver, wie bei einem „Europakongress” im Mai 2024, bei dem rechtsradikale Gruppierungen aus Deutschland, Bulgarien, Griechenland, Serbien, Ungarn, Frankreich, Spanien und England in Niedersachsen zu Panels und Kampftrainings zusammenkamen.
Queere Sichtbarkeit als Schutz
Um die Sicherheit der Teilnehmenden zu gewährleisten, wird eng mit der Polizei zusammengearbeitet, die eine verstärkte Präsenz für Görlitz zugesagt hat. Doch Urlich betont, dass Polizeischutz allein nicht ausreiche: „Es ist entscheidend, dass unsere Veranstaltung sichtbarer wird, damit der Schutz gewährleistet bleibt.“
Die jüngsten Ereignisse in Bautzen und Döbeln haben das Vertrauen in den Schutz durch die Sicherheitsbehörden erschüttert. Trotz starker Polizeipräsenz blieben Rechtsextreme oft in Sicht- und Hörweite der CSDs, ohne dass sie konsequent von den Demonstrierenden ferngehalten wurden. In Görlitz wird nun gehofft, dass aus diesen Vorfällen Lehren gezogen wurden.
Umso wichtiger ist es nun für die queere Community, sich überregional zu solidarisieren.
Der „Pride Soli Ride“ beispielsweise organisiert gemeinsame Fahrten aus Berlin zu den CSDs in ostdeutsche Kleinstädten, um die Community vor Ort zu unterstützen. Die Gruppe hat ihre letzte offizielle Fahrt für die Pride-Saison 2024 zwar schon am 14. September organisiert, begrüßt es aber, wenn Berliner*innen weiterhin die Telegram-Gruppe nutzen, um Fahrgemeinschaften zu organisieren und Demonstrierende zu mobilisieren.
„Es braucht ein nachhaltiges Engagement gegen die wachsenden Anfeindungen und für die Sichtbarkeit der LGBTIQ*-Community im Osten.“
Am 28. September wird die CSD-Parade durch die Straßen von Görlitz und Zgorzelec ziehen. Die Veranstalter*innen hoffen auf Solidarität aus der gesamten Region und darüber hinaus. Doch die Veranstaltung braucht mehr als nur symbolische Unterstützung: Sie fordert ein nachhaltiges Engagement gegen die wachsenden Anfeindungen und für die Sichtbarkeit der LGBTIQ*-Community im Osten. Also auf nach Görlitz!
CSD Görlitz-Zgorzelec 2024
28.09., ab 12:00 Bahnhof Görlitz
14:00 Kundgebung auf dem Elisabethplatz
ab 18:00 Warum-up, Barabend und Aftershow im Club Nostromo
Instagram: @csd_goerlitz_zgorzelec
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