Coronakrise: Tipps zum Umgang mit der Angst
In der aktuellen Krise haben viele Menschen mit Angstgefühlen zu kämpfen. Doch wie geht man damit am besten um? Wir fragten Conor Toomey, der im Bereich psychologische Hilfe bei der Schwulenberatung Berlin arbeitet
Conor, die Coronakrise macht vielen Angst: um die eigene Gesundheit oder um nahestehende Personen, Angst vor sozialer Isolation, finanzielle Sorgen und so weiter … Auch die Maßnahmen gegen das Virus sind beängstigend – unsere Grundrechte werden derzeit extrem beschnitten. Das alles kann überfordern. Ja. In einer Krisenzeit wird unser Erleben insgesamt intensiver. Die Ängste und Sorgen, die man vorher vielleicht schon hatte, wirken jetzt mal zehn. Und die Krise betrifft uns alle – wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Leute, die z. B. fest angestellt sind und viele Freund*innen und Bekannte haben, werden von den Folgen eher weniger getroffen als jene, die sowieso schon in prekären Arbeitssituationen sind, die weniger Ressourcen haben oder kein so gutes soziales Netzwerk, auf das sie jetzt zurückgreifen könnten.
Die Lage ändert sich täglich und sehr schnell. Wir wissen nicht, was morgen sein wird. Wie reagieren die Leute darauf? Wenn es große Veränderungen gibt, im gesellschaftlichen oder im persönlichen, versuchen wir in der Regel, in Handlung zu gehen. Wir wollen etwas tun, etwas lösen. Und genau das geht gerade schlecht. Unsere Handlungsmöglichkeiten sind stark eingeschränkt, alleine durch die soziale Distanzierung. Übertriebene Hamsterkäufe sind ein Ausdruck von diesem Wunsch, handeln zu wollen, anstatt auf unseren Ängsten sitzen zu bleiben.
Was kann ich trotzdem noch tun, um der Angst zu begegnen? Hilfreich sind alle Dinge, die uns Halt geben. Da gibt es kein richtig und kein falsch. Für manche wird dies Kuchen backen sein, für andere Yoga oder joggen gehen… Kleine Rituale einführen: etwa jeden Tag zur gleichen Zeit aufstehen oder Essenszeiten einhalten. Wenn es mehrmals am Tag neue Nachrichten gibt und in der Welt da draußen alles im Umbruch ist, wird es umso wichtiger, feste Alltagsstrukturen zu haben – soweit das eben gerade geht.
Das Internet ist voll von Ratschlägen, wie man die Zeit, die man durch die Beschränkungen des öffentlichen Lebens jetzt hat, sinnvoll nutzen kann. Ja, da kommen ganz viele Vorschläge: Frühjahrsputz, das Sportprogramm, das ich schon immer mal machen wollte... Das sind tolle Ideen, sie passen aber auch irgendwie zu unserer Leistungsgesellschaft. Jetzt, wo wir in der Krise sind, sollen wir die Selbstoptimierung noch weiter vorantreiben. Ich empfehle da eher: mache Dinge, die dir gut tun. Vielleicht ist es die Gelegenheit, sich mit einem Pudding aufs Sofa zu setzen und Comedy zu schauen? Sei nett zu dir! Und auch Kontakt zu anderen halten ist natürlich wichtig – ob über Telefonate, Social Media, online Foren usw.
„Nachfühlen, was die Krise für mich heißt, welche Entscheidungen ich treffen kann – ohne dabei in Panik zu geraten.“
Es sind ja auch viele Projekte der gegenseitigen Hilfe entstanden. In Berlin gibt es bereits unzählige Nachbarschaftsinitiativen. Das kriege ich hier bei uns im Haus mit: Bei den Nachbar*innen wird nachgefragt, ob sie Unterstützung brauchen. Das finde ich schön zu sehen. Und solidarische Handlungen reduzieren die Angst. Das ist wissenschaftlich nachgewiesen – es gibt Studien, die das belegen.
Kann es eine Kehrseite haben, wenn ich jetzt viel Kontakt z. B. auf Social Media suche? Ja. Wenn in meinem Facebook-Feed dauernd negative News auf mich einprasseln, wird das irgendwann zu viel. Das muss man einschränken, zum Beispiel indem man nur zweimal am Tag Nachrichten liest. Zeitliche Begrenzung ist wichtig: Auch, was die Angst und das Grübeln betrifft. Ich kann bewusst eine halbe Stunde grübeln, stelle mir vielleicht einen Wecker, und wenn der klingelt, mache ich etwas anderes, das mich aufheitert. Man muss sich daran erinnern, dass unser alltägliches Gefühl von Sicherheit konstruiert ist. Wir alle tun Dinge, die risikoreich sind, wie mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren - machen uns jedoch wenig Gedanken dazu. Ich nehme Rücksicht auf den Verkehr, aber ich habe nicht dauernd Angst. Das gleiche Prinzip könnte man jetzt in dieser Krise anwenden. Nachfühlen, was das für mich heißt, welche Entscheidungen ich deswegen treffen und wie ich vorsichtig sein kann – ohne dabei in Panik zu geraten.
„Solidarische Handlungen reduzieren die Angst.“
Leute, mit denen ich mich austausche, haben oft einen ganz anderen Umgang mit der Situation als ich. Es gibt tatsächlich sehr unterschiedliche Haltungen zur Krise. In der Anfangsphase wurden jene, die aufmerksam gemacht haben auf das, was auf uns zukommt, nicht selten als Panikmacher dargestellt. Das ist jetzt weniger geworden, dafür gibt es eine Art moralischer Abwertung von einzelnen, die bei der sozialen Distanzierung nicht „genügend mitmachen“ würden – die dann z. B. doch noch mit einer befreundeten Person spazieren gehen.
Wie begegnet man einander jetzt am besten? Es muss erlaubt sein, dass jede*r seinen oder ihren eigenen Umgang findet. Und man sollte freundlich miteinander bleiben. Ich merke selbst, ich bin gereizter und schlechter gelaunt als sonst – das ist ja völlig normal. Aber wir sollten trotzdem versuchen, beruhigend aufeinander einzuwirken.
„Viele LGBTI* haben in ihrem Leben bereits Krisen gemeistert.“
Du berätst LGBTI*. Inwiefern trifft die Coronakrise queere Menschen besonders? Viele unserer Treffpunkte, Bars, Vereine usw., haben jetzt geschlossen. Das macht es schwieriger, miteinander in Kontakt zu kommen. Und LGBTI* haben oft Diskriminierungserfahrungen gemacht und sind häufiger in prekären Lebenssituationen. Menschen, die auf diese Weise bereits belastet sind, trifft die Krise natürlich noch mehr. Viele Queers, wie etwa trans* Personen, haben außerdem ohnehin schon schwer Zugang zum gesundheitlichen Versorgungssystem, weil die Barrieren höher sind.
Arbeitet ihr bei der Schwulenberatung noch wie zuvor? An vielen Stellen läuft das jetzt anders: Wir machen viel telefonische Beratung und einige Gruppenangebote, die wir hatten, stellen wir auf Online-Videoformat um. Die Botschaft ist: wir sind nach wie vor mit unseren Hilfsangeboten da.
Du hast erwähnt, dass LGBTI*-Personen es in der Krise schwerer haben. Andererseits verfügen gerade Queers oft auch über viele persönliche Ressourcen, die es braucht, um Krisen zu meistern… Das stimmt: Wer in der Vergangenheit schon Krisen gelöst hat, kann die Strategien, die damals geholfen haben, auch in zukünftigen Situationen anwenden. Und sehr viele LGBTI* haben in ihrem Leben bereits Krisen gemeistert. Entsprechend gibt es jetzt auch viel Energie und Kreativität, wie wir als Community gut mit der Situation umgehen können.
Conor Toomey arbeitet als Berater, Therapeut und fachlicher Leiter im Bereich psychologische Hilfe bei der Schwulenberatung Berlin.
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