Kinostart am 2. März

Cate Blanchett als machtbesessene Lesbe: „Tár“

28. Feb. 2023 Axel Schock
Bild: UPI Media

Nach „Carol“ spielt Cate Blanchett wieder eine starke lesbische Rolle. Als Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker brilliert sie in Todd Fields Meisterwerk „Tár“ über Ruhm, Ego, Machtmissbrauch und Musikbusiness

In der Welt der klassischen Musik hat sie fast alles erreicht. Lydia Tár, die erste Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker, befindet sich auf dem Zenit ihrer Karriere. Mit einer Liveaufnahme der fünften Symphonie wird sie ihren Mahler-Zyklus abschließen können und ihr demnächst erscheinendes autobiografisches Buch hat das Zeug zum Bestseller. Denn Lydia Tár brilliert nicht nur im Konzertsaal, sie ist auch eine charismatische Künstlerin mit Starappeal.

Bei einem Livetalk für den New Yorker zeigt sie sich schlagfertig, charmant und selbstbewusst, mit der Tendenz zur eiskalten Arroganz. Lydia Tár, das ist bereits in dieser Szene am Anfang des Films zu spüren, lässt sich nicht so schnell aus der Fassung bringen, und nichts wäre schlimmer für sie, als die Kontrolle zu verlieren. Und sie weiß um ihre Macht. Lydia Tár kann Menschen zu Karrieren verhelfen – und sie kann diese auch wieder vernichten. Die in Ungnade gefallene Assistentin Krista hat sich das Leben genommen. Was tatsächlich vorgefallen ist, erschließt sich nur aus Gesprächsfetzen und bleibt dennoch bis zuletzt unklar. Doch als E-Mails an die Öffentlichkeit gelangen, die auf eine Liaison zwischen den beiden und übergriffiges Verhalten hindeuten, werden Nachforschungen angestellt.

Kein reaktionäres Lehrstück

Und dann ist da auch noch diese Gastvorlesung in New York. Tár, die mit der Violinistin – und Konzertmeisterin der Berliner Philharmoniker – Sharon (Nina Hoss) verheiratet ist, mag zwar karrieretechnisch Geschlechtergrenzen durchbrochen haben; zur Feministin oder queeren Aktivistin macht sie dies noch lange nicht. Gendern ist ihr ein Gräuel, selbst die Bezeichnung „Maestra“ lehnt sie für sich ab. Als ihr ein pansexueller BIPoC Studierender erklärt, warum er keine Werke von frauenfeindlichen weißen Männern spielen möchte, wird er von Tár verbal in Grund und Boden gestampft. Ein Video ihres demütigenden und grenzüberschreitenden Ausbruchs geht dann auch prompt viral.

Szenen wie diese legen den Eindruck nahe, Todd Field habe sich mit „Tár“ an den aktuellen Debatten um Cancel Culture und toxische Machtstrukturen abgearbeitet. Doch „Tár“ ist alles andere als ein reaktionäres Lehrstück über falsch verstandene Wokeness. Wer hier Täter(in) und wer Opfer ist, wer lügt und wer hier wen betrügt, das lässt Todd Field klugerweise immer wieder offen.

Bild: UPI Media

Kaltherziges Monster

Lange ist unklar, wohin dieser Film eigentlich steuern möchte, und er droht, sich in den vielen Handlungssträngen zu verzetteln. In hoher Schlagzahl reihen sich die Szenen aus dem eng getakteten Leben der Chefdirigentin: Vertragsverhandlungen mit der Plattenfirma, Personalentscheidungen, Orchesterproben, PR-Termine, Konzertverpflichtungen. Und dazwischen Rudimente eines Beziehungs- und Familienlebens. Ihre Luxuswohnung im intellektuell-kühlen Industrial-Chic (gedreht übrigens im Boros-Penthaus auf dem ehemaligen Reichsbahnbunker in der Reinhardstraße) spiegelt geradezu perfekt die Betriebstemperatur ihrer erkalteten Ehe mit Sharon.

„Tár“ ist ein Beziehungsdrama, ein sezierender Blick in den Orchesterbetrieb wie auch eine Parabel auf die Macht und deren Missbrauch. Letztlich aber kumulieren all diese Facetten in der Dekonstruktion eines kompromisslosen und einschüchternden Genies, das sich zunehmend als kaltherziges Monster enttarnt.

Nicht von ungefähr spielt Todd Field immer wieder mit Thrillerelementen und Hildur Guðnadóttir unterstreicht die nervöse Unruhe und subtile Unbehaglichkeit mit ihrer unaufdringlichen Filmmusik. Aber erst durch die überragende Cate Blanchett wird „Tár“ zu einem Gesamtkunstwerk, das über zweieinhalb intensive Kinostunden hinweg bis zum überraschenden Schlussakkord die Hochspannung zu halten vermag.

Tár, USA 2022, Buch und Regie: Todd Field.
Mit Cate Blanchett, Nina Hoss, Noémie Merlant u. a.
Ab 02.03. im Kino

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