Gastkommentar zum Stonewall Riots Day 2021

Bunte Stadien, Ehe für Alle: Alles erreicht?

28. Juni 2021 Josefine Liebing
Bild: Initiative Grundgesetz für alle

Am Samstag, den 28.06. 1969, begann der Stonewall-Aufstand, der als zentraler Wendepunkt in der Geschichte der queeren Emanzipationsbewegung gilt. Aus diesem Anlass, und hinsichtlich auch eines aktuellen gesellschaftlichen Rollbacks, stellt Josefine Liebing von der Initiative Grundgesetz für alle die Frage, was heute noch erkämpft und verteidigt werden muss

Während der Pride-Saison lassen wir unsere Regenbogenfahnen im Wind flattern, laut und stolz tragen wir unsere Botschaften auf bunten Plakaten in die Welt und feiern unsere Vielfalt. Und wir zelebrieren Erreichtes. Ja! Wir haben viel erreicht und darauf können wir als queere Community und Gesamtgesellschaft wirklich stolz sein.

So konnten mit der „Ehe für Alle“ und dem dritten Personenstand „divers“ fortschrittliche Gesetze erkämpft werden.

Aktuell offenbart sich in einer Welle von bunt erleuchteten Stadien und Social Media-Accounts die Solidarität unserer Mitmenschen. Doch gleichzeitig wird auch die Anti-Gleichstellungslobby immer lauter. Ein Blick nach Polen oder Ungarn zeigt, wo die Reise hingehen kann. So möchte frau manchmal meinen, die Gesellschaft befindet sich in der Zeitmaschine aus „Zurück in die Zukunft“. Nur ist an dieser Stelle noch unklar, ob sich die Gesellschaft in die Zeitmaschine setzt und beispielsweise zurück ins Jahr 1981 reist, oder ob sie sich doch für die Zukunft und für weiteren gesellschaftlichen Fortschritt entscheidet.

Dabei sollte ein Selbstbestimmungsrecht für trans* Personen nicht die Aufgabe für Marty McFly sein, sondern die der Politik. Und das umgehend. Denn wer sagt uns, dass die Zeit nicht bald zurückgedreht wird auf das Jahr 2011, als unter dem „Transsexuellengesetz“ Zwangssterilisationen stattfinden. Wobei es auch heute noch große offene Baustellen gibt: Wie kann es sein, dass trans*, inter* und nicht-binäre Personen bis heute in vielfacher Hinsicht auf den guten Willen der Gerichte angewiesen sind? Sollte eine Verfassung nicht alle Menschen gleichermaßen verlässlich schützen?

„Wovor ich mich fürchte, ist, dass die Gesellschaft sich wieder in die Zeitmaschine setzt und die Uhr zurückdreht”

In diesem Zusammenhang muss folgende Frage an unsere Regierung gestellt werden: Wie kann es in einer Zeit des Rollbacks sein, dass die sexuelle und geschlechtliche Identität noch immer nicht explizit durch unser Grundgesetz geschützt sind? Wer sagt uns, dass die Zeitmaschine nicht bald auf das Jahr 1994 gesetzt und erneut verankert wird, dass ein §175 Homosexualität wieder kriminalisiert. Ich bin froh, aus einer anderen Generation zu kommen und mich in meinem Lesbischsein vor Jahren ohne Angst vor Repression emanzipiert zu haben. Nicht auszudenken, was früher lesbische Frauen durchgemacht haben, die bei einer Trennung Angst haben mussten, ihr Kind zu verlieren. Wovor ich mich aber fürchte, ist, dass die Gesellschaft sich doch wieder in die Zeitmaschine setzt und die Uhr zurückdreht. Oder weiteren Fortschritt blockiert, und der Zeiger der Datumsangabe stehen bleibt auf dem 28. Juni 2021, einem Tag, an dem Zwei-Mütter-Familien nach wie vor gesetzlicher Diskriminierung namensStiefkindadoption” gegenüberstehen, gefährliche „Konversionsverfahren“ für queere Erwachsene noch immer legal sind und es für homo- und bisexuelle Männer* fast unmöglich ist, Blut zu spenden.

Es ist endlich Zeit für unseren vierten Teil der Filmreihe: In Richtung Zukunft! Es braucht einen Durchbruch für die sexuelle und geschlechtliche Identität, die im Grundgesetz geschützt werden muss, eine Lebensrealität, die der Würde des Menschen entspricht. Gemeinsam zieht die queere Community am Hebel der Zeitmaschine. Inwiefern Unternehmen und Politiker*innen, die sich während der vergangenen Tage mit Regenbogenflaggen schmückten, nun an diesem Hebel mitziehen werden, muss sich erst zeigen.

Bild: Annette Kühn
Josefine Liebing

Josefine Liebing ist gemeinsam mit Christian Carsten Gaa und Sören Landmann Initiatorin und Koordinatorin der bundesweiten Initiative GRUNDGESETZ FÜR ALLE, die eine Ergänzung des Artikels 3, Absatz 3 Grundgesetz zum Schutz der sexuellen und geschlechtlichen Identität fordert.

Weitere Infos unter www.grundgesetz-fuer-alle.de

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