Bundestagswahl: Queerer Aufbruch mit der SPD?
Blutspendeverbot, „Transsexuellengesetz“ und Co.: Was wird aus LGBTIQ*-Themen nach der Bundestagswahl? Michael G. Meyer kommentiert für SIEGESSÄULE, warum aus queerer Sicht auf eine „Ampel“-Koalition zu hoffen ist
Uff, es ist geschafft. Nach wochenlangem „heißem Wahlkampf“ auf den Straßen und im Fernsehen, nach gefühlt Dutzenden von Wahlrunden, Triellen und sonstigen Diskussionssendungen wurde endlich gewählt. In Berlin verlief die Wahl erstaunlich holprig: am Abend, weit nach 18 Uhr standen Hunderte von Menschen noch immer an den Wahllokalen an, weil man offenbar den Ansturm überschätzt hatte, sogar Stimmzettel fehlten hier und da.
Die SPD wurde jedenfalls Wahlsiegerin, sowohl auf Bundesebene wie auch in Berlin. Auf Bundesebene beträgt der Vorsprung zwar nur etwa anderthalb Prozentpunkte, aber immerhin.
Doch was heißt das jetzt für queere Politik, für LGBTIQ*-Themen?
Der Union waren Queers weitgehend egal
Zunächst einmal: Sollte sich die CDU, trotz ihres zweiten Platzes in der Wähler*innengunst, doch noch in die Regierung schleichen, wäre das kein gutes Omen für queere Politik. Die CDU hat es geschafft, in einem ohnehin recht abgespeckten Wahlprogramm kein einiges Mal das Wort „queer“ oder LGBTIQ* überhaupt zu erwähnen. Auch wenn CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet im Interview mit der Fresh von „Vielfalt“ in der Union sprach und bei einigen anderen Themen unverbindlich vom „Schutz aller“, festzuhalten bleibt: Den Unionsparteien sind queere Themen weitgehend egal. Sonst würde man mehr darüber im Wahlprogramm zu sagen haben.
Bei den Parteien, die sich womöglich zu einer „Ampel“ formieren, der SPD, den Grünen und der FDP, steht erheblich mehr in den Wahlprogrammen zu queeren Themen. Mit dieser Koalition ist zu hoffen und zu erwarten, dass queere Familien gestärkt werden, wie sie etwa die SPD mit der Option der „Verantwortungsgemeinschaft“ fordert. Die Grünen, die sich viel mit queeren Lebensmodellen befassen, wollen auch das Abstammungsrecht reformieren, damit Co-Mütter* automatisch als zweites rechtliches Elternteil gelten. Die Reproduktionsmedizin soll für nichteheliche Lebensgemeinschaften und lesbische Paare ebenfalls offen stehen.
Die bei der Bundestagswahl siegreiche SPD will queere Familien absichern, indem sie sie rechtlich gleichgestellt und die Option der „Verantwortungsgemeinschaft“ eingeführt wird. Sie spricht sich außerdem für ein modernes Abstammungsrecht aus und fordert gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Ehepaare bei Adoptionen.
Ein „weiter so“ ist kaum denkbar
Eines der „Dauerbrennerthemen“, das in der nächsten Legislaturperiode unbedingt auf die Agenda kommen muss, ist die Reform des „Transsexuellengesetzes“. Hier haben alle Parteien der „Ampel“ recht fortschrittliche Vorstellungen, allerdings gehen die Grünen am weitesten: Das „Transsexuellengesetz“ soll aufgehoben werden und die Änderung der Geschlechtsangabe auf Grundlage der Selbstauskunft, das heißt mit einem einfachen Antrag beim Amt, soll möglich sein. Auch unnötige Operationen an inter* Kindern will man verbieten. Für trans* Personen soll es einen Anspruch auf geschlechtsangleichende Maßnahmen und Operationen geben, die von den Krankenkassen gezahlt werden.
Und auch die FDP plant, das „Transsexuellengesetz“ abzuschaffen und spricht sich stattdessen, wie die Grünen, für ein „Selbstbestimmungsgesetz“ aus. Weitere Themen, wie die Abschaffung des Blutspendeverbots für schwule Männer, eine Stärkung queerer Strukturen oder eine eigene Rubrik in der Kriminalstatistik, um Hasskriminalität und geschlechtsspezifische Gewalt zu analysieren und ihr besser zu begegnen, stehen ebenfalls auf der Agenda der „Ampel“-Parteien.
Doch was macht man nun aus dem Ergebnis der Bundestagswahl?
Ebenso wie in vielen anderen Bereichen ist ein „Weiter so“ jedenfalls kaum denkbar, change is gonna come, könnte man sagen. Ob am Ende ein Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen mit Grünen und FDP einige queere Themen voranbringen wird, ist wünschenswert, aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar. Bis eine Koalition steht, ist es noch lange hin.
Erste trans Frau im Bundestag, Kühnert gewinnt Wahlkreis
Immerhin kann man ein paar positive Ergebnisse aus queerer Sicht schon mal festhalten: Kevin Kühnert, SPD-Vize und Kandidat von Tempelhof-Schöneberg, hat seinen Wahlkreis gewonnen. Sollte die SPD mitregieren, wäre Kühnert sicher eine wichtige queere Stimme im Bundestag.
Und die Grünen schicken mit Tessa Ganserer die erste trans Frau in den Bundestag. Die Politikerin scheiterte in Nürnberg-Nord zwar mit einem Direktmandat, kommt aber über die Landesliste ins Parlament. Ganserer zog 2013 erstmals in den Bayerischen Landtag ein, Anfang 2019 outete sie sich.
Die nächsten vier Jahre dürften jedenfalls spannend werden, auch aus queerer Sicht.
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