Bundeskabinett verabschiedet Selbstbestimmungsgesetz
Das Bundeskabinett verabschiedete heute, am 23. August, das lang erwartete Selbstbestimmungsgesetz. Allerdings sei der neue Gesetzestext keine Verbesserung zu früheren Fassungen und begegne trans Menschen weiterhin mit Misstrauen, so die Kritik von trans* Aktivist*innen. Eine Petition fordert nun Regierung und Bundestag auf, die kritischen Stellen nachzubessern
Bereits im Mai, als die zuständigen Ministerien den Gesetzentwurf erstmals vorstellten, warnten zahlreiche Verbände und Betroffenenorganisationen die Bundesminister*innen Lisa Paus (Bündnis90/Grüne; Familienressort) und Marco Buschmann (FDP; Justiz) davor, dass einzelne Regelungen im Entwurf zu neuer Diskriminierung und Auschlüssen von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen führen würden. (SIEGESSÄULE berichtete)
Statt sich mit den Empfehlungen der Expert*innen auseinanderzusetzen und diese zu berücksichtigen, finden sich in dem heute im Bundeskabinett verabschiedeten Entwurf weiterhin Formulierungen, die ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen zum Ausdruck bringen. Offenbar wurde hier weiter Vorurteilen rechter Gruppierungen Raum gegeben statt sich an der Lebensrealität der Betroffenen zu orientieren.
Ataman: „Von trans Frauen in Saunen sind keine Störungen bekannt“
Und dies obgleich bereits im Mai die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, erklärt hatte, dass das Selbstbestimmungsgesetz nicht den Eindruck vermitteln dürfe, man müsse die Geschlechtsidentität von trans Personen nicht immer so genau nehmen, etwa wenn sie Dienstleistungen in Anspruch nähmen. Und weiter: „Der Verweis auf das Hausrecht im Gesetzesentwurf ist deshalb überflüssig. Besonders oft wurde im öffentlichen Diskurs das Beispiel Frauensaunen bemüht. Dabei sind die meisten Saunen gemischtgeschlechtlich, ohne dass es vergleichbare Debatten um den ‚Schutzraum Sauna‘ geben würde. Das Szenario, Männer würden sich künftig amtlich als Frauen registrieren lassen, um in eine Frauensauna einzudringen, ist nicht schlüssig. Auch von trans Frauen in Saunen sind keine Störungen bekannt. Trans Frauen als Gefahr darzustellen statt als schutzwürdig, ist falsch und infam.“
Abweichungen vom Referent*innenentwurf
Der Kabinettsentwurf weicht in einigen Punkten von dem im Mai vorgestellten Entwurf ab. So sollen Änderungen des Personenstandes und des Vornamens nun sofort wirksam werden, doch die drei Monate Wartezeit nach dem Antrag sind lediglich zu einer Anmeldefrist abgewandelt worden. So müssen Antragsstellende jetzt drei Monate vor der Erklärung über die Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamens ihren Änderungswunsch schriftlich oder mündlich beim Standesamt anmelden.
Auch sieht der Entwurf eine reine Änderung des Vornamens nicht mehr vor. Entweder kann der Personenstand allein oder der Personenstand in Verbindung mit dem Vornamen geändert werden kann.
Der LSVD kritisert zu dem, dass der Gesetzesentwurf jetzt nicht nur auf das Hausrecht, sondern auch auf die Vertragsfreiheit verweise: „Dies könnte als Legitimierung für diskriminierende Ausschlüsse von trans*, intergeschlechtlichen und nichtbinären (TIN*) Personen aus Einrichtungen, Räumen und von Veranstaltungen missverstanden werden. Die zivilgesellschaftliche und mediale Diskussion der Eckpunkte sowie des Referent*innenentwurfs zeigte deutlich, dass solche Formulierungen verstärkt von politischen Akteur*innen aufgegriffen werden, die die rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierung und Ausgrenzung von TIN* Personen zu rechtfertigen versuchen.“
Eine Gruppe bekannter Netzfeminist*innen fordert als Reaktion auf den Kabinettsentwurf heute mit einer Petition seine Überarbeitung unter Berücksichtigung der trans*, inter und nicht-binären Fachverbände und Selbstorganisationen. Im Einzelnen geht es um die ersatzlose Streichung rückschrittlicher Formulierungen wie etwa in §4, wo es um die Anmeldefrist für die Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen geht, oder in §6, der das sogenannte Hausrecht regelt.
Petition: Trans Personen nicht unter Generalverdacht stellen
Die Initiator*innen und Erstunterzeichner*innen der Petition, darunter Dr. Beate von Miquel, Felicia Ewert, Hengameh Yaghoobifarah, Gianni Jovanović, Linus Giese, Sookee u.v.a., beziehen sich auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz, die ein zeitgemäßes Selbstbestimmungsgesetz überhaupt erst ermöglicht hätte. Außerdem fordern sie, in Absprache mit den Fachverbänden,
– Nachbesserungen bei der geschlechtlichen Selbstbestimmung von Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren unabhängig von der Unterstützung der Eltern
– das Abstammungsrecht diskriminierungsfrei zu gestalten
– das Recht auf Selbstbestimmung auch für abgelehnte Asylbewerber*innen
– eine Änderung des Geschlechtseintrags in allen offiziellen Dokumenten der Bundesrepublik unabhängig von deutscher Staatsangehörigkeit oder deutschem Wohnsitz
– Schließung der Schutzlücken im Offenbarungsverbot (gegen Zwangs-Outing) und bei der Weitergabe von Daten an Polizei und Sicherheitsbehörden.
Personen, die sich künftig auf das SBGG berufen, dürften nicht unter Generalverdacht gestellt werden, das Gesetz für unlautere Absichten zu instrumentalisieren, so die Initiative. Auch Ferda Ataman erklärte dazu bereits im Mai: „Das Selbstbestimmungsgesetz gibt trans, nichtbinären und intersexuellen Menschen endlich auch in Deutschland den Schutz und die Rechte, die sie in anderen Ländern längst haben. Nicht mehr und nicht weniger.“
Es bleibt abzuwarten, ob es der Ampel-Regierung doch noch gelingt, ein modernes Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg zu bringen, das diesen Namen auch verdient und sich von den Narrativen seiner Gegner*innen dauerhaft absetzen kann.
Erklärung des Queerbeauftragten der Bundesregierung
Sven Lehmann, Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, versuchte heute in einer Presssemitteilung zu erklären, warum die erneute Überarbeitung des Gesetzesentwurfs keine entscheidenden Verbesserungen erbracht habe: So sei der Gesetzentwurf der Regierung ein Kompromiss zwischen verschiedenen Ministerien mit unterschiedlichen Interessen gewesen. „Neue Passagen wie die zum Offenbarungsverbot gehen auf das Innenministerium zurück. Menschen, die von Sicherheitsbehörden gesucht werden, können das Gesetz nicht missbrauchen, um mit einer Änderung von Personenstand und Vornamen ihre Auffindbarkeit zu erschweren. Hier muss unbedingt sichergestellt werden, dass nur bereits bestehende Datensätze aktualisiert werden. Liegt den Sicherheitsbehörden kein Eintrag zu einer Person vor, müssen diese persönlichen Daten wie im Gesetz vereinbart sofort gelöscht werden.“
Lehmann bedankte sich bei den zahlreichen Community-Verbänden für ihre Verbesserungsvorschläge in den Stellungnahmen. Er bedauere es, dass Verbesserungen am Entwurf auf Ebene der Minister*innen nicht möglich waren und nannte als Beispiel den Hausrecht-Paragraphen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung gehe nun an den Bundesrat und dann im Herbst in den Bundestag. Sven Lehmann setze darauf, dass im parlamentarischen Verfahren Verbesserungen am Gesetzentwurf möglich seien. Er halte es für machbar, dass der Bundestag das Selbstbestimmungsgesetz noch in diesem Jahr verabschiedet. Allerdings scheint das Innenministerium auf der Bremse zu treten. Lehmann sagte, laut Innenministerium sei ein Inkrafttreten erst am 1. November 2024 möglich. „Selbst wenn Zeit für die erforderlichen Anpassungen des Personenstandswesens eingeplant werden muss, ist ein Inkrafttreten im November 2024 aus meiner Sicht zu spät. Es muss geprüft werden, ob ein Inkrafttreten beschleunigt werden kann. Die Betroffenen haben lange genug gewartet.“
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