Božo Vrećo: „Sevdah ist Freiheit, Liebe und Mut“
Božo Vrećo aus Bosnien und Herzegowina ist einer der international bekanntesten Interpreten des traditionellen Musikgenres Sevdah, das Elemente aus südslawischer, osmanischer, sephardischer und romani Musik vereint. Božo Vrećo verleiht diesem kulturellen Potpourri einen offensiv queeren Twist. Heute Abend spielt er*sie live in Berlin. SIEGESSÄULE sprach mit Božo über das emanzipatorische Potenzial des Genres, Spiritualität und das kommende Album
In ganz Ex-Jugoslawien und darüber hinaus bist du ein Symbol der queeren Sichtbarkeit und Freiheit geworden. Was inspiriert die Leute an dir? Ich identifiziere mich mit keinem Geschlecht, es genügt zu sagen, dass ich ein Wesen der Liebe, des Mutes, der Freiheit jenseits von Vorurteilen bin – in einer Welt, die von Schubladendenken, Zwang, Ausgrenzung und Arroganz geprägt ist. Alles, was ich tue entspringt meiner Seele und Spiritualität. Ich wurde genau so geschaffen, wie Gott es für mich vorgesehen hat. Ich vertrete immer die Freiheit, die alles kann und alles ist.
Für viele Außenstehende ist Sevdah vor allem traditionelle Musik aus Bosnien, womit sie eher konservative Werte assoziieren. Es gibt jedoch viele Musiker*innen wie auch Damir Imamović, die emanzipatorisches Potenzial in dem Genre sehen. Was bedeutet Sevdah für dich? Sevdah ist Freiheit, Liebe und Mut. Die Aufrichtigkeit des Gebens und das Universum der Liebe, das zwischen mir, meinem Publikum und meinem inneren Wesen fließt. Es ist eine göttliche Katharsis und ein mantrisches Gebet des Herzens, ein Bekenntnis der Seele und eine Meditation der subtilsten Emotionen. Meine Musik ist uneingeschränkt von Genre- und Geschlechtergrenzen. Ich folge einem experimentellen Ansatz, bei dem ich entgegen den Regeln und Prinzipien Musik kreiere. Dabei folge ich meinem Herzen und ergänze die Harmonie und Rhythmik von Sevdah mit verschiedenen anderen Stilformen. So entseht ein Prisma des Traditionellen, dem aber auch etwas sehr Modernes und Zeitgemäßes innewohnt.
„Meine Musik ist uneingeschränkt von Genre- und Geschlechtergrenzen.“
Ich war schon zwei mal auf deinen Konzerten in Berlin. Was mich sehr berührt hat ist, wie dich die LGBTIQ*-Community zusammen mit der postmigrantischen ex-jugoslawischen Community gefeiert hat. Ist es deine Mission, Brücken zwischen Menschen zu bauen? Es genügt, an sich selbst zu glauben und daran, dass man vollkommen frei ist, dass alles dem allmächtigen Gott gehört und nichts dem Geben und Nehmen im Weg steht. Wenn man Liebe sät, vervielfacht sich diese Liebe und kehrt um ein Vielfaches zu einem zurück. Ich bin dankbar für ein so großes Geschenk und eine so besondere Mission.
Hattest du Zeit, dir Berlin auch als Tourist*in anzuschauen? Oh ja, oft und immer, wenn ich hergekommen bin, bin ich nicht gegangen ohne meine Freund*innen und meine geliebte Nofretete zu sehen. Für mich strahlt jede Stadt, auch Berlin, die Patina vergangener Zeiten aus. Es gefällt mir, Art-Déco-Elemente an Gebäuden, Strukturen der 20er-Jahre in der Kleidung und natürlich die Symbiose aus Futurismus, Moderne und Avantgarde zu entdecken, vereint in einem Gesamtbild – das ist sehr nah an meinem eigenen künstlerischen Ausdruck.
Gestern hattest du in Dortmund gespielt, heute Abend bist du in Berlin. Was steht nach deiner Tour an? Mein neues Album, das siebte in Folge, das den Titel „Sevdahology“ tragen wird, außerdem einige tolle Auslandskooperationen sowie eine sehr intime Herangehensweise an die Musik durch Texte und Melodien, die ich geschrieben und vertont habe. Dem werden Tourneen und Eröffnungen von Film- und Musikfestivals in ganz Europa folgen, was mich sehr glücklich macht. Sicherlich wird es dieses Jahr auch etwas Unvorhergesehenes geben, das mich unerwartet überraschen wird. Ich lasse es passieren, denn alles ist magisch.
Was sind deine liebsten Sevdalinke (Sevdah-Lieder)? Es gibt so viele, „Ah mila majko podgni me malko“, „Omere prvo gledanje“, „Mehmeda majka budila“, „Lejlija“, „Ko li nočas miluje ti kosu“. Einige Lieder sind aus der Vergangenheit und einige von heute, einige entspringen meiner Feder. Es handelt sich um eine besondere und sehr breite Palette von Liedern, die von Tag zu Tag reicher wird. Der Favorit von meinem kommenden Album ist sicherlich „Ibadullah“ und ich kann es kaum erwarten bis ihr es hört!
Konzert: Božo Vrećo
22. Juni 2024, 21:00
Heilig-Kreuz-Kirche
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