„Bisexualität muss als Fluchtgrund anerkannt werden“
Bisexuelle, die vor Verfolgung geflohen sind, haben es oft besonders schwer, in Deutschland Asyl zu bekommen. Wir sprachen darüber mit der Rechtsanwältin Juliane Linke
Im Januar hat die Schwulenberatung Berlin die rechtliche Expertise „Bisexualität als Fluchtgrund“ vorgelegt. Erstellt wurde das Papier von Juliane Linke, die für die Kanzlei für Migrationsrecht legal links in Berlin tätig ist. Im SIEGESSÄULE-Interview berichtet sie von Vorurteilen seitens der Asylbehörden und erklärt, warum Bisexualität ernster genommen werden muss
Frau Linke, wer wegen seiner Bisexualität im Herkunftsland verfolgt wurde und nun versucht, in Deutschland Asyl zu bekommen, stößt in den Asylverfahren oft auf besondere Hürden. Worin bestehen diese? Die erste Hürde ist, überhaupt die eigene Zugehörigkeit zur Gruppe der Bisexuellen glaubhaft zu machen. Denn leider wird Personen, deren sexuelle Orientierung in den Augen der Behörden nicht „eindeutig“ oder „linear“ ist, häufiger nicht geglaubt. Die Unterschiedlichkeit menschlicher Erfahrungen, gerade in Bezug auf sexuelle Orientierung, kommt hier zu kurz. In letzter Zeit habe ich auch beobachtet, dass Antragsteller*innen vorgeworfen wurde, sich zu stark auf die sexuelle und zu wenig auf die emotionale Seite ihrer Orientierung zu fokussieren, und dass ihre Aussagen deshalb angezweifelt wurden. Die zweite Hürde besteht darin, der Asylbehörde darlegen zu müssen, dass den Betroffenen in ihrem Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht.
Bisexuellen „wird schnell unterstellt, dass das Ausleben ihrer Bisexualität für sie nicht identitätsprägend sei“
Warum ist es so schwierig, diese Verfolgung vor den Behörden zu „beweisen“? Hängt das auch mit Vorurteilen gegenüber Bisexualität zusammen? Bisexuellen Personen, die sich aktuell oder in der Vergangenheit in einer verschiedengeschlechtlichen Beziehung befunden haben oder die ihre gleichgeschlechtlichen Beziehungen nicht öffentlich ausleben, wird schnell unterstellt, dass das Ausleben ihrer Bisexualität für sie nicht identitätsprägend sei – und dass ihnen angesichts ihrer Lebensumstände gar keine Verfolgung drohe. Hier wird ausgeblendet, dass sich die Lebensumstände einer Person ändern können und dass diese auch gar nicht immer das Produkt persönlicher Entscheidungen sind. Außerdem wird übergangen, dass Verfolgungshandlungen nicht nur an real stattgefundene sexuelle Handlungen anknüpfen. Wenn eine Person anderweitig nicht den gesellschaftlichen, heteronormativen Erwartungen entspricht, kann dies ebenso zur Verfolgung führen.
Bisexualität als eigenständige Orientierung wird also oft nicht ernst genug genommen? Ja. Es ist wichtig, dass Bisexualität als eigene sexuelle Orientierung in den Verfahren anerkannt wird. Nur so kann die spezifische Verfolgungsgefahr für bisexuelle Personen gesehen werden. Bei der sexuellen Orientierung handelt es sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) um ein Merkmal, das so bedeutsam für die Identität einer Person ist, dass sie nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten.
„In Asylbescheiden darf von bisexuellen Personen nicht mehr explizit verlangt werden sich zu verstecken“
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat schon einige Asylanträge mit dem Argument abgelehnt, Bisexuelle könnten ihre sexuelle Orientierung ja „verstecken“ und so der Verfolgung im Herkunftsstaat entgehen. Darf das BAMF das überhaupt? Wie lautet die aktuelle Gesetzeslage hierzu? Bis zu einer Entscheidung des EuGH im Jahr 2013 wurde homo- und bisexuellen Personen in Asylverfahren gesagt, sie könnten ihre sexuelle Orientierung geheim halten, um so einer Verfolgung zu entgehen. Der EuGH hat dann klargestellt, dass es der Anerkennung der sexuellen Orientierung als identitätsprägendes Merkmal widerspricht, wenn gleichzeitig von den Betroffenen verlangt wird, ihre sexuelle Orientierung geheim zu halten. Da das Urteil aber explizit nur zu Homosexualität ergangen ist, meinten einzelne Gerichte, es wäre auf bisexuelle Personen nicht anwendbar. Diese könnten ja immer noch ihren heterosexuellen Persönlichkeitsanteil ausleben. Diese Argumentation hat das Bundesverfassungsgericht später mit einem Beschluss vom Januar 2020 zurückgewiesen. In Asylbescheiden darf seitdem von bisexuellen Personen nicht mehr explizit verlangt werden sich zu verstecken. Indirekte Verweise auf die Möglichkeit zur „Diskretion“, also des Versteckthaltens der eigenen sexuellen Orientierung, finden sich aber leider immer noch in manchen Bescheiden des BAMF.
Kann man solche Bescheide juristisch anfechten? Wie groß ist dabei die Erfolgschance? Wenn in einem Bescheid explizit auf „Diskretion“ verwiesen wird, dann ist das natürlich rechtswidrig. Welche Chancen auf Erfolg ein Gerichtsverfahren hat, in dem die Zuerkennung eines Schutzstatus begehrt wird, lässt sich aber nicht generell beurteilen. Das hängt immer vom Einzelfall ab.
Welche Folgen hat ein negativer Asylbescheid für die Betroffenen? Es ist fatal, wenn ein Asylantrag abgelehnt wird, weil den Betroffenen nicht geglaubt wird, bisexuell zu sein, oder weil ihnen unterstellt wird, das Ausleben ihrer Bisexualität sei nicht wichtig für sie. Dann besteht die Gefahr einer Abschiebung in einen Staat, in dem den Betroffenen Menschenrechtsverletzungen drohen. Letztlich scheitert der Schutz vor heteronormativer Verfolgung an den heteronormativen Vorstellungen von Bisexualität in Deutschland. Das zeigt einmal mehr: Heteronormativität sowohl im Herkunfts- als auch im Aufnahmestaat ist das Problem!
„Letztlich scheitert der Schutz vor Verfolgung an den heteronormativen Vorstellungen von Bisexualität in Deutschland“
In Asylverfahren wird stets nach „eindeutigen Beweisen“ für die Sexualität des*der Antragsteller*in gesucht. Macht diese Herangehensweise auch Probleme für diejenigen Asylbewerber*innen, die zum Beispiel ihre Sexualität selbst noch nicht genau kennen oder deren Sexualität fluide ist? Ja, leider. Die Gefahr besteht, dass auch Personen, deren Sexualität eher fluide ist, nicht geglaubt wird. Das liegt an der Vorstellung, dass Hetero- und Homosexualität die „eigentlichen, echten“ sexuellen Identitäten seien – im Gegensatz zu Bisexualität oder zu fluiden Identitäten, die, wie schon erwähnt, als nicht so glaubhaft oder als weniger eindeutig und verlässlich angesehen werden. Für Personen, die ihre Sexualität selbst noch nicht genau kennen, ist es dementsprechend erst recht schwierig, durch das Asylverfahren zu kommen.
Was müsste sich in den Behörden und Verfahren ändern, damit auch Bisexuelle und Menschen mit fluider sexueller Orientierung Asyl bekommen? Ich denke, es ist wichtig, dass Entscheider*innen ihre eigenen heteronormativen und rassistischen Vorannahmen reflektieren. Außerdem fände ich es sinnvoll, den Fokus nicht mehr darauf zu richten, die „authentische“ sexuelle Orientierung der Geflüchteten feststellen zu wollen. Sondern stattdessen zu fragen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Verfolgungsakteur im Herkunftsland auf das Überschreiten der heterosexuellen Norm mit Verfolgungshandlungen reagiert. Man könnte sich zudem stärker darauf beziehen, dass die Betroffenen in ihrem Herkunftsland nicht nur wegen ihrer Lebensweise und sexuellen Orientierung, sondern zugleich auch wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden und deshalb auf mehreren Ebenen Anrecht auf Asyl haben. Schließlich hat die Ablehnung von traditionellen Geschlechterrollen sowie von Heterosexualität, die zu einer Pflicht gemacht oder die erzwungen wird, oft auch einen politischen Charakter.
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