Bildungsprojekte vor dem Aus: Hilfe von Sozialverwaltung sei ein „Tropfen auf dem heißen Stein“

Berlins Bildungsverwaltung streicht zum 1. April die Finanzierung zahlreicher Projekte, die sich gegen Diskriminierung einsetzen (SIEGESSÄULE berichtete). Die Sozialverwaltung springt nun mit kleineren Beträgen ein – doch diese reichen nicht aus, um die Initiativen zu retten. SIEGESSÄULE-Autorin Louisa Theresa Braun sprach darüber mit betroffenen LGBTIQ*-Bildungsprojekten
Edwin Greve glaubt nicht an Haushaltszwänge. Die Kürzung des Bildungs- und Jugendetats der Berliner Senatsverwaltung für Bildung trifft seiner Ansicht nach gezielt solche Projekte, die sich für Vielfalt und Antidiskriminierung einsetzen. Die zuständige Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) „verkauft die Stadt“, sagt er gegenüber SIEGESSÄULE. 39 Millionen Euro will ihre Verwaltung einsparen, indem sie zum 1. April rund 100 Bildungs- und Beratungsinitiativen die Förderung streicht.
Greve selbst arbeitet beim Kompetenzzentrum für Intersektionale Pädagogik i-Päd, einem Projekt des Migrationsrats Berlin, das Lehrkräfte und Sozialarbeitende in diskriminierungssensibler Pädagogik fortbildet. Doch nun steht das Projekt, das bislang durch zwei Posten der Bildungsverwaltung finanziert wurde, vor dem Aus: Ein Posten von 250.000 Euro wurde um 132.000 Euro gekürzt. Der Rest wird Ende März aufgebraucht sein. 238.000 Euro, die i-Päd aus dem Etat der senatsübergreifenden Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt” (IGSV) bekam, sollen komplett wegfallen.
Hilfe von der Sozialverwaltung
Die SPD-geführte Sozialverwaltung will einigen der bedrohten Initiativen mit insgesamt 583.000 Euro aushelfen, i-Päd soll davon 130.000 Euro bekommen. „Da zu diesem Zweck keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung stehen, kann es hier nur um ein absolut erforderliches Mindestmaß an Unterstützung gehen“, erklärt ein Sprecher der Sozialverwaltung auf Anfrage der SIEGESSÄULE. Greve hält das für einen Tropfen auf den heißen Stein: „Das reicht zum Konservieren, nicht zum Retten.“ Einige seiner Kolleg*innen würden trotzdem ihre Jobs verlieren. Die Berliner SPD hat die Sparpläne zwar kritisiert, trage die schwarz-rote Koalition aber mit und tue „zu wenig zu spät“, findet er.
Ähnlich geht es der Inter*Trans*Beratung Queer Leben (ITB) der Schwulenberatung Berlin, die jährlich rund 350 Familien von TIN*-Kindern berät, oft über mehrere Monate hinweg. Die knapp 119.000 Euro, mit der die Bildungsverwaltung bislang den Kinder- und Jugendbereich finanzierte, sollen vollständig gestrichen werden. Die Sozialverwaltung will dafür laut ihrem Sprecher immerhin 60.000 Euro zur Verfügung stellen. „Die Bildungsverwaltung ignoriert, was wir leisten“, sagt ITB-Projektleiter Leo Yannick Wild zu SIEGESSÄULE. Die Beratungen seien Wochen im Voraus ausgebucht und könnten gar nicht so schnell abgewickelt werden.
„Die Bildungsverwaltung ignoriert, was wir leisten.“
Die Leidtragenden seien die TIN*-Kinder, „die schwächsten Glieder im System“, die auf Hilfe und diskriminierungsfreie Orte wie die Inter*Trans*Beratung angewiesen seien. Genau wie Greve weist Wild darauf hin, dass solche Strukturen, wenn sie einmal weg sind, nicht so schnell wieder aufgebaut werden können. Kinder und Jugendliche würden in entscheidenden Lebensphasen allein gelassen, Lehrpläne ohne diskriminierungssensible Beratung von i-Päd geschrieben.
Nach Bekanntgabe der Sparpläne im Februar unterschrieben laut Wild rund 3900 Menschen einen offenen Brief der Inter*Trans*Beratung an die Bildungssenatorin, in dem die Rücknahme der Kürzung gefordert wird. Darunter viele Eltern, Lehrkräfte, Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen, die mit der ITB zusammenarbeiten. Günther-Wünsch habe darauf bislang nicht reagiert. Eine Anfrage der SIEGESSÄULE ließ die Bildungsverwaltung ebenfalls unbeantwortet.
Kritik aus der Opposition
Auch die Opposition verurteilt die intransparent und kurzfristig gefällte Entscheidung der Bildungsverwaltung, die die betroffenen Einrichtungen vor vollendete Tatsachen gestellt habe. Franziska Brychcy, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, betont, es gebe genug Möglichkeiten, die Einnahmen des Senats zu erhöhen, statt die Bildungslandschaft „kaputtzusparen“. „Die Kürzungen sind ein Schlag ins Gesicht von Menschen, die diese Stadt am Laufen halten.“
„Die Kürzungen sind ein Schlag ins Gesicht von Menschen, die diese Stadt am Laufen halten.“
Einen Lösungsansatz sieht Greve in der Umsetzung des geplanten Landesdemokratiefördergesetzes, das soziale Projekte langfristig absichern soll. Bis dahin werde es mehr ehrenamtliche Arbeit geben, dabei aber weniger Kooperation mit der Politik – und mehr Protest. Wichtig sei, dass Initiativen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen und um den Erhalt einzelner Jobs streiten.
Bündnisse wie „Unkürzbar“, zu dem sich Dutzende von den Sparmaßnahmen betroffene Organisationen aus sozialer und Bildungsarbeit, Kultur, Wissenschaft und Klimaschutz zusammengetan haben, seien essentiell. „Wir dürfen nicht locker lassen“, so Greves Appell. Schließlich gehe es darum, eine soziale Stadt für alle zu erhalten.
i-PÄD Kompetenzstelle intersektionale Pädagogik
i-paed-berlin.de
Inter*Trans*Beratung Queer Leben (ITB)
schwulenberatungberlin.de
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