Biblische schwule Eifersucht: „Saul“ an der Komischen Oper
Mit seinen witzigen, authentischen Komödien wie „Dicke Mädchen“ und „Ich fühl mich Disco“ mischte der schwule Filmemacher Axel Ranisch vor gut zehn Jahren das deutsche Queer Cinema auf. Daneben machte er sich auch als Schauspieler, Autor und vor allem als Opernregisseur einen Namen. Am 27. Mai feiert seine Inszenierung von Händels Oratorium „Saul" Premiere an der Komischen Oper
Axel Ranischs Inszenierung von Puccinis „Il Trittico“ hatte kürzlich in Hamburg Premiere, im Juni läuft bundesweit sein Opernfilm „Orphea in Love“ an. In Berlin setzt er sich nun mit „Saul“ auseinander. In Händels Oratorium wird das Ende des Lebens von Saul erzählt, dem ersten König Israels, und die des Aufstiegs seines jungen Nachfolgers David, der gerade den Riesen Goliath getötet hat. Der alte Monarch erkennt die Qualitäten Davids, auf die er gleichzeitig eifersüchtig ist. „Saul“ ist eine Geschichte um Neid, Liebe, Macht und Verrat. Darüber sprachen Axel Ranisch und SIEGESSÄULE-Opernkritiker Ecki Ramón Weber
Axel, du hast bereits Opern von Haydn, Humperdinck, Poulenc, Prokofjew und Puccini inszeniert. Jetzt hast du dir ein Oratorium von Händel vorgenommen. Diese Barockmusik unterscheidet sich stark von den Stücken deiner bisherigen Produktionen. Wie ist dein Zugang? Einen Zugang zu Händel habe ich seit langem, weil ich 2014 ein Libretto für eine Oper geschrieben habe, in der Händel eine der Hauptfiguren ist: „George“ von Elena Kats-Chernin, Uraufführung war in Hannover. Die Oper handelt davon, wie Händel 1714 mit dem Kurfürsten von Hannover nach England gegangen ist, der als George I. in London zum englischen König gekrönt wurde. Händels Musik kann natürlich sehr poppig, groß und gewaltig sein, aber es gibt bei ihm auch immer wieder Momente von unglaublicher Zärtlichkeit. Das berührt mich enorm. Diese Barockmusik führt bei mir zu einem Reset im Kopf, sie wirkt irgendwie reinigend durch diese Klarheit der Harmonien. Was für die Opernbühne schön ist: Mit den großen musikalischen Bögen gibt es viel mehr Freiheit für die Regie. Bei Puccini hingegen ist in jedem Takt vorgegeben, was szenisch zu passieren hat.
„Und dann kommt dieser David mit seiner unbedingten Gottgläubigkeit, der nichts reflektiert. Die pure pubertäre cis Männlichkeit ...“
Nachdem Händel immer weniger Erfolg mit italienischsprachigen Opern in London hatte, wandte er sich 1738 dem englischsprachigen Oratorium zu, Musiktheater mit biblischen Geschichten und vielen Chornummern – schöne Musik, aber eher undramatisch. Wie löst du diese Herausforderung bei der Regie? Ich finde das gar nicht so undramatisch. Da ist diese Familiengeschichte mit den Geschwistern Merab, Michal und Jonathan, die in unterschiedlicher Weise zu ihrem Vater Saul stehen. Dann gibt es diesen Vater-Sohn-Konflikt zwischen Saul und Jonathan, der viel weicher ist, als es sich Saul wünscht. Und dann kommt dieser David mit seiner unbedingten Gottgläubigkeit, der nichts reflektiert. Die pure pubertäre cis Männlichkeit, ohne sich selbst zu hinterfragen! Er geht mit all seinem Sex-Appeal in diese Familie rein und bringt alle durcheinander. Das finde ich schon hochdramatisch.
In deinen Filmen, etwa „Ich fühl mich Disco“ oder „Alki Alki“, findet die Kritik Geschichten aus dem „echten Leben“. Der Stoff von „Saul“ dagegen stammt aus dem Alten Testament, spielt an einem Königshof und ist Mythologie … Diese Familienstruktur in „Saul“ ist sehr zeitlos, finde ich. Wir haben für die Inszenierung versucht, Bilder zu finden, die zeitlos archaisch sind, arbeiten ganz viel mit Sand, Meer, Wetter, um diese Zeitlosigkeit hervorzuheben. Dagegen wirken die Personen der Handlung überhaupt nicht mythologisch auf mich. Saul ist eine wahnsinnig spannende Figur: Er wollte nie König werden, sondern ist dazu gemacht worden. Er hatte von Gott den Auftrag, gegen Feinde seines Staates zu kämpfen und sie zu vernichten. Aber Saul hatte Skrupel und hat nicht alle umgebracht. Das nimmt ihm der alttestamentarische Rachegott übel. Und dann kommt dieser kraftstrotzende David daher und erschlägt den Goliath. Saul sieht seinen Einfluss und seine Macht schwinden.
Die Handlung und die Musik von „Saul“ hat viele sakrale Elemente, nicht zuletzt „Halleluja“-Chöre. Wie gehst du damit auf der Opernbühne um? Es gibt auch die Figur des Hohen Priesters in „Saul“. Er hat, finde ich, die schönsten musikalischen Nummern im ganzen Oratorium. Ich habe den Eindruck, dass Saul an Depressionen leidet, und ich glaube, dass dieser Hohe Priester, der Saul andauernd Gottes Stimme ins Ohr singt, nichts anderes ist als die Verkörperung der Depression. Für mich sind diese Lobpreisungen Gottes und der Auftrag, den Willen Gottes zu erfüllen, ein Mantra des Versagens. Als Atheist lese ich das nicht so sehr religiös, sondern schaue eher, was es für Saul bedeutet. Es macht ihn kaputt, weil er den Erwartungen nicht entsprechen kann.
Welche Anzeichen für eine Depression siehst du bei Saul? Er zieht sich immer mehr in sich selbst zurück. Das endet mit dieser merkwürdigen Reise zur Höhle von Endor, was meines Erachtens nichts anderes ist als eine Reise zu sich selbst. Er läuft, um nicht erkannt zu werden, in Frauenkleidung aus seinem Königreich und sucht Rat bei der „Hexe“ von Endor. Dieses Bild hat mich schwer beeindruckt: Wahnsinn! Ein depressiver Typ, der ein Problem mit seinem Sohn hat, macht sich angesoffen in Frauenklamotten dorthin auf, wohin er überhaupt nicht gehen will. Überhaupt trinkt Saul übermäßig viel Alkohol, das wird beim Gelage davor deutlich. Er hat auch immer wieder cholerische Ausbrüche, dreimal wirft er einen Speer nach David, verfehlt ihn allerdings. Saul handelt wahnsinnig irrationell, ist rasend eifersüchtig. Er sieht, wie seine Kinder Michal und Jonathan diesen David lieben und gibt ihm deshalb Merab zur Frau, die David überhaupt nicht leiden kann. Saul trifft merkwürdige Entscheidungen, die geprägt sind von Selbstzweifel, Hass und Selbstmitleid. Eine Figur, die sich aufgegeben hat, zerfressen von Depressionen.
„Aus dem Libretto lese ich, dass Jonathan unfassbar in David verliebt ist, ihm völlig erlegen.“
Jonathan verweigert sich dem Befehl seines Vaters Saul, David zu töten. Ist diese enge Freundschaft von Jonathan und David eine Steilvorlage für eine schwule Beziehung? Aus dem Libretto lese ich, dass Jonathan unfassbar in David verliebt ist, ihm völlig erlegen. Aber David ist auf einem Egotrip, mit dem Kopf ganz woanders. Er checkt noch nicht einmal, dass sich Jonathan dem eigenen Vater entgegenstellt, um David zu retten. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt: Meine Schwester ist Archäologin, sie hat mich auf Texte hingewiesen, die darauf deuten, dass David und Saul vorher ein ähnliches Verhältnis zueinander hatten wie David und Jonathan. David war während des Krieges davor so eine Art Lustknabe. Er begleitete Saul und sie waren sehr eng miteinander. Das erklärt auch die Eifersucht. Als David in „Saul“ Harfe spielt für Saul, erwähnt Michal, dass David ihn so schon oft besänftigt habe. Da war etwas! Das werde ich nicht unberücksichtigt lassen.
Es wird ja auch angenommen, dass der unverheiratete Händel Männer liebte … Charles Jennens, dieser ebenfalls unverheiratete Adelige, der das „Saul“-Libretto geschrieben hat, und Händel waren sich sehr nah. Beide haben auch leidenschaftlich gerne gemeinsam Orgel gespielt. In „Saul“ kommt ja auch eine Orgel zum Einsatz. Händel hat zur Zeit, als „Saul“ entstand, auch bei Jennens gewohnt. Das schlägt den Bogen zu Saul, David und Jonathan. Ich glaube, es kommt nicht von ungefähr, dass sich Händel und Jennens damals gerade diesen Stoff ausgesucht haben.
SIEGESSÄULE präsentiert
Saul, 27.05., 19:00 (Premiere), 30.05.+01.06., 19:30, 04.+10.06., 18:00, Komische Oper
Folge uns auf Instagram
#Oper#Händel#Axel Ranisch#Komische Oper#schwul#Eifersucht