„Bibel“ der LGBTI*-Bewegung: „Aufzeichnungen eines Krokodils“
Mit gerade mal 26 Jahren beging die taiwanesische Autorin Qiu Miaojin Selbstmord. Mit ihrem Roman „Aufzeichnungen eines Krokodils“ wurde sie posthum zur Ikone der LGBTI*-Bewegung in ihrem Heimatland. Jetzt erscheint der Roman erstmalig auf Deutsch
Am 25. Juni 1995 nahm die taiwanesische Autorin Qiu Miaojin in ihrer Wohnung in Paris – so heißt es – ein Messer in die Hand und rammte es sich in die Brust. Auf diese drastische Weise setzte die erst 26-Jährige ihrem Leben ein Ende. Kurz nach ihrem Suizid wurde sie für ihr Erstlingswerk „Aufzeichnungen eines Krokodils“ mit dem Literaturpreis der Tageszeitung China Times ausgezeichnet. Nun erscheint ihr Roman, der heute als „Bibel“ der LGBTI*-Bewegung im chinesischen Sprachraum gilt, erstmalig auf Deutsch.
In dem Buch geht es um die stark depressive 18-jährige Studentin Lazi, die in den 1980ern in Taipeh Literatur studiert. Sie ist heftig verliebt in ihre Kommilitonin Shiuling und bekennt sich schon am Anfang des Buches in einem knappen Satz – „Ich gehöre zu den Frauen, die sich in Frauen verlieben“ – zu ihrem Lesbischsein. Doch glücklich ist sie darüber nicht, im Gegenteil, sie verachtet sich für ihr Begehren und versucht krampfhaft, ihre Gefühle zu unterdrücken, verletzt sich selbst und stößt ihre Freundin immer wieder von sich weg, um ihr kurz darauf ihre ewige Liebe zu gestehen. Ein schmerzvolles Hin und Her, das sich über viele Seiten fortsetzt. In der in acht Notizbücher aufgeteilten Geschichte folgt man Lazi auf ihrer Reise durch das adoleszente Leben, ihre selbstzerstörerischen Gedanken, die bis zum Todeswunsch gehen und poetisch-dramatisch erzählt sind – Anklänge an Miaojins eigenes Leben und Ende scheinen sich hier geradezu aufzudrängen.
Immer wieder taucht zudem der Namensgeber des Buches, das Krokodil, in kleinen fabelähnlichen Passagen auf. Es ist Lazis Alter Ego, geschlechtlich uneindeutig und findet sich unter den Menschen nur schwer zurecht – eine Metapher für queere Menschen in einer Hetero-Welt. Ansonsten geht es im Roman nicht wirklich um Queersein im öffentlichen Raum, homophobe Strukturen oder überhaupt die Außenwelt – Miaojin konzentriert sich stattdessen auf das innere Dilemma der Protagonistin. Nur daraus lässt sich das gesellschaftliche Stigma erahnen, das mit ihrem Queersein verbunden war. Als sich Lazi gegenüber einem ihrer Freunde outet, bricht es aus ihr heraus: „Ich war so stolz, dass ich endlich ein Loch in meine Zwangsjacke gerissen hatte. Wenn ich daran dachte, wie ich mich gequält hatte! Grauenvoll.“
Insgesamt ist der 1994 erschienene Roman schnell und ein wenig wirr geschrieben. Man muss sich durchkämpfen, Lazis Gedanken folgen, ihr nachgehen, sich auf sie einlassen. Doch auch wenn die gesellschaftlichen Umstände nur indirekt thematisiert werden, bekommt man durch Lazi und ihre schwulen Freunde, mit denen sie sich umgibt, ein Bild vom erdrückenden Alltag für Queers in Taiwan vor 30 Jahren. 2017 setzte ihr übrigens der chinesisch-amerikanische Regisseur Evans Chans mit der Verfilmung ihrer Lebensgeschichte „Death in Montmartre“ ein Denkmal und untermauerte ihre Bedeutung für eine ganze Generation von Lesben, die ihre Arbeit bis heute geprägt hat. Schade, dass wir Qiu Miaojins Schreiben nicht noch weiter entdecken und miterleben können, wie es sich entwickelt, entwirrt und klarer wird. Das Potenzial dafür hätte sie gehabt.
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