Kommentar

Bi+ Visibility Day: Unsichtbarmachung nervt!

23. Sept. 2024 Christoph R. Alms
Bild: privat
Christoph R. Alms mit einer Bi+-Pride-Flagge beim CSD

Am 23. September ist der Tag der bisexuellen Sichtbarkeit. SIEGESSÄULE-Autor und Queer-Aktivist Christoph R. Alms kritisiert, dass trotz des beharrlichen Engagements der Bi+-Community, die LGBTIQ*-Szene weiterhin oft nicht-monosexuelle Lebenswelten ignoriert oder nicht mitdenkt

Das Gefühl, unsichtbar zu sein, also nicht nur ab und zu, sondern wieder und wieder übersehen zu werden, nicht nur nicht mitgemeint, sondern auch nicht mitgedacht zu werden, ja buchstäblich nicht zu existieren – das Gefühl kennen wohl nicht nur bisexuelle Menschen. Auch queere Jugendliche, junge Erwachsene oder ältere LGBTIQ*, queere Menschen im ländlichen Raum, von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit betroffene Queers oder eben queere Personen, die behindert werden, erleben diese Formen von Diskriminierung mitunter täglich.

Ja, eigentlich müsste in einer heteronormativen, ach was, heterosexistischen und viel zu oft zweigeschlechtlich denkenden, in der sogenannten „Mehrheitsgesellschaft”, jeder queere Mensch dieses Gefühl irgendwie kennen … und dieses Gefühl ist nicht nur belastend, es nervt!

Also warum fällt es dann der LGBTIQ*-Community auch im Jahr 2024 so schwer, gegen die Unsichtbarkeit und die Unsichtbarmachung von Bi+ einzustehen? Als Bi+-Aktivist beobachte ich das häufig. Warum ist es offenbar nicht möglich, sich konsequent und kontinuierlich für die vielfältigen Lebensweisen zu engagieren und sich für die Interessen und Bedarfe von bi-, pan- und polysexuellen Menschen einzusetzen? Warum wird Solidarität häufig eingefordert, aber viel zu selten auch für nicht-monosexuelle Lebensrealitäten erteilt?

„Warum wird Solidarität häufig eingefordert, aber viel zu selten auch für nicht-monosexuelle Lebensrealitäten erteilt?“

Vielleicht sind diese Fragen zu abstrakt. Also anders, etwas konkreter gefragt: Wie viele Sichtbarkeitskampagnen von Bi+-Vereinen, Initiativen und Organisationen braucht es eigentlich noch, um die Bedarfe von Bi+ in verschiedenen Lebensbereichen einzubeziehen? Wie viele Infobroschüren sind nötig, dass endlich die von der Bi+-Community selbst genutzte und nicht etwa eine binäre Alltagsdefinition von Bisexualität Verbreitung findet? (Die Bi+-Community definiert Bisexualität als das „Begehren von mehr als einem Geschlecht“ und spricht sich gegen Definitionen aus, die das Zweigeschlechtersystem reproduzieren, Anm. d. Red.)

Wie viele Aktionstage für die Bi+-Sichtbarkeit sollen noch erfolgen, damit beispielsweise das Coming-out des Jahres von Ralf Schumacher nicht standardmäßig als schwules Coming-out dargestellt wird – noch bevor dieser eine Selbstbezeichnung erwähnt hat?

Oder wie viele Diskussions- und Informationsveranstaltungen braucht es noch, um nicht mehr nur von „Homo- und Transfeindlichkeit” zu sprechen, wenn doch Queerfeindlichkeit noch weitere Facetten hat, beispielsweise Bifeindlichkeit?

Blühende Bi+-Community deutschlandweit

Es ist immerhin das Jahr 2024: Der Internationale Tag für die Sichtbarkeit von Bisexualität wurde bereits im Jahr 1999 initiiert. Er findet also nun schon zum 26. Mal statt. Auch eine eigene Flagge in pink, violett und blau wurde um diese Zeit für die Bi+-Community entworfen. Mittlerweile gibt es neben dem Tag für die Sichtbarkeit von Bisexualität sogar eine Bi+ Awareness Week sowie nicht nur einen ganzen Bi+ Visibility Monat im September, sondern auch den Bi+ Health Awareness Monat im März.

Es existieren neben dem bundesweiten BiNe – Bisexuelles Netzwerk e. V. weitere Bi+ Initiativen, Vereine und Organisationen sowie Stammtische in Berlin (BiBerlin e.V.), Hamburg (BiPlus Hamburg e. V.), München (Bi+ München), Göttingen (Bi+ Göttingen) und Köln (Uferlos e. V.) sowie in einigen anderen Orten im ländlichen Raum.

Neben den zahlreichen CSDs und Pride-Veranstaltungen unter Beteiligung von bi+ Teilnehmer*innen in der Pride-Saison gibt es auch einen eigenen Bi+ Pride in Hamburg, der in diesem Jahr bereits zum vierten Mal durchgeführt wird.

„Es gibt nicht nur Ansprech- und Kooperationspartner*innen, auch Anlässe für eine solidarische Zusammenarbeit sind vorhanden.“

Es gibt also nicht nur Ansprech- und Kooperationspartner*innen für das Thema nicht-monosexuelle Lebensweisen, auch entsprechende Anlässe für eine solidarische Zusammenarbeit sind vorhanden. Daher gern noch einmal in aller Deutlichkeit: Das Gefühl, in Diskussionen, Diskursen und Narrativen nicht aufzutauchen, nicht nur von Unsichtbarkeit, sondern auch durch Unsichtbarmachung betroffen zu sein, kennen doch sehr viele von uns. Es ist kein gutes Gefühl.

Sichtbar bleiben!

Also, lasst uns dem auch gemeinsam etwas entgegensetzen: Werdet, seid und bleibt nicht nur sichtbar, sondern vor allem auch hörbar, solidarisch, kritisch und erlebbar. Nicht nur in Kommentarspalten auf Social Media unter unreflektierten Posts. Auch auf den Straßen bei den vielen CSDs in den Städten und im ländlichen Raum, in Ost wie in West, in Nord-, Süd- und Mitteldeutschland. Auf den zahlreichen queeren Diskussions- und Informationsveranstaltungen, in der Politik und in den Medien. Nicht nur am 23. September, sondern konsequent und kontinuierlich über das ganze Jahr hinweg. Vielleicht hören wir Bi+-Leute dann auch auf, mit unseren Anliegen zu nerven.

Christoph R. Alms engagiert sich u.a. im Vorstand bei BiNe, bei #TeachOut sowie bei der Initiative „Grundgesetz für Alle“.

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