Kolumne: Sex-Positionen

Besser über Sex sprechen: Was ist Zirklusieren, Pairing, Flexing und Tribbing?

4. März 2025 Lea Holzfurtner
Bild: Lea Holzfurtner
Lea Holzfurtner ist psychologische Beraterin und zertifizierte Sex Coachin.

SIEGESSÄULE-Autorin Lea Holzfurtner erinnert sich an ihren Sexualkundeunterricht, eine wohl gleichsam traumatisierende Erinnerung, und die fehlenden Worte, die es unmöglich gemacht haben über Sex zu sprechen. In unserer neuen Sex-Kolumne beschreibt sie Begriffe wie Zirklusieren, Pairing, Flexing und Tribbing und wie sexy inklusive Sprache sein kann

Biounterricht, irgendwann zwischen der fünften und siebten Klasse: Ich sitze in der zweiten Reihe. Unser Biolehrer, ein kleiner Mann mit rotem Bart, grauer Cordhose und beiger Strickweste, steht nervös vor uns Teenagern. Er hat sich das hier sicher nicht ausgesucht. Doch irgendjemand hat entschieden, dass dieses Thema in den Biologieunterricht gehört und nicht etwa in Sozialkunde, Politik oder Ethik. Also steht er da, erklärt, er habe etwas vorbereitet und warnt uns: „Bitte nicht lachen, sonst packe ich es sofort wieder weg." Dann holt er mit rotem Kopf ein medizinisches Querschnittsmodell eines Penis hervor. Natürlich lachen einige. Andere schauen betreten zu Boden und werden selbst rot. Das Modell verschwindet umgehend hinter dem Vorhang. Er hatte uns ja gewarnt. Das ist alles was mir aus dem Aufklärungsunterricht in Erinnerung geblieben ist: Für Sex soll man sich schämen.

Patriarchale Strukturen verlernen

Heute bin ich klinische Sexologin. Und die Arbeit von mir und meinen Kolleg*innen ist nach wie vor dringend notwendig. Nicht nur, weil wir in der Schule wenig bis gar nichts über Sex lernen, sondern weil wir als Gesellschaft so viel Falsches gelernt haben. Die sexuellen Probleme, mit denen Klient*innen in meine Praxis kommen, hängen fast immer mit diesem falschen Wissen zusammen.

Die meisten von denen, die in unserer Gesellschaft Wissen über Sex vermitteln, fühlen sich überhaupt nicht wohl über positive Sexualität und Lust zu sprechen.

Wenn wir darüber nachdenken, wer uns etwas über Sex lehrt, dann sind das überforderte Biolehrer*innen, die erst seit 2019 mit Lehrbüchern arbeiten dürfen, in denen die Klitoris nicht mehr als kleiner Knubbel, sondern in ihrer vollen, penisähnlichen Größe mit Schwellkörpern und Eichel abgebildet ist. Oder Ärzt*innen, Therapeut*innen und Gynäkolog*innen, die in ihrer Ausbildung kaum etwas über Entstehen oder Halten von Lust oder sexpositive Beratung gelernt haben. Und dann sind da noch die TV- und Kinomacher*innen, die Songwriter*innen und Autor*innen, die Sex in Filmen, Songs und Romanen oft nur nebenbei oder stereotyp darstellen. Die meisten von denen, die in unserer Gesellschaft bewusst oder unbewusst Wissen über Sex vermitteln, fühlen sich überhaupt nicht wohl über positive Sexualität und Lust zu sprechen und sie haben alle wenn überhaupt nur sehr lückenhaftes Wissen darüber. Darunter leidet nicht nur der Sex von Menschen mit Klitoris.

Sex ist mehr als Penetration

Wie würde unser Sexleben aussehen, wenn wir im Biounterricht nicht nur über Penetration, sondern auch über Pairing, Flexing oder Tribbing sprechen würden? Bis vor kurzem kannte ich diese Begriffe übrigens auch nicht. Dabei spreche ich über das, was sie beschreiben, schon ewig: Habe ich Menschen mit Klitoris schon mal geraten, sich beim Sex selbst an die Klitoriseichel zu fassen oder (mit einem Toy) fassen zu lassen um nachzuhelfen (=Pairing). Hell ya! Habe ich schon mal den Tipp gegeben, die Beckenbodenmuskeln bewusst einzusetzten und damit u.a. die innere Klitoris zu massieren, um die Erregung zu steigern (=Flexing). Jup! Habe ich einer Klientin schon mal erklärt, dass es sich gut anfühlen könnte, die eigene Vulva, und damit auch die Klitoriseichel, an den Körper der Partnerperson zu reiben (=Tribbing)? Duh!

Pairing, Flexing oder Tribbing beschreiben echten Sex. Die Art von Sex, die für Menschen mit Klitoris oft viel zielgerichteter zu einem Orgasmus führen kann als Penetration.

Pairing, Flexing oder Tribbing beschreiben echten Sex. Die Art von Sex, die für Menschen mit Klitoris oft viel zielgerichteter zu einem Orgasmus führen kann als Penetration. Kübra Gümüsay bringt es so auf den Punkt: „Dinge zu benennen, Ereignisse einzuordnen” war nicht nur lange „eine Männerdomäne”, sondern „auch grundlegendes Element ihrer Macht”.  Sie fragt zurecht: „Wie sollen wir mit einer Sprache umgehen, die unsere Realität nicht abbildet (…), die uns als Sprechende nicht vorgesehen hat, sondern als jene, über die gesprochen wird?”

Das Patriarchat hat das eine Skript für Sex festgesetzt. Und es wird in Pornos, Romcoms, Romanen und Songs immer und immer wieder erzählt. Es gibt uns vor, wie Sex auszusehen hat, wie er startet, was wir gut finden sollen, wie wir dabei auszusehen haben, und wie und wann wir kommen sollen. Ein Skript, das im besten Fall als heteronarmativ und uninformiert bezeichnet werden kann, im schlimmsten Fall als misogyn.

Und weil wir die Welt aus der Sicht eines Hetero mit Penis beschreiben, ist Sex Penetration. Es ginge aber auch anders! Zirklusion (=Umschließung) ist ein Synonym für Penetration (=Eindringen). Es würde die Geschichte aus einer anderen Perspektive erzählen, in der eine Person aktiv umschließt. Vielleicht hätte dieses Wort auch verändert, wie Sex praktiziert wird. Vielleicht würde Paring, Flexing oder Tribbing ganz gleichberechtigt als Sex angesehen werden. Denn obwohl nur wenige Menschen mit Klitoris – je nach Studie zwischen vier und 18 Prozent – durch reine Penetration regelmäßig zum Orgasmus kommen, zählt noch immer das als "echter Sex". Diese Sichtweise erzeugt im Übrigen auch unglaublich viel Leistungsdruck auf Menschen mit Penis.

Sprache formt unsere Wirklichkeit.

Sprache ist mächtig. Es macht einen Unterschied, ob ich selbstbewusst sage „Ich steh auf Pairing!" oder ob ich mich erklärend rechtfertige „Ich bin eine von den Personen, die ohne extra Stimulation der Klitoriseichel nicht kommen kann." Sprache formt unsere Wirklichkeit. Unsere Erfahrungen, (Miss)Erfolge, Ideen und Erkenntnisse können wir nur teilen, wenn wir Worte dafür haben. 

Vielleicht sollte ich diese Kolumne meinem ehemaligen Biolehrer schicken. Ich würde mir für ihn – und für uns alle – eine entspanntere, ehrlichere Definition von Sex wünschen.

Lea Holzfurtner (@sexcoach.berlin) ist klinische Sexologin und Autorin von „Dein Orgasmus”. In ihrer Berliner Praxis und im Podcast „Berlin Intim“ coacht sie Menschen mit Klitoris und deren Partner*innen.

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